Année politique Suisse 1984 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Strassenverkehr
Aufgrund der polizeilich registrierten Zwischenfälle im Strassenverkehr wurde im Berichtsjahr mit einem
Unfallrückgang von 1 bis 2 Prozent gerechnet. Eine Bestätigung fand diese neue Entwicklung durch die Zahl der Verletzten, die auf 30 500 (–6,1 %) sank, sowie durch die 1085 Todesfälle (–6,4%). Da der Fahrzeugbestand erneut wuchs, wurde der Rückgang vor allem auf die Reduktion des Tempos auf 50 km/h innerorts zurückgeführt
[18].
Zwei Vernehmlassungen zu regulativen Vorstössen im Bereich des Strassenverkehrs zogen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Einmal stellte das EJPD den
Vorentwurf für eine Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes den Kantonen, Parteien und interessierten Organisationen zu. Zur Diskussion standen im wesentlichen Vorschriften über die Breite und die Höchstgewichte der Lastwagen sowie ein Akkordverbot für Berufschauffeure. Auf heftige Opposition beim öffentlichen Verkehr sowie bei einem Teil der Parteien und Kantone stiess vor allem die
generelle Zulassung einer um 20 cm vergrösserten Breite für Camions. Begründet wurde diese Massnahme mit den Bestrebungen für eine europäische Vereinheitlichung. Die Opponenten hielten dem entgegen, eine Lockerung führe zu einer Attraktivierung der Strassentransversalen für den schweren Transitverkehr. Unterstützung fanden solche Argumente unter anderem in den Klagen, welche sich seit der Eröffnung des Gotthardtunnels mehren. Diese bewogen den Nationalrat denn auch, eine ständerätliche Motion zu überweisen, mit der eine vollständige Verlagerung des Transitschwerverkehrs über die Gotthardachse auf den Huckepack-Eisenbahnverkehr verlangt wurde
[19].
Sodann hatte die Landesregierung als Teil des Massnahmenpaketes gegen das Waldsterben über die
Höchstgeschwindigkeiten auf dem Strassennetz zu entscheiden. Im Sinne eines Kompromisses zwischen zwei diametral entgegengesetzten Lagern wurden diese ausserorts von 100 auf 80 km/h und auf Autobahnen von 130 auf 120 km/h reduziert. Der Entscheid soll ab 1985 für drei Jahre Gültigkeit haben. Ihm war ein in den Medien leidenschaftlich diskutiertes Vernehmlassungsverfahren vorausgegangen. Im Vordergrund stand dabei die Frage, ob die bisherige Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen belassen oder auf 100 km/h gesenkt werden sollte. Strittig waren im wesentlichen die erwartete Schadstoffreduktion in der Luft, die Auswirkung auf die Verkehrssicherheit und die Frage der Durchsetzbarkeit. Eine Reduktion befürworteten 11 Stände, die CVP, die SPS, fünf kleinere Parteien sowie sämtliche Umweltschutzorganisationen. Dagegen hatten sich ebenso viele Kantone, darunter sämtliche Westschweizer Stände, die FDP, die SVP und die LPS ausgesprochen. Abgelehnt wurde sie ausserdem von allen wichtigen Interessenorganisationen des Strassenverkehrs mit Ausnahme des VCS
[20].
Bereits vor dem Bundesratsentscheid hatte ein privates Komitee unter der Führung eines Automobiljournalisten eine
Volksinitiative «Pro Tempo 100/130» angekündigt, welche die bis dahin gültigen Höchstgeschwindigkeiten in der Bundesverfassung verankern möchte. Begründet wurde der Vorstoss damit, Reduktionen von Tempolimiten seien umweltpolitisch unbegründet; sie stellten vielmehr eine neue «Schikane» für den Automobilisten dar. Unterstützt wird er vom ACS und vom TCS. Im Parlament löste der Bundesratsentscheid verschiedene Reaktionen aus. Der Ständerat lehnte eine Motion ab, welche für die Festlegung von Höchstgeschwindigkeiten das Parlament zuständig erklären wollte. Als direkte Antwort auf das gestartete Volksbegehren «Pro Tempo 100/130» reichte Nationalrat A. Herczog (poch, ZH) eine Einzelinitiative ein, welche die Fixierung von Tempo 80 und 100 in der Bundesverfassung verlangt
[21].
Als Alternative zu den als unpopulär erachteten Temporeduktionen unterstützte die Automobilwirtschaft die Einführung von
Fahrzeugen, die mit Katalysatoren ausgerüstet sind. Sie sieht darin einen genügenden Beitrag zur Bekämpfung der Luftverschmutzung durch den Verkehr. Kritiker wendeten ein, diese Massnahme wirke sich nur langfristig aus, hätte deshalb vor Jahren eingeführt werden müssen. Das EJPD ermächtigte die zuständigen kantonalen Behörden, solche Fahrzeuge unter bestimmten Bedingungen zum Verkehr zuzulassen. Einzelne Kantone führten als Anreiz Steuerbegünstigungen für die Halter von Katalysatorfahrzeugen ein. Im weiteren entschied der Bundesrat, bis Mitte 1986 sukzessive nur noch unverbleites Normalbenzin zum Verkauf zuzulassen und damit eine Voraussetzung für die Katalysatortechnik zu erfüllen. Er zeigte sich gewillt, die Abgasvorschriften im Sinne der US-Norm 1983 zu verschärfen, sobald auch in den Nachbarstaaten eine hinreichende Versorgung mit unverbleitem Benzin sichergestellt ist
[22].
[18] Unfallstatistik: NZZ, 26.2.84. Fahrzeugbestand: NZZ, 9.1.85. Beurteilung der Unfallgefahr in der Bevölkerung: Schweiz. Gesellschaft für praktische Sozialforschung, Der Schweizer und die Sicherheit, Zürich 1984.
[19] Vernehmlassung: NZZ, 19.7.84. Motion: Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1113; vgl. auch NZZ, 20.9.84.
[20] Für das gesamte Massnahmenpaket vgl. unten, Teil I, 6d (Umweltbedrohung). Tempoentscheid: Presse vom 13.9.84. Vernehmlassung: TA, 15.5.84; 2.8.84; 16.8.84. Sprachgraben: BZ, 6.8.84; Suisse, 7.8.84.
[21] «Pro Tempo 100/130»: BBl, 1984, I, S. 766 ff.; vgl. auch BaZ, 25.2.84; 27.3.84; BZ, 18.4.84; 28.6.84; 30.8.84; NZZ, 27.3.84. Motion : Amtl. Bull. StR, 1984, S. 623 ff. ; vgl. auch NZZ, 9.10.84; 29.11.84. Einzelinitiative Herczog: Verhandl. B.vers, 1984, V, S. 17. Vgl. auch oben, Teil I, 1a (Funktionsfähigkeit des politischen Systems).
[22] NZZ, 13.3.84; 1.9.84; 18.9.84; 9.2.84; TAM, 39, 29.9.84; BaZ, 2.11.84, 22.12.84; SGT, 6.11.84; vgl. auch Amtl. Bull. NR, 1984, S. 973, 975. Vgl. auch unten, Teil I, 6d (Umweltbedrohung).
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