Année politique Suisse 1985 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Landwirtschaft
Der
Schweizerische Bauernverband (SBV) als Spitzenorganisation der Landwirtschaft konstatierte mit Genugtuung, dass die offiziellen Leitlinien der Agrarpolitik, wie sie im 1985 vom Parlament genehmigten 6. Landwirtschaftsbericht des Bundesrates festgehalten sind, weitgehend mit seinen eigenen Vorstellungen übereinstimmen. Er warnte jedoch vor der auch in diesem Bericht erkennbaren Tendenz, den Massstab des Paritätslohns als Berechnungsgrundlage für die Einkommenspolitik in Frage zu stellen. Mit Nachdruck verteidigte der SBV die Landwirtschaftspolitik gegen grundsätzliche Kritik, wie sie im Berichtsjahr praktisch zum ersten Mal auch von prominenter Seite vorgebracht wurde. So hatte Bundesrat Stich die Frage aufgeworfen, ob sich die grossen Kosten der Stützungsund Förderungsmassnahmen angesichts der zahlenmässig geringen Bedeutung des primären Sektors überhaupt rechtfertigen lassen. Von seiten der Industrie wurde zusätzlich auch noch auf die Problematik der protektionistischen Agrarhandelspolitik hingewiesen, die sich mit den von der Schweiz hochgehaltenen Grundsätzen nur schlecht vertrage. Weil das Prinzip der Einkommenssicherung über die Preise in vielen Sektoren zu Überproduktion führe, sollte nach Ansicht des SHIV vermehrt zum Mittel der produktionsunabhängigen Ausgleichszahlungen gegriffen werden. Anlässlich der Delegiertenversammlung des SBV am 19. November in Bern sprach sich Direktor Juri entschieden gegen einen Systemwechsel und insbesondere gegen eine Aufwertung der Direktzahlungen aus. Seiner Meinung nach ist nicht erwiesen, dass mit solchen Änderungen eine günstigere Mengensteuerung erreicht würde. In bezug auf die Kostenfrage hielt er fest, dass die Ausgaben für die öffentliche Hand tragbar seien und sie im internationalen Vergleich bescheiden ausfallen würden. Zudem dürfe man in Anbetracht der hohen Löhne den schweizerischen Konsumenten durchaus Preise zumuten, die über dem Weltmarktniveau liegen
[10].
In seinen Stellungnahmen zu nichtlandwirtschaftlichen Problemen erwies sich der SBV einmal mehr recht gouvernemental. Er lehnte einerseits die gewerkschaftliche Ferieninitiative und die von Tierschützern lancierte Initiative für ein Verbot der Vivisektion ab; anderseits unterstützte er die vom Parlament verabschiedete Reform des Eherechts gegen die Opposition des Gewerbeverbandes. Bei der Abstimmung über das Eherecht trat allerdings auch ein starkes bäuerliches Gegen-Komitee in Erscheinung. Zu der von Wirtschaftskreisen als Grundsatzfrage für das ökonomische System erklärten Schaffung einer Innovationsrisikogarantie nahm er ebensowenig Stellung wie zur Vereinheitlichung des Schuljahrbeginns
[11].
In der Agrarpolitik lehnte der SBV namentlich auch Preisdifferenzierungen zugunsten kleinerer Produzenten ab. Genau dies ist jedoch ein wichtiges Postulat der
Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) und der
Union des producteurs suisses (UPS). Die VKMB verlangte vom SBV, dem sie immer noch angehört, vergeblich die Aufnahme der Forderung nach Preisdifferenzierungen bei der Milch und bei Ackerbauprodukten in seine Politik. Sie kündigte ferner an, dass sie bei Nichterfüllung ihrer Forderung gegen den für 1987 vorgesehenen neuen Milchwirtschaftsbeschluss das
Referendum ergreifen werde. Wichtigstes Ereignis für die VKMB war freilich die Einreichung der Volksinitiative «fir ein naturnahes Bauern — gegen Tierfabriken». Mit einer Starthilfe des Lebensmitteldiscounters Denner (50 000 Unterschriften) gelang es ihr, innert nützlicher Frist rund 130 000 Unterschriften für dieses Anliegen zu sammeln
[12]. Die zum Bauernverband in Opposition stehende UPS. scheint ihre organisatorische und finanzielle Krise vorerst gemeistert zu haben. Auffallend war hingegen, dass sie einen gemässigteren Kurs eingeschlagen hatte und sich in ihren Angriffen auf den SBV und die offizielle Landwirtschaftspolitik sehr zurückhielt. Der VKMB versprach sie Unterstützung bei einem eventuellen Referendum gegen den Milchwirtschaftsbeschluss 1987, darüber hinaus wünschte sie ganz allgemein eine engere Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppierungen
[13].
[10] SBV, Jahresbericht, 88/1985, S. 12 f.; LNN, 21.1.85; SHIV/Vorort, Jahresbericht, 115/1984-85, 5.117 ff.; wf, Dok., 11, 18.3.85; F. Leutwiler, «Wirtschaftspolitische Standortanalyse», in VSIG-Mitteilungen, 1985, Nr. 7/8, S. 4 ff. Vgl. auch oben. Teil I, 4c (Agrarpolitik).
[11] NZZ, 8.2.85 (Ferien); 5.9.85; LID, Pressedienst, 1401, 12.7.85 (Eherecht); 1403, 26.7.85 (IRG, Schulkoordination); 1419, 15.11.85 (Vivisektion).
[12] Preisdifferenzierung: Gnueg Heu dune!, 1985, Nr. 5; BZ, 4.2.85; LID, Pressedienst, 1420, 22.11.85. Initiative: BBl, 1985, I, S. 1245 ff.; Gnueg Heu dune!, 1985, Nr. 3 und 7. Vgl. auch oben, Teil I, 4c (Tierische Produktion) sowie SPJ, 1984, S. 93.
[13] Union, 3, 6.3.85; 4, 3.4.85; siehe auch SPJ, 1984, S. 224. Zur freundlicheren Haltung der UPS gegenüber dem SBV siehe Union, 6, 5.6.85.
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