Année politique Suisse 1985 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Unternehmer
Die Vertreter der Spitzenorganisationen von Industrie und Handel drückten ihre Befriedigung über die wirtschaftliche und im grossen und ganzen auch über die politische Entwicklung aus. Der Schweizerische Handels- und Industrieverein / Vorort (SHIV) sah in der Tatsache, dass die Impulse für den weltwirtschaftlichen Aufschwung vor allem von den USA und Japan ausgegangen waren, eine Bestätigung seiner Grundsätze. Die von ihm auch für die Schweiz propagierte Verbesserung der angebotsseitigen Rahmenbedingungen, worunter insbesondere der Abbau staatlicher Vorschriften und Kontrollen sowie Erleichterungen im fiskalischen Bereich verstanden werden, habe namentlich in den USA, in beschränktem Rahmen allerdings auch in andern Industriestaaten, den Unternehmern neuen Mut gegeben, die Gewinnerwartungen verbessert und die Investitionsbereitschaft gekräftigt. Dass die Wachstumsimpulse ausgerechnet von Ländern mit relativ langen Jahresarbeitszeiten ausgegangen waren, nahmen die Vertreter des Vororts zum Anlass, die These der Gewerkschaften und der politischen Linken, welche besagt, dass die bestehenden Beschäftigungsprobleme nur mit Arbeitszeitverkürzungen gelöst werden können, unter Beschuss zu nehmen [4].
Dem Zentralverband schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen (ZSAO) bereitet, wie übrigens auch dem Schweizerischen Gewerbeverband, die Entwicklung der Sozialversicherungen grosse Sorge. Seiner Ansicht nach ist vor allem in diesem Bereich unbedingt ein Marschhalt und eine finanzielle Konsolidierung angezeigt. Neben der kostenmässigen Belastung durch die Sozialversicherungen bemängelte er auch den administrativen Aufwand, der dem Arbeitgeber aufgebürdet wird. Im Bereich der Tagespolitik konnte der. SHIV anlässlich der Volksabstimmung über die Innovationsrisikogarantie einen Erfolg verbuchen. Aus vorwiegend grundsätzlichen Überlegungen hatte er gemeinsam mit dem Gewerbeverband gegen diese Vorlage, die eine staatliche Hilfe bei der Aufnahme von Risikokapital für bestimmte zukunftsgerichtete Vorhaben einführen wollte, das Referendum ergriffen. Ebenfalls im Sinne der Unternehmerverbände fiel die Volksabstimmung über die gewerkschaftlich-sozialdemokratische Ferieninitiative aus. Auffallend war im Berichtsjahr im weitern die vielfach durchschlagskräftige Vertretung des Unternehmerstandpunkts durch Praktiker aus der Wirtschaft in den parlamentarischen Debatten. Besonders deutlich kam dies bei den Beratungen über die Revision des .Aktienrechts sowie des Gesetzes über steuerbegünstigte Arbeitsbeschaffungsreserven zum Ausdruck [5].
Nach der 1984 erfolgten Ablehnung der sozialdemokratischen Volksinitiative standen die Banken wieder etwas weniger im Zentrum des politischen Geschehens. Mit den politischen Entscheiden während des Berichtsjahres durfte die Schweizerische Bankiervereinigung recht zufrieden sein. So strich das Parlament gegen den Antrag der Regierung die Zinskontrolle aus dem Anwendungsbereich des neuen Gesetzes über die Preisüberwachung. Die von den Banken als dringlich erachtete Schaffung einer Rechtsnorm zur Bekämpfung sogenannter Insiderdelikte an den Börsen kam zügig voran. Der im Mai vom Bundesrat dem Parlament unterbreitete Gesetzesentwurf deckt sich weitgehend mit den Vorstellungen der Banken. Weil verschiedene Staaten dank Liberalisierungsmassnahmen und fiskalischen Entlastungen als Standort für Bankgeschäfte attraktiver geworden sind, schwindet der traditionelle Konkurrenzvorsprung des Finanzplatzes Schweiz. Die Interessenorganisation der Bankiers setzte deshalb trotz guter Geschäftsergebnisse den Kampf für die Verbesserung namentlich der fiskalischen Rahmenbedingungen fort. Sie fand für ihre Anliegen, von denen der Bundesrat massive Einnahmeneinbussen befürchtet, parlamentarische Unterstützung. Die Volkskammer überwies eine Motion Feigenwinter (cvp, BL), welche einige der Forderungen des Bankengewerbes enthält. Praktisch der ganze Forderungskatalog der Bankiervereinigung in bezug auf steuerliche Entlastung der Bankgeschäfte findet sich in zwei noch nicht behandelten identischen Motionen, welche freisinnige Abgeordnete in beiden Kammern eingereicht haben [6]
Im personellen Bereich zeichnete sich in der Bankiervereinigung eine Wachablösung ab. A. Sarasin kündigte an, dass er im Herbst 1986 nach zwanzigjähriger Amtsdatier als Präsident zurückzutreten gedenke. Als Nachfolger wurde vom Verwaltungsrat der Genfer Privatbankier Claude de Saussure bestimmt. Im Blick auf dessen fortgeschrittenen Alters darf seine Wahl eher als Interregnum betrachtet werden, das Zeit einräumt für grundsätzliche Überlegungen zum Thema Amtszeitbeschränkung und zum ungeschriebenen Gesetz, welches den Vorsitz Privatbankiers vorbehält [7].
Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), in dem unter anderem mehr als 200 Berufsorganisationen aus dem Gewerbe, aber auch aus Handel und Verkehr zusammengeschlossen sind, hielt am 15. Oktober in Bern seinen Kongress ab. An dieser im Dreijahresturnus stattfindenden Veranstaltung wurde im Sinne einer Standortbestimmung die Verbandspolitik der letzten Jahre bestätigt. Präsident Kündig stellte dabei namentlich fest, dass sich die vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen weiter verschlechtert hätten und dass in der Sozialpolitik das Mass des finanziell Tragbaren überschritten sei [8]. Besonders gross war das Engagement des SGV bei zwei Vorlagen, welche das Parlament 1984 verabschiedet hatte. Sowohl im Fall der Schaffung einer Innovationsrisikogarantie (IRG) durch den Bund als auch bei der Revision des Eherechts trug der Gewerbeverband kräftig zum Zustandekommen des Referendums bei. Während sich die Ablehnung der IRG als Form staatlicher Hilfe für Unternehmer nahtlos in sein wirtschaftspolitisches Credo einordnen liess, gründete die Gegnerschaft des SGV zur Eherechtsreform nicht allein auf wirtschaftlichen Motiven. Seine Kritik beschränkte sich keineswegs auf Einwände in bezug auf erbrechtliche Folgen für Familienbetriebe und ähnliche gewerbespezifische Belange. Mit aller Deutlichkeit lehnte er im Verlauf der Abstimmungskampagne auch die der Reform zugrundeliegende Idee ab, welche von partnerschaftlichen Beziehungen in der Ehe ausgeht. Bei der IRG befand sich der SGV auf der Seite der Sieger, in der Frage der Modernisierung des Eherechts blieb er hingegen mit seine Ansichten in der Minderheit [9].
 
[4] ZSAO, Jahresbericht, 78/1985, S. 7 ff. SHIV/Vorort, Jahresbericht, 115/1984-85, S. 9 ff. In seiner Ansprache an der Delegiertenversammlung des SHIV vom 13.9.1985 relativierte der Präsident des Vororts allerdings die Vorbildlichkeit der amerikanischen Wirtschaftspolitik und wies auf die riesigen Budget- und Aussenhandelsdefizite hin. Gerade von letzterem drohe das Aufleben eines für die Schweiz gefährlichen Handelsprotektionismus (L. von Planta, Mehr Freiraum — weniger Zwänge, Zürich 1985, S. 4 ff.). Der SGB kritisierte die Interpretation des Wirtschaftsaufschwungs durch den Vorort (SGB, 25, 12.9.85).
[5] ZSAO, Jahresbericht, 78/1985, S. 8 f. und 63 ff. Vgl. oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik; Strukturpolitik; Gesellschaftsrecht) und 7a (Temps de travail). Zu den Belastungen der Unternehmer durch die Sozialkosten vgl. SAZ, 80/1985, S. 205 f. Siehe ferner P. Spälti, «Unternehmer, Politik, Wirtschaft», in SAZ, 80/1985, S. 245 f.
[6] Schweiz. Bankiervereinigung, Jahresbericht, 73/1984-85. Zu den erwähnten Sachvorlagen siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerbspolitik) und 4 b (Banken).
[7] Ww, 39, 26.9.85; NZZ, 5.12.85.
[8] SGV, Geschäftsbericht, 106/1985, S. 7 und 17 ff.; M. Kündig in SGZ, 49, 5.12.85. Vgl. zum Kongress auch SGZ, 41, 10.10.85; 43, 25.10.85; 45, 7.11.85. Allgemein zum SGV siehe die Selbstdarstellung in Gewerbliche Rundschau, Nr. 1, 1985, Beilage zu SGZ, 51, 20.12.84.
[9] Vgl. dazu oben, Teil I, 4a (Strukturpolitik), 7d (Politique familiale) sowie SPJ, 1984, S. 223. Speziell zum Eherecht siehe SGZ, 34, 22.8.85.