Année politique Suisse 1985 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Öffentliche Ordnung
Die öffentliche Ordnung wurde im Berichtsjahr namentlich in Genf durch eine Serie von Sprengstoff- und Brandanschlägen beeinträchtigt. Einige davon standen im Zusammenhang mit Konflikten in den Nahoststaaten. Betroffen von den
Terrorhandlungen arabischer Aktivisten waren vorwiegend Büros ebenfalls arabischer Gesellschaften
[10]. Bei einer zweiten Gruppe von Vorfällen war eine Verwandtschaft mit den Anschlägen, welche sich 1984 in Winterthur abgespielt hatten, unverkennbar. Dies um so mehr, als sie nach der Verhaftung eines bereits in Winterthur Tatverdächtigen zum Erliegen kamen. In Winterthur selbst kam es zu einigen Verurteilungen wegen Fassadenschmierereien im Umfeld der erwähnten Ereignisse. Der Prozess gegen die beiden Hauptverdächtigen fand jedoch noch nicht statt. Proteste gegen die lange Dauer ihrer Untersuchungshaft sowie die Einschränkung der Verteidigerrechte blieben erfolglos. Nach Ansicht des Bundesgerichts — wie auch sämtlicher Vorinstanzen — sind Massnahmen wie beispielsweise die Überwachung des Kontakts zwischen den Angeklagten und ihren Rechtsbeiständen angesichts der Schwere der zur Last gelegten Delikte gerechtfertigt
[11]. Ferner bestätigte das Bundesgericht in einem anderen Fall die erstmalige Verhängung einer unbedingten Gefängnisstrafe wegen öffentlicher Aufforderung zu Gewalt aufgrund des 1982 revidierten Art. 259 StGB. Dieser Tatbestand könne in bestimmten Situationen auch dann erfüllt sein, wenn das zu begehende Delikt nicht explizit genannt wird
[12].
Die politischen
Demonstrationen verliefen im Berichtsjahr mit wenigen Ausnahmen friedlich. Thematisch ergab sich eine Häufung um das Flüchtlingsproblem, wobei auf den Strassen durchwegs zugunsten der Asylanten manifestiert wurde. Nicht gegen die Politik der schweizerischen, sondern der schwedischen Flüchtlingsbehörden richteten sich die Besetzungen verschiedener Büros (darunter das schwedische Konsulat in Basel) durch Kurden
[13]. Rund 10 000 Personen versammelten sich drei Tage vor dem Gipfeltreffen zwischen Gorbatschow und Reagan in Genf zu einer internationalen Kundgebung für den Frieden. Fast ebensogross war der Zulauf zur Protestveranstaltung in Kaiseraugst (AG) nach dem positiven Entscheid des Nationalrats zum dort geplanten Kernkraftwerk
[14].
Das
Projekt eines gesamtschweizerischen kriminalpolizeilichen Informationssystems (KIS) wurde einstweilen zu den Akten gelegt. Angesichts der rechtlichen Probleme und der politischen Widerstände beschloss die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, den Bundesrat zu ersuchen, die Vorarbeiten zu einem entsprechenden Bundesgesetz einzustellen. Dies bedeutet nun aber nicht, dass die Polizei Zukunft auf den verstärkten Einsatz moderner Informationsmittel verzichten will. Als sehr effizient, insbesondere für die Kontrolle an der Landesgrenze, erwies sich der probeweise Betrieb des auf elektronische Datenverarbeitung umgestellten Personenfahndungsregisters des Bundesamtes für Polizeiwesen. Im Gegensatz zum MS sind in diesem neuerdings RIPOL (Recherche informatisée policière) genannten System lediglich die zur; Fahndung ausgeschriebenen Personen erfasst, nicht hingegen Verdächtigte oder Vorbestrafte. Mit einer Verordnung erteilte der Bundesrat auf den 1. Januar 1986 die Erlaubnis für die Aufnahme des Vollbetriebs, wobei für die Kantone allerdings kein Anschlusszwäng herrscht
[15].
[10] Suisse, 27.4.85; 28.4.85; 3.6.85.
[11] Genf: JdG, 5.3.85; Suisse, 3.4.85. Winterthur: SPJ, 1984, S.17 f. ; NZZ, 15.5.85 ;11.7.85; 30.8.85 (Urteile); Vr, 21.11.85; 5.12.85; TA, 5.12.85 (Untersuchungshaft). Grosses Aufsehen erregte die Feststellung, dass in der neuen Aargauer Polizeikaserne Abhörgeräte zur Belauschung der Gespräche zwischen Untersuchungsgefangenen und deren Verteidigern installiert worden waren. Der Regierungsrat liess sie noch vor ihrer Inbetriebnahme entfernen (AT, 12.9.85; 2.10.85; Ww, 37, 12.9.85; 38, 19.9.85).
[12] Vr, 27.7.85; NZZ, 8.8.85; vgl. SPJ, 1984, S. 18.
[13] Vgl. zu den Solidaritätsaktionen für Flüchtlinge z.B. NZZ, 29.10.85; 4.11.85. Kurden: Presse vom 25.5.85. Zum Flüchtlingsproblem selbst siehe unten, Teil I, 7 d (Réfugiés).
[14] Genf: Suisse, 17.11.85 ; Presse vom 18.11.85. Kaiseraugst : BaZ, 25.5.85 ; vgl. auch unten, Teil I, 6 a (Energie nucléaire).
[15] Direktorenkonferenz : TA, 20.4.85. 1982 hatten die Justiz- und Polizeidirektoren den Bundesrat eingeladen, ein KIS-Bundesgesetz zu entwerfen. RIPOL: AS, 1986, S. 7 ff.; TA, 24.7.85. Vgl. auch SPJ, 1984, S. 18.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.