Année politique Suisse 1985 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Kultur
Im Zentrum der
Kulturpolitik des Jahres 1985 standen für einmal nicht grundsätzliche Stellungnahmen oder weitreichende Entwürfe, sondern die Langwierigkeiten gesetzgeberischer Detailarbeit
[1].
Er erstaunte deshalb nicht, dass die Kommentare zum kulturpolitisch wichtigsten Traktandum der letzten Jahre verhalten ausfielen, indem sie dem Gegenvorschlag zur Kulturinitiative entweder zubilligten, dass er das politisch Mögliche allenfalls verwirklichen könnte, oder indem sie seine Unverbindlichkeit als ungenügende Grundlage für den später notwendigen Realisierungsdruck erachteten.
Wie schon im Ständerat hatte die Kulturinitiative auch im Nationalrat keine Chance; einzig die Zürcher Landesring-Abgeordnete V. Grendelmeier beantragte erfolglos deren Annahme. Die Mehrheit der vorberatenden Kommission des Nationalrates
hielt beim Gegenentwurf an der «Kann»-Formulierung bezüglich des kulturpolitischen Engagements des Bundes fest, fasste dieses jedoch konkreter durch die namentliche Aufführung einzelner Tätigkeiten. Sie schlug ausserdem vor, dass der Bund die kulturfördernde Tätigkeit von Privatpersonen unterstützen kann. Eine Kommissionsminderheit votierte dagegen für eine Bestimmung, die den Bund zu einem Einsatz finanzieller Mittel «entsprechend der Bedeutung der Kultur in unserem Lande» verpflichtet hätte. In den Beratungen des Nationalrates sprachen sich die Fraktionen von SVP und NA für die Variante des Ständerates aus, SP, POCH und mit Einschränkungen auch der Landesring votierten für die Fassung der Kommissionsminderheit, während sich FDP und CVP für die Version der Mehrheit einsetzten. Die Liberale Partei vertrat die föderalistische Gegenposition und lehnte eine Kulturartikel generell ab. Die Version der Kommissionsmehrheit setzte sich schliesslich mit 90 zu 82 Stimmen gegen die Vorlage des Ständerates durch, wurde von diesem aber im Differenzbereinigungsverfahren abgelehnt. Die beiden Räte einigten sich schliesslich auf eine Fassung, die eine nicht konkretisierte Kompetenznorm des Bundes, angereichert durch die Bestimmung betreffend Unterstützung der Kulturförderung Privater, vorsieht. Im Bestreben, nur mit einer Vorlage vors Volk zu treten und die Initianten zum Rückzug ihres Begehrens zu veranlassen, hatte die Landesregierung sowohl die zunächst obsiegende Nationalratsversion wie auch den definitiven Text unterstützt. In Beantwortung einer Interpellation machte sie deutlich, dass ein stärkeres finanzielles Engagement des Bundes zum Teil vom Abstimmungsausgang abhängen werde. Im Zusammenhang mit ihren Beratungen zum neuen Kulturartikel überwiesen beide Kammern des Parlaments eine Kommissionsmotion, die den Bundesrat beauftragt, mögliche Gesetzesvorhaben oder Gesetzesänderungen für
fiskalische Anreize zur Kulturförderung durch Private vorzulegen
[2].
Nach der herrschenden und durch den neuen Verfassungsartikel bestätigten Aufgabenteilung liegt die Kulturförderung in erster Linie in den Händen von Kantonen und Gemeinden. Der seit geraumer Zeit geforderte verstärkte
Einbezug von Regionsgemeinden bei der Abgeltung städtischer Leistungen im Kulturbereich erfordert flexible Lösungen. Die Stadt St. Gallen konnte sich gemäss einem umfassenden Bericht des Stadtrates (Exekutive) in den letzten Jahren bei andern Aufgaben entlasten. Im Kanton Bern wurde eine Änderung des Kulturförderungsgesetzes betreffend Übernahme der Betriebsdefizite von grossen kulturellen Institutionen vom Parlament an die Regierung zurückgewiesen. Bemühungen um eine freiwillige Verdoppelung der Beiträge der Agglomerationsgemeinden von Bern stiessen mehrheitlich auf ein positives Echo, und die Stadt Biel einigte sich mit ihren Regionsgemeinden auf ein Modell, das diese zu abgestuften freiwilligen Beiträgen verpflichtet und ihnen gleichzeitig ein Mitspracherecht garantiert
[3].
Wichtige Führungspositionen im kulturpolitischen Bereich wurden 1985 neu besetzt. Als Nachfolger des aus gesundheitlichen Gründen auf Ende Jahr vorzeitig zurückgetretenen Frédéric Dubois wählte der Bundesrat auf dem Berufungswege den bisherigen Chefredaktor von Radio DRS,
Alfred Defago, zum neuen Direktor des Bundesamtes für Kulturpflege. Ebenfalls in der Kompetenz der Landesregierung lag die Ernennung eines neuen Präsidenten der Pro Helvetia. Für den nach Ablauf seiner Amtszeit ausgeschiedenen Freiburger Historiker und Politologen Roland Ruffieux wählte sie den Zürcher Landesring-Nationalrat Sigmund Widmer. Unter Führung von Delegierten der erwähnten Kulturstiftung steht das Centre culturel suisse in Paris, das im Oktober in Anwesenheit von Bundesrat Egli eröffnet wurde. Es stellt die erste derartige Institution der Pro Helvetia im Ausland dar und soll namentlich zur Vermittlung schweizerischen Kulturschaffens beitragen
[4].
Das zweite grosse gesetzgeberische Vorhaben, die im Vorjahr vom Bundesrat vorgelegte
Neuregelung des Urheberrechts, trat in die parlamentarische Phase. Nachdem seine vorberatende Kommission Hearings durchgeführt und von einer grossen Gegnerschaft Kenntnis genommen hatte, beschloss der Ständerat zwar Eintreten auf die Vorlage, gleichzeitig aber auch einstimmig deren Rückweisung an die Regierung, mit dem Auftrag, eine konsensfähigere Lösung zu finden. Dabei sollte im wesentlichen der Schutz der Produzenten, der Werkvermittler und der verschiedenen Nutzerkreise verbessert sowie das kollektive und auftragsabhängige Werkschaffen vermehrt berücksichtigt werden. Daneben wäre auch einem differenzierten Leistungsschutz (Interpreten, Computerprogramme usw.) sowie einer verstärkten Kontrolle der Verwertungsgesellschaften Rechnung zu tragen. Nach Bundesrätin Kopp könnte ein überarbeiteter Entwurf in zwei Jahren vorgelegt werden. Das Ungenügen der geltenden Regelung verdeutlichte auch ein Bundesgerichtsentscheid, der die Verletzung von Urheber- und Persönlichkeitsrechten von Orchestermusikern verneinte, wenn öffentliche Veranstaltungen zu privaten Zwecken in Bild und Ton festgehalten werden
[5].
Der Feststellung, dass durch Interpretation eines Werkes durch Orchestermusiker kein neues Werk und damit keine schützenswerte persönliche künstlerische Leistung entstehe, konnten Musikkenner gerade in dem vom Europarat initiierten Europäischen Jahr der Musik nicht beipflichten. In dessen Rahmen leistete der Bund, zum Teil aus dem Prägegewinn von Sondermünzen, Beiträge in der Höhe von 2 Mio Fr., wobei die Hälfte für zwei längerfristige und grosse Projekte reserviert waren. Einen Ausbau der Kulturförderung, namentlich zugunsten jener, deren Ansprüche bis jetzt nicht befriedigt worden sind, forderten Vertreter anderer Bereiche, so z.B. die in der nationalen Dachorganisation Centre suisse zusammengeschlossenen Theaterverbände. Diese stellten 15 Thesen zu einer Theaterpolitik in der Schweiz vor, die Mängel und Probleme des Theaters offenlegten und die verschiedenen Anliegen von etablierten Häusern wie auch von kleineren Betrieben gleichberechtigt nebeneinander aufführten
[6].
Auch beim Film stand die Verteilung der Mittel zwischen den verschiedenen Bereichen derselben Sparte zur Diskussion. Das neue Filmförderungsmodell, ausgearbeitet von der Sektion Film des Bundesamtes für Kulturpflege und von Experten, sieht vor, den Anteil der nichtproduzierenden Teilhaber an der schweizerischen Filmkultur (Marketing, Archivierung) abzubauen und auch die Filmprämien zugunsten der Förderung von Drehbüchern zu kürzen. Für die eigentliche Produktionsförderung bleiben somit noch 60% des Gesamtkredits, was gegenwärtig 4,5 Mio Fr. entspricht. Davon sollen 75 % in mittlere und grössere Kinoproduktionen fliessen, während sich alle andern Bewerber in den Rest teilen müssen.
Deutschsprachige Filmproduktionen können in der Schweiz kaum mehr ohne ausländische Mittel realisiert werden; sie werden seit langem namentlich von grösseren deutschen Fernsehanstalten unterstützt. Eine im Jahre 1984 unterzeichnete
Vereinbarung mit der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet des Films sieht deshalb eine offizielle Anerkennung von Koproduktionen und deren Gleichstellung mit inländischen Filmen sowie eine Erleichterung des Filmaustausches zwischen beiden Ländern vor. Die Vereinbarung wurde vom Bundesrat dem Parlament zur Genehmigung unterbreitet und von beiden Räten einstimmig angenommen. Ein analoges Abkommen besteht seit 1977 mit Frankreich; mit Italien fanden Expertengespräche für einen entsprechenden Vertragsabschluss statt. Beide Kammern überwiesen zudem eine Motion Morf (sp, ZH) betreffend das Schweizerische Filmarchiv in Lausanne, die Cinémathèque suisse. Weil deren Stellung am ehesten mit Landesbibliothek und Landesmuseum verglichen werden kann, soll ihr Jahresbeitrag künftig im Budget der Eidgenossenschaft als separater Posten aufgenommen und nicht mehr dem Filmfdrderungskredit angelastet werden. Diese Regelung wird aber erst mit dem neuen Legislaturfinanzplan ab 1988 zum Tragen kommen
[7].
[1] Allgemeine Artikel und Publikationen zur Kulturpolitik: A. Egli, «Réflexions sur la politique culturelle », in Documenta, 1985, Nr. 1, S. 9 fl.; F. Horlacher, Kultursubventionen, Begründung öffentlicher Kulturförderung und zielgerechte Ausgestaltung von Kultursubventionen, mit besonderer Berücksichtigung der Zürcher Kulturpolitk, Bern 1984.
[2] Verhandlung im Parlament: Amtl. Bull. NR, 1985, S. 524 ff., 540 ff., 1193 f., 1896 ff., 2274; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 279 ff., 433 f., 666, 770; NZZ, 10.1.85; 1.3.85; 17.4.85; 7.6.85; 20.6.85; 21.6.85; 28.6.85; 14.9.85; Presse vom 23.1.85, 15.3.85, 19.3.85, 29.3.85, 6.6.85, 3.12.85 und 11.12.85; vgl. SPJ, 1984, S. 163 f. Während den Verhandlungen war eine einjährige Fristverlängerung für die Behandlung der Initiative nötig geworden. Definitiver Text: BBl, 1986, I, S. 45 f. Kommissionsmotion: Amtl. Bull. NR, 1985, S. 573 f.; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 283; NZZ, 23.1.85; 18.3.85; 20.3.85; 24 Heures, 23.1.85. Interpellation Longet (sp, GE) betreffend mittelfristige Massnahmen bei der Kulturpolitk: Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1839 ff.
[3] St. Gallen: TA, 30.11.85. Bern: Bund, 18.1.85; 13.3.85; 29.3.85; 14.5.85; 22.5.85; 30.7.85; 4.9.85; vgl. SPJ, 1984, S. 164. Biel: NZZ, 17.8.85.
[4] Bundesamt für Kulturpflege: LM, 15.8.85; TA, 15.8.85; Presse vom 10.12.85. Pro Helvetia: NZZ, 14.11.85; 29.11.85. Centre culturel suisse: JdG, 24.9.85; 5.10.85; Bund, 25.9.85; NZZ, 26.9.85; 15.10.85; TA, 14.10.85; 24 Heures, 15.10.85; Vat., 23.10.85. Bezüglich des Engagements von Pro Helvetia war der BR anfänglich ablehnend eingestellt, vgl. SPJ, 1983, 5.172.
[5] Amtl. Bull. StR, 1985, S. 584 ff.; NZZ, 31.1.85; 3.5.85; 30.5.85; 4.7.85; 23.8.85; 24 Heures, 23.8.85; SGT, 3.10.85; Presse vom 4.10.85; vgl. SPJ, 1984, 5.164 f.
[6] Bundesgericht: Bund, 26.2.85. Jahr der Musik: NZZ, 16.1.85; Vat., 16.1.85. Theaterverbände: TA, 2.7.85; 15 Thesen abgedruckt in Vr, 12.7.85.
[7] Filmförderungsmodell : TA, 11.1.85. Vereinbarung mit BRD: BBl, 1985, II, S. 325 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1985, S.1403 f.; Amtl. Bull. StR, 1985, 5.667; NZZ, 23.5.85; 19.9.85; 11.12.85; Vat., 23.5.85. Verhandlungen mit Italien : Vat., 6.11.85. Motion Morf betreffend Cinémathèque suisse: Amtl. Bull. NR, 1985, S. 1236 f. ; Amtl. Bull. StR, 1985, S. 668; NZZ, 11.11.85.
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