Année politique Suisse 1984 : Wirtschaft / Landwirtschaft
 
Forstpolitik
Noch stärker als im vergangenen Jahr rückte 1984 das Waldsterben ins Zentrum der Forstpolitik. Im folgenden soll auf die ökonomische Dimension dieses ökologischen Desasters eingegangen werden. Die ersten Auswertungen der Sanasilva-Umfrage vom Winter 1983/84 hatten bestätigt, dass 14% des Forstbestandes in der Schweiz krank bis todkrank sind; ein Jahr später erfuhr eine beunruhigte Öffentlichkeit, dass sich der Zustand des Waldes dramatisch weiterverschlechtert hat und dass nur noch 65% des Waldbestandes als gesund betrachtet werden können [20]. Für die Forstwirtschaft bedeutet dies, dass die Holzmenge auf dem Markt wegen des Waldsterbens in den nächsten 20 Jahren um 60% auf 6,4 Mio m3 ansteigen wird. Dazu kommt noch eine durch die Sturm- und Lawinenschäden vom Winter 1983/84 nötig gewordene Zwangsnutzung, welche 20-25% der jährlichen Normalnutzung ausmacht. Den Kreisen der Forstwirtschaft stellt sich somit das Problem, einen Preiszusammenbruch auf dem Holzmarkt zu verhindern und die Marktanteile von einheimischem Holz zu erhöhen. Ausdruck dieses Bestrebens war der Zusammenschluss aller massgebenden Wirtschafts- und Branchengruppen zum «Komitee Schweizer Holz» unter dem Präsidium von Nationalrat Houmard (fdp, BE). Dem Begehren aus forstwirtschaftlichen Kreisen, die Einfuhr von ausländischem Industrieholz für einige Monate zu stoppen, wurde vom Bundesrat ein weiteres Mal nicht stattgegeben.
Die Forstwirtschaft befindet sich auch unabhängig vom Waldsterben, welches die Preise auf dem Holzmarkt zusammenbrechen lässt, in einer finanziellen und strukturellen Krise: Seit 1982 hat sich die Ertragslage für die Forstbetriebe stark verschlechtert (Preisrückgang für Holz um 20-30%), und 1983 schlossen über 50% der forstwirtschaftlichen Betriebsrechnungen negativ ab. Fehlende finanzielle Anreize führten dazu, dass vor allem Wälder, welche privaten Eigentümern gehören, nicht mehr genügend gepflegt wurden. Einer verstärkten Pflege des Waldes kommt aber gerade im Hinblick auf die verschiedenen Parasiten wie etwa die Borkenkäfer, welche in der Folge von Schädigung und Absterben der Bäume in grosser Zahl auftreten, besondere Bedeutung zu. Der Schweizerische Verband für Waldwirtschaft rief daher den Bundesrat auf, Massnahmen zur Stützung der Forstbetriebe zu erlassen, damit diese den erhöhten Anforderungen der Zwangsnutzung genügen könnten ; unter anderem wurde auch die Erstellung von Waldstrassen zur Erleichterung des sofortigen Abtransports der kranken und abgestorbenen Bäume sowie die vermehrte Verwendung von einheimischem Holz in öffentlichen und vom Bund subventionierten Bauten verlangt [21].
Das Parlament verabschiedete im Frühjahr 1984 einen auf fünf Jahre beschränkten dringlichen Bundesbeschluss: Mit insgesamt 150 Mio Fr. will es Beiträge an ausserordentliche Massnahmen gegen Waldschäden auszahlen. Während Bundesrat und Parlament weitergehende Massnahmen zur Bekämpfung der Ursachen des Waldsterbens ablehnten, forderte unter anderem der Schweizerische Verband für Waldwirtschaft die eidgenössischen Gremien auf, durch vorzeitige Inkraftsetzung der einschlägigen Verordnungen zum Umweltschutzgesetz und durch dringliche Bundesbeschlüsse die Schadstoffausstösse von Industrie, Haushalt und Verkehr drastisch zu senken. Diese Forderung nach Bekämpfung der Primärursachen — der chronischen Vergiftung der Umwelt durch die vielfältig verschmutzte Luft — wurde auch von verschiedenen Arbeitstagungen und vom «1. Wald-Bericht» des EDI erhoben [22].
top
W.S.
 
[20] Sanasilva-Bericht: Presse vom 16.2.84; 27.11.84; vgl. auch TA, 18.7.84; 28.8.84; NZZ, 21.8.84; 1.10.84; Presse vom 13.9.84; 22.11.84; BaZ, 26.9.84; 27.9.84; wie auch Die Volkswirtschaft, 57/1984, S. 339 ff., 741 ff., 752 ff. und Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 135/1984, S. 289 ff., 637 ff., 817 ff., 905 ff.; 136/1985, S. 251 ff. Siehe ferner SPJ, 1983, S. 100, 125 ff. und unten, Teil I, 6d (Umweltbedrohung).
[21] SGT, 15.2.84; 21.3.84; Ww, 8, 23.2.84; Bund, 20.3.84; TA, 21.3.84; NZZ, 27.4.84; IBZ, 40, 5.10.84; 50, 14.12.84; BaZ, 7.11.84; E.P. Grieder, «Folgen des Waldsterbens. Der Holzverbrauch muss steigen», in Aktuelles Bauen, 19/1984, Nr. 12, S. 52 ff.; Die Volkswirtschaft, 57/1984, S. 339 ff.; 58/1985, S. 278 ff. Schweizerischer Verband für Waldwirtschaft: SHZ, 5, 2.2.84; TA, 22.2.84; IBZ, 10, 9.3.84; NZZ, 19.10.84. Vgl. auch Motion und Interpellation Houmard (Verhandl. B.vers., 1983, I, S. 50; 1984, 11/111, S. 54) und die als Postulat überwiesene Motion der LdU/EVP-Fraktion zur Förderung der Holzlagerung (Amtl. Bull. NR, 1984, S. 979 f.). Der Ständerat überwies ferner eine Motion Lauber (cvp, VS) betreffend Sofortmassnahmen zur Pflege der Gebirgswälder (Amtl. Bull. StR, 1984, S. 676 ff.).
[22] BBl, 1984, I, S. 1093 ff., 1370; III, S. 1129; Amtl. Bull. NR, 1984, S. 470 ff., 572, 584, 1669 ff.; Amtl. Bull. StR, 1984, S. 158, 204, 214; NZZ, 26.1.84; 20.3.84; 3.5.84; 4.5.84; 19.6.84; Presse vom 20.3.84; TA, 3.5.84; 19.6.84; 19.12.84. Vgl. auch die lancierte Volksinitiative «Kampf dem Waldsterben», welche die Umweltbelastung auf den Stand von 1955 senken möchte (BBl, 1984, III, S. 355 f.; Presse vom 31.10.84). Siehe ferner W. Schärer / W. Zimmermann, Politische und rechtliche Betrachtungen zum Thema Waldsterben in der Schweiz, Zürich 1984; ders., «Rückblick auf die wichtigsten forstpolitischen Entscheide des Bundes im Jahre1984», in Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, 136/1985, S. 275 ff.; Eidgenössisches Departement des Innern, Waldsterben und Luftverschmutzung, Bern 1984.