Année politique Suisse 1985 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Sozialdemokratische Partei
Nicht nur ein schärferes Profil, sondern eine neue Identität suchte man weiterhin in der Sozialdemokratischen Partei (SP), die in den letzten Jahren noch ernstere Wahlverluste erlitten hat als die CVP [9]. Dabei kam neben den beiden antagonistischen Flügeln, dem traditionell gewerkschaftlich-sozialpolitischen und dem von den neuen Bewegungen inspirierten «grünen», auch eine Tendenz zum Ausdruck, welche die Partei auf einen pragmatischeren Kurs zu führen strebt. Indem sie auf die Bedürfnisse der Marktwirtschaft eingeht, möchte sie gerade dem kleineren Unternehmertum gegenüber das Image der Wirtschaftsfeindlichkeit abstreifen. Den Kontakt mit einem dynamischen Unternehmertum suchte auch eine Studientagung über die neuen Technologien zu fördern, die von der Präsidentin der Wirtschaftskommission der SPS, L. Uchtenhagen, organisiert wurde, an der aber mit den Referenten N. Hayek und P. Arnold eher die Optik der Grosskonzerne vertreten war [10]. Parteipräsident H. Hubacher forderte seinerseits dazu auf, den Gegebenheiten mehr Rechnung zu tragen. Da die Bevölkerung sich in der Schweiz trotz aller Kritik im Grunde doch wohl fühle, müsse man in der Opposition Mass halten und sich von allzu radikalen Tendenzen — wie etwa einer prinzipiellen Armeegegnerschaft — abgrenzen [11]. Im Sinne der ökologischen Tendenz und zugleich einer praxisnahen Parteitätigkeit gab das Zentralsekretariat ein Handbuch über Umwelt-, Energie- und Verkehrsfragen heraus, das Kommunalpolitikern Informationen und Anregungen bieten soll [12].
Im Rahmen der im Vorjahr an die Hand genommenen Organisationsreform genehmigte der Parteivorstand im Herbst die Anträge der eingesetzten Arbeitsgruppe; danach sollen die Mitgliederbeiträge erhöht, auf Landesebene ohne Rücksicht auf Einkommen vereinheitlicht und durch zusätzliche Beiträge von Inhabern staatlicher Ämter sowie durch Spendenaktionen ohne politische Auflagen ergänzt werden. Planung und Kontrolle der Parteifinanzen wurden verstärkt. Die Überweisung der Beiträge durch die Kantonalparteien, die sehr unregelmässig geworden war, normalisierte sich. Organisatorische Änderungen nahmen auch die SP-Frauen vor; so öffneten sie den Männern die Mitgliedschaft [13].
In verschiedenen Kantonen nahmen die Richtungskämpfe ihren Fortgang und schwächten die Positionen der Partei. Auf die Auseinandersetzungen um sozialdemokratische Regierungskandidaturen, die in Solothurn zur Niederlage beider offiziellen Nominationen der SP führten, sind wir schon an anderer Stelle eingegangen; zu dem mit Unterstützung traditioneller Parteikreise wiedergewählten G. Wyss ging die Solothurner Kantonalorganisation auf Distanz, wie es im Vorjahr die Stadtberner SP gegenüber Gemeinderat H. Bratschi getan hatte [14]. In der Berner Kantonalpartei konnte das Aufbrechen eines Zwists infolge der Finanzaffäre vermieden werden. Da gegen die drei sozialdemokratischen Regierungsräte keine konkreten Beanstandungen vorlagen, wurden diese ohne zusätzliche Nominationen für die Wahlen von 1986 wieder aufgestellt [15]. Die Spannungen zwischen Partei und Gewerkschaften blieben trotz neuen Vermittlungsversuchen in Zürich wirksam, so dass es für die Neuwahl der Stadtexekutive im Frühjahr 1986 nicht zu einer Einigung über die beidseitigen Kandidaturen kam. In der Stadt Bern normalisierte sich dagegen das Verhältnis [16]. Im Tessin gediehen die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung mit dem Partito socialista autonomo (PSA) zu einem Abkommen über das einzuschlagende Verfahren, dem beide Parteivorstände zustimmten. Gerüchte über eine Verwicklung des sozialdemokratischen Staatsrates R. Bervini in eine Liegenschaftsaffäre gaben jedoch Anlass zu einer Auseinandersetzung zwischen der PSA-Führung und dem wenig fusionsfreundlichen Magistraten, worauf der Parteitag der SP das vorbereitete Abkommen verwarf. Der PSA wandte sich nun an die sozialdemokratische Landeszentrale in Bern, wo man die Bereitschaft zeigte, im Tessin ausnahmsweise zwei Kantonalparteien zu anerkennen. Gleichzeitig bildete sich in der Tessiner SP eine Arbeitsgemeinschaft, welche die Fusionsbemühungen fortsetzen will, damit aber die Gefahr einer zusätzlichen Parteispaltung entstehen lässt [17].
 
[9] Identität: H. Hubacher in Rote Revue, 64/1985, Nr. 1, S. 1; A. Blum an regionaler Maifeier bei Bern (Bund, 29.4.85); vgl. SPJ, 1983, S. 218. Wählerverluste: vgl. oben, Teil I, 1e sowie SGT, 12.10.85.
[10] Pragmatischere Tendenz: NR M. Leuenberger (ZH) nach TA, 17.6.85; vgl. auch F. A. Meyer in Sonntags-Blick, 19, 12.5.85. Studientagung: Sonntags-Blick, 23, 9.6.85; TA, 10.6.85. Vorbehalte gegenüber einer rein wirtschaftlichen Dynamik kamen an einer Medientagung der Partei zum Ausdruck (SP-Information, 192, 30.9.85).
[11] Blick, 14.5.85. Zur prinzipiellen Armeegegnerschaft vgl. oben, Teil I, 3 (Landesverteidigung und Gesellschaft). Für eine Abgrenzung gegenüber sozialistischen Diktaturen, Bürokratie und utopischen Fixierungen plädierte auch der Genfer NR R. Longet in Rote Revue, 64/1985, Nr. 1, S. 17 ff.
[12] Handbuch SPS/PSS. Umwelt-, Energie- und Verkehrspolitik in der Gemeinde. Ein Handbuch für Kommunalpolitiker, Bern 1985.
[13] Organisationsreform: SGT, 17.7.85; TA, 11.10.85; 28.10.85; BaZ, 28.10.85; vgl. SPJ, 1984, S. 215. Der Parteivorstand beschloss eine erste Beitragserhöhung; für die Neuordnung des Beitragssystems ist der Parteitag zuständig. Eine erste Spendenaktion wurde bereits im Sommer durchgeführt (LNN, 16.7.85). Kantonalparteien : BZ, 9.10.85. SP-Frauen: Vr, 26.6.85; Rote Revue, 64/1985, Nr. 7/8.
[14] Regierungskandidaturen: vgl. oben, Teil I, 1e (Kantonale Wahlen, Solothurn und St. Gallen) sowie SPJ, 1984, S. 215 f.; zur Haltung der SP von SO zu Wyss siehe SZ, 23.8.85; NZZ, 24.8.85. Für Bern vgl. SPJ, 1984, S. 37.
[15] Vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung); TW, 15.11.85; 20.12.85; Bund, 17.2.86.
[16] Zürich: NZZ, 7.2.85; Zürcher Presse vom 26.9.85; TA, 2.11.85; vgl. SPJ, 1984, S. 215. Bem: BZ, 20.4.85.
[17] Abkommen: CdT, 11.10.85; vgl. auch CdT, 6.7.85; 29.8.85. Bervini: CdT, 9.10.85; 26.10.85; 22.11.85; NZZ, 11.11.85. SP-Parteitag: CdT, 25.11.85. SP-Landeszentrale: CdT, 6.12.85; 20.12.85; TA, 23.12.85. Arbeitsgemeinschaft: CdT, 28.11.85; SGT, 28.11.85; vgl. auch TA, 26.11.85. Die Widerstände gegen die Fusion veranlassten deren Hauptförderer, NR D. Robbiani, das Präsidium der kantonalen SP niederzulegen (CdT, 29.10.85; 22.11.85).