Année politique Suisse 1985 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Kantonalen Wahlen
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St. Gallen
Auch im Kanton St. Gallen waren Auseinandersetzungen um den sozialdemokratischen Regierungssitz der Anlass zu Spannungen zwischen dem gewerkschaftlich-traditionellen und dem linken SP-Flügel. Im Vorfeld der Ersatzwahl für den krankheitshalber zurückgetretenen Regierungsrat Florian Schlegel (sp) kam es hier zum Bruch des Bündnisses zwischen SP und Gewerkschaften: Der von der SP nominierte linksalternative Rolf Vetterli war für den kantonalen Gewerkschaftsbund als Nachfolger der «Integrationsfigur Schlegel» nicht akzeptabel. Die Gewerkschaftsspitzen kündigten daher der SP die bisherigen partnerschaftlichen Beziehungen auf und schickten als Kampfkandidaten den Gewerkschaftssekretär Toni Falk ins Rennen [11]. Nach einer Kontroverse wegen seiner Unterschrift unter die Initiative «Schweiz ohne Armee» zog Vetterli seine Kandidatur zurück, worauf die SP kurz vor den Wahlen ihren Parteipräsidenten Walter Ammann portierte. Während die FDP den Gewerkschaftskandidaten unterstützte, forderten CVP wie Landesring schliesslich dazu auf, keinen der beiden Kandidaten zu wählen, sondern einen dritten Namen auf den Wahlzettel zu schreiben, um einen zweiten Wahlgang zu erreichen [12]. So blieben sowohl Falk wie Ammann weit unter dem absoluten Mehr. Nachdem Einigungsgespräche mit den Gewerkschaften gescheitert waren, nominierte die SP für den zweiten Wahlgang den Buchser Gemeindepräsidenten und Nationalrat Hans Rohrer. Da dieser von den übrigen Parteien unterstützt wurde, zog sich Falk zurück, und die Wahl Rohrers wurde zur reinen Formsache [13].
 
[11] Die Kontroverse entzündete sich am Verhalten von alt-NR Hans Schmid. Dieser hatte auf Anfrage der SP eine Kandidatur abgelehnt, auf Drängen von Gewerkschaftern sich aber doch noch dazu bewegen lassen; am Nominierungsparteitag der SP unterlag er jedoch deutlich gegen Vetterli (SGT, 12.8.85; 26.8.85; 2.9.85; 13.9.85).
[12] Die CVP-Führung hatte angesichts der Zerstrittenheit in der Arbeiterbewegung erwogen, mit einer eigenen Kandidatur die bisherige «Zauberformel» (3 CVP, 3 FDP, 1 SP) zu sprengen; sie fand damit aber bei ihren Delegierten keine Mehrheit (SGT, 11.10.85; 18.10.85). Wahlkampf: SGT, 26.9.85; 7:10.9.85; 16.10.85; 22.10.85. Letzte ordentliche Wahlen: siehe SPJ, 1984, S. 33.
[13] 1. Wahlgang: 27.10.1985. Die Stimmbeteiligung betrug nur 15% (SGT, 28.10.85). Im 2. Wahlgang vom 19.1.1986 wurde Rohrer gewählt, wobei nur noch 9% der Stimmberechtigten mobilisiert werden konnten (SGT, 20.1.86; 22.1.86). Zum 2. Wahlgang: SGT, 22.11.85; 2.12.85; 3.12.85; 12.12.85. Siehe auch A. Dörler, «SP und Gewerkschaften — das St. Galler Zerwürfnis», in TAM, 2, 11.1.86, sowie unten, Teil III a (Sozialdemokratische Partei).