Année politique Suisse 1985 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Mietwesen
Die Mietzinse stiegen gegenüber 1984 um 3,3%; ein weiteres Mal bestätigte sich, dass Preiserhöhungen im Mietwesen vor allem durch Renovationen und Modernisierungen bei älteren Wohnungen bedingt sind. Das Bundesamt für Wohnungswesen veröffentlichte eine Untersuchung über die Wohnsituation in der Schweiz, welche auf der Wohnungszählung von 1980 beruht. Darin wird beispielsweise aufgezeigt, dass die Zahl der kleinen Familienhaushalte (Ein- und Zweikinder-Familien, alleinerziehende Eltern) stark gestiegen ist und das allgemeine Wohnniveau (mehr Raum, bessere Ausstattung) weiter zugenommen hat. Problemgruppen sind kinderreiche und junge Familien sowie alleinerziehende Elternteile. Am schlechtesten sind die Wohnverhältnisse bei Ausländern. Die Studie stellt eine verstärkte Segregation in der räumlichen Verteilung von Schweizern und Ausländern auf die Wohnquartiere fest. Namentlich in grösseren Städten haben die Gettoisierungstendenzen zugenommen; gewisse Quartiere weisen einen Ausländeranteil von über 50% auf
[10].
Der Bundesrat
unterbreitete den eidgenössischen Räten die Volksinitiative «für Mieterschutz» mit dem Antrag auf Ablehnung und stellte diesem Begehren einen direkten Gegenvorschlag auf Verfassungsebene und einen indirekten auf Gesetzesebene entgegen. In seiner Botschaft begründete er die ablehnende Haltung insbesondere damit, dass die Initiative Begriffe verwende, die allzu auslegungsbedürftig seien, und machte weiter geltend, dass sie in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren eingreife, das bis zur Abstimmung eingestellt werden müsste. Der Bundesrat schlug daher vor,
auf Verfassungsebene den Geltungsbereich der Missbrauchsgesetzgebung auf die ganze Schweiz auszudehnen und den
Kündigungsschutz auf Gesetzesebene durch Schaffung eines entsprechenden Bundesgesetzes sowie durch die Revision der Mietvertragsbestimmungen im OR zu verbessern; die Revisionen auf Verfassungs- und Gesetzesstufe sollen dabei gleichzeitig vorgenommen werden, da sie 1987 den befristeten Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen abzulösen hätten. Der bundesrätliche Vorschlag unterscheidet sich von der Mieterschutz-Initiative namentlich in zwei Punkten: Er hält erstens an der sogenannten Marktmiete, wie sie sich durch Angebot und Nachfrage aufdem freien Markt entwickle, fest, während die Initiative den Grundsatz der Kostenmiete einführen will; danach sollte dem Vermieter eine angemessene Verzinsung des investierten Kapitals zugestanden werden. Der Bundesrat verzichtete in seinem Vorschlag zweitens auf die von den Initianten geforderte Aufhebung von sogenannten ungerechtfertigten Kündigungen. Bei seinen Beratungen folgte der
Ständerat dem bundesrätlichen Antrag und lehnte die Initiative gegen die Stimmen der Sozialdemokraten ab. Weiter beschloss die kleine Kammer — gegen den Bundesrat — die Gesetzesrevisionen in Mietrecht bis zur Abstimmung über Initiative und Gegenvorschlag zu sistieren. Ausdruck der hauseigentümerfreundlichen Haltung des Ständerates war auch die zusätzliche Verankerung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit im Gegenvorschlag. Während der Hauseigentümerverband seine Opposition auch noch gegen diesen abgeschwächten Gegenentwurf anmeldete, da er die Vermieter einseitig belaste, sahen die Mieterverbände vorerst von einem Rückzug ihrer Initiative ab
[11].
In
Genf stimmte der Souverän einer Volksinitiative zu, welche den
Wohnungsverkauf zum Schutz der Mieter der kantonalen Bewilligungspflicht unterstellt. Ebenfalls einen besseren Schutz der Mieter bezweckt eine in der Waadt verabschiedete Gesetzesänderung. In den Kantonen Luzern und Schwyz reichten linke Kreise und Mietervereinigungen eine Initiative zur steuerlichen Entlastung der Mieter ein. Der Grosse Rat von St. Gallen erklärte ferner eine Volksinitiative für ungültig, welche die Anrechnung des sogenannten Eigenmietwerts für Hauseigentümer zum steuerbaren Einkommen abschaffen wollte
[12].
[10] Die Volkswirtschaft, 58/1985, S. 381 ff. und 811 ff. ; Bundesamt fir Wohnungswesen, Wohnen in der Schweiz. Auswertung der Eidgenössischen Wohnungszählung 1980, Bern 1985; siehe auch M. Geiger, Wohnung, Wohnungsstandort und Mietzins. Grundzüge einer Theorie des Wohnungsmarktes basierend auf Wohnungsmarktanalysen in der Region Bern, Bem 1985 ; M. Bassand e.a., Les Suisses entre la mobilité et la sédentarité, Lausanne 1985. Siehe ferner SPJ, 1984, S. 119.
[11] Amtl. Bull. StR, 1985, S. 639 ff. und 653 ff.; BBl, 1985, I, S. 1389 ff.; Presse vom 28.3.85; 24.6.85; 5. und 6.12.85; NZZ, 11.10. 85; TA, 26.10.85; BaZ, 4.12.85; SGT, 4.12.85; wf, Kurzkommentare, 13, 1.4.85; wf, Dok., 48, 2.12.85 ; Wir Brückenbauer, 50, 11.12.85. Der LdU verabschiedete das Leitbild «Sinnvoller Mieterschutz — aktiver Wohnungsbau» (BaZ, 3.4.85; NZZ, 4.4.85). Siehe auch T. K. Kiechle, Miete, Einkommen und Wohnungsnachfrage, Grüsch 1985 sowie SPJ, 1983, S. 125.
[12] Genf: Suisse, 12.1.85; 4.3.85; TG, 20.2.85; VO, 21.2.85; JdG, 2.3.85; Genfer Presse vom 11.3.85; siehe auch Coop-Zeitung, 47, 21.11.85. Luzern : LNN, 1.4.85; 5.9.85; St. Gallen: SGT, 8.5.85; TW, 23.5.85. Schwyz: LNN, 3.1.85; 24.12.85. Waadt: 24 Heures, 6.3.85; 6.12.85. In der Stadt Zürich stimmten die Stimmbürger der SP-Initiative «gegen Bodenspekulation» zu (NZZ, 24.5.85; TA, 28.5.85; Zürcher Presse vom 6.10.85); vgl. auch TAM, 23, 8.6.85; WoZ, 39, 27.9.85; U. Isler, Die Ruinen von Zürich, Zürich 1985. Das Bundesgericht schützte die Rechtsgrundlage des Wohnanteilplans (WAP) der Stadt Zürich: NZZ, 27. und 28.5.85; TA, 27. und 28.2.85; vgl. auch Blätter für ein neues Bodenrecht, 1985, Nr. 23. Siehe ferner DISP, 1985, Nr. 80/81 sowie unten, Teil II, 4e.
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