Année politique Suisse 1985 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kirchen
Im Gegensatz zum Verhältnis zwischen den einzelnen Sprachgruppen ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im allgemeinen weniger problembelastet [12]. Dozenten der Universität Freiburg wiesen darauf hin, dass sich aus historischer Perspektive eine zunehmende Trennung von Kirche und Staat feststellen lasse, die gesellschaftliche Bedeutung der Kirche aber nach wie vor sehr gross sei. Die Entwicklung laufe darauf hinaus, dass die Kirche zunehmend auf Distanz gehe, um ihre Auffassungen ohne Rücksicht auf staatliche Interessen vertreten zu können. Tatsächlich bewiesen verschiedene Stellungnahmen der Kirchen zur Asylpolitik diese Eigenständigkeit. Die drei Landeskirchen veröffentlichten ein Memorandum mit dem Titel «Auf der Seite der Flüchtlinge», mit dem sie zu einer ethisch verantwortbaren Asylpolitik aufriefen. Zu einer Kontroverse führte der Aufruf einiger Geistlicher, abgewiesenen Asylanten, denen die Ausschaffung droht, privates Kirchenasyl anzubieten. Die damit verbundene Bezugnahme auf eine über dem Staat stehende Autorität wurde verschiedentlich kritisiert. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund anerkannte, dass das Inschutznehmen abgewiesener Asylbewerber ethisch gerechtfertigt sein könne und bat die Behörden um Verständnis; er lehnte jedoch generelle Aufrufe zu illegalen Aktionen ab. Aber auch in andern Bereichen markierten die Kirchen ihre eigenständige Position. Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der Schweiz legte ein umfassendes Memorandum zum Schutze der Natur vor («Mensch sein im Ganzen der Schöpfung»). Darin forderten sie ein grundsätzliches Umdenken und zahlreiche Massnahmen zum Schutze der Umwelt und betonten, dass ohne strukturelle Änderungen in der Gesellschaft die notwendige Verhaltensänderung des Einzelnen nicht genügend wirksam werde. Eine von der Kommission «Justitia et Pax» veröffentlichte Studie («Die Verantwortung der Kirche im Wohnungswesen») und eine entsprechende Tagung brachten den Willen der katholischen Kirche und ihrer Institutionen zu einem vermehrten Engagement im Wohnungswesen zum Ausdruck, namentlich auch zugunsten der Benachteiligten auf diesem Gebiet [13].
Die geplante Neueinteilung der Bistümer stiess bei verschiedenen Kantonsregierungen auf vorsichtig formulierte Opposition, da sie unter anderem um bestehende Mitwirkungsrechte fürchteten. Aber auch einzelne Vertreter der Römisch-katholischen Kirche sprachen sich zugunsten gewachsener Strukturen und gegen Aufteilungen aus. Die aus privater Initiative entstandene Schweizerische Evangelische Synode (SES) setzte ihre Diskussionen an zwei weiteren Veranstaltungen in Winterthur und La Chaux-de-Fonds fort. Sie stellte fest, dass nach sechs von zehn geplanten Sessionen ein Dialog unter Einbezug relativ vieler Laien in Gang gekommen sei. Auffallend blieb weiterhin, dass verschiedene Probleme zwar diskutiert, aber auf eine abschliessende Stellungnahme vorderhand verzichtet wurde [14].
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C.M.
 
[12] Publikationen allgemeiner Art zur Kirche: B. Ehrenzeller, Die Diözesankonferenz des Bistums Basel, Freiburg 1985 ; H. B. Peter, « Verkrampfte Strukturen», in Einspruch. 12 Vierzigjährige zur politischen Situation in der Schweiz, Zürich 1985; F. Furger / C. Strobel-Nepple, Menschenrechte und katholische Soziallehre, Freiburg 1985; H. Ruh, «Das kirchliche Interesse am Rechtsstaat», in NZZ, 8.1.85; 9.1.85; R. Jagmetti, «Kirche, Rechtsstaat und Widerstandsrecht», in NZZ, 14.1.85.
[13] Verhältnis Kirche-Staat: Bund, 29.1.85. Asylpolitik: TA, 10.5.85; 3.10.85; BaZ, 6.9.85; 25.9.85; NZZ, 25.9.85; 15.10.85; 14.11.85; 19.12.85; siehe auch oben, Teil I, 7d (Réfugiés). Natur/Umwelt: BaZ, 11.9.85; NZZ, 11.9.85; TA, 11.9.85. Wohnungswesen: BaZ, 27.9.85; 7.10.85.
[14] Neueinteilung der Bistümer: SZ, 17.1.85; 5.7.85; SGT, 25.1.85; NZZ; 28.1.85; 13.9.85; Vat., 5.2.85; 26.2.85; 19.4.85; 12.6.85; vgl. SPJ, 1984, S. 167. SES: BaZ, 3.5.85; 20.6.85; NZZ, 3.5.85; 17.5.85; 18.5.85; 20.5.85; 8.11.85; 11.11.85; TA, 18.5.85; 19.6.85; 24 Heures, 19.6.85; Vat., 27.7.85; 3.8.85; vgl. SPJ, 1984, S. 167.