Année politique Suisse 1984 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Volksrechte
Auf Bundesebene wurden auch 1984 die
Volksrechte rege genutzt. Drei neue Volksbegehren wurden eingereicht (1983: 5), und weitere sechs bei der Bundeskanzlei angemeldet (1983: 8). Da jedoch der Souverän über sechs Volksinitiativen abstimmen konnte (alle wurden abgelehnt), und überdies vier Begehren zugunsten eines befriedigenden Gegenvorschlags der Bundesversammlung zurückgezogen wurden, reduzierte sich die Zahl der am Jahresende noch hängigen zustandegekommenen Initiativen auf sechzehn (1983: 23). In drei Fällen gelang es den Initianten nicht, die nötige Unterschriftenzahl innert der vorgeschriebenen Frist beizubringen. Etwelches Unbehagen lösten demgegenüber die Praktiken einer Privatfirma (Denner AG) aus, die Unterschriftensammler entschädigte resp. von ihrer angestammten Berufstätigkeit freistellte. Das Referendum wurde im Verlaufe des Berichtsjahres gegen zwei Vorlagen ergriffen (Innovationsrisikogarantie bzw. Eherecht)
[29]. Die im Vorjahr von einer Nationalratskommission angeregte Verkürzung der Zeitdauer, die dem Bundesrat zur Ausarbeitung seiner Stellungnahme zu einem Volksbegehren zur Verfügung steht, fand bei diesem verständlicherweise wenig Anklang. Wenn das Parlament zu sehr unter Zeitdruck gerate, sei die Verlängerung der heute vier Jahre betragenden Gesamtfrist zur Behandlung einer Initiative anzustreben
[30].
Nachdem die Vernehmlassung mehrheitlich positiv verlaufen war — allerdings hatten sich die FDP, der Vorort und der Gewerbeverband kritisch geäussert — hielt der Bundesrat in seiner Botschaft für eine
Neuregelung des Abstimmungsverfahrens bei gleichzeitigem Entscheid über Initiative und Gegenvorschlag an seinem Projekt fest. Die vorgeschlagene Lösung sieht zwei Fragen über die beiden Varianten vor, wobei, im Gegensatz zur bestehenden Ordnung, beide mit Ja beantwortet werden dürfen. In einer gleichzeitig gestellten Frage kann der Stimmbürger darüber entscheiden, welche der Varianten er vorziehen würde, falls beide von Volk und Ständen angenommen würden. Bei dieser Stichfrage werden Stände- und Volksmehr anteilsmässig miteinander verrechnet. Nur mit diesem System, das in den Kantonen Basel-Land und Uri bereits angewandt wird (mit Ausnahme der dort nicht erforderlichen Verrechnung der Stände- und Volksstimmen), ist es laut Botschaft möglich, den Willen des Souveräns korrekt zu erfassen. Die vorberatende Ständeratskommission sprach sich noch vor Jahresende mehrheitlich für das neue Verfahren aus
[31].
[29] wf, Initiativen + Referenden — Stand 1. Januar 1985, Zürich 1985. Rückzüge: BBl, 1984, I, S. 41 und II, S. 950, 1362 und 1507. Nichtzustandekommen: BBl, I, S. 619; II, S. 1510 und III, S. 122. Obwohl ihre Fristen noch nicht abgelaufen sind, dürfen zwei weitere angekündigte Begehren als gescheitert betrachtet werden, da die Unterschriftensammlung vorzeitig eingestellt wurde (NZZ, 4.6.84). Denner: TA, 3.2.84 und JdG, 5.7.84; vgl. unten, Teil I 4a (Wettbewerbspolitik). Referenden : siehe unten Teil I, 4a (Strukturpolitik) und 7d (Politique familiale) sowie BBl, 1985, I, S. 488 f. und 566 f. (Einreichung).
[30] BBl, 1984, II, S. 981 ff. und SPJ, 1983, S. 25 f.
[31] BBl, 1984, II, S. 333 ff.; SPJ, 1983, S. 26. Vgl. auch TA, 29.3.84; NZZ, 3.8.84; 2.11.84 (R. Rohr) und 29.11.84 (A. Kölz). Vgl. auch die Arbeit des Erfinders dieses Systems, Ch. Haab, Die Ermittlung des wahren Volkswillens im Bundesstaat, Zürich 1984.
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