Année politique Suisse 1986 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Schweizerische Volkspartei
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) erklärte sich für volksnäher als die FDP, aber von linken Hypotheken freier als die CVP. Sie musste jedoch aufgrund einer im Winter 1985/86 durchgeführten Meinungsforschung feststellen, dass die seit einem Jahrzehnt angestrebte Öffnung gegenüber neuen Wählerschichten nicht gelungen war. Nach Aussagen von Parteiexponenten ergab die nicht veröffentlichte Studie, dass der SVP weiterhin ein konservatives, bäuerlich geprägtes Image anhaftete. Als Hauptproblem bezeichnete Zentralpräsident A. Ogi das Verhältnis zu den Frauen. In dieser Hinsicht war es ein Verlust für die Partei, dass die Zürcher Bäuerin Grete Brändli, die 1984 zur Vizepräsidentin gewählt worden war und zur ersten SVP-Nationalrätin seit 1975 hätte aufgebaut werden sollen, sich Anfang 1986 zurückzog. Als einzige Bundesratspartei nahm die SVP das Volksnein zum UNO-Beitritt mit einer negativen Landesparole vorweg. Um aber nicht als isolationistisch zu gelten, arbeitete sie Thesen zur Aussen- und Asylpolitik aus, die sich vom Kurs der Regierung hauptsächlich durch eine betontere Distanzierung gegenüber dem sowjetischen Machtbereich abheben
[11].
Schwer trug die SVP an der ungünstigen Entwicklung im Kanton Bern, wo sie ihre stärkste Kantonalpartei besitzt. Diese hatte im Zusammenhang mit der Berner Finanzaffäre rund 15% ihrer Wähler verloren; ausserdem schwelte in bäuerlichen Kreisen Unmut gegen die reformfreundliche Parteispitze. Um eine Stellungnahme gebeten, empfahl die Landesparteileitung, die im Zusammenhang mit ihrer kantonalen Regierungstätigkeit in eine Strafuntersuchung verwickelten Nationalräte W. Martignoni und B. Müller sollten unverzüglich ihre Mandate niederlegen, um unbelasteten Kräften Platz zu machen
[12]. Ein gewisses Aufsehen erregten auch die Listenverbindungen der Zürcher Stadtpartei mit der Nationalen Aktion bei den Gemeinderatswahlen. Im Thurgau zog die SVP weitere Konsequenzen aus ihrer Verselbständigung gegenüber der FDP: so machte sie dieser — mit Erfolg — einen Regierungssitz streitig und bildete eine eigene Grossratsfraktion
[13].
[11] Selbstverständnis: AT, 1.9.86; vgl. auch NR Blochers Charakterisierung der SVP als «liberal-konservativ» (AT, 10.11.86). Meinungsforschung: SGT, 30.8.86; NZZ, 1.9.86; vgl. dazu SPJ, 1976, S. 176 f. ; 1977, S. 173. Frauen : SN, 24.10.86 (Interview mit A. Ogi) ; ferner BZ, 15.7.86;AT, 18.7.86 (Interview mit A. Ogi); TA, 1.9.86. 1974-1975 war Elisabeth Lardelli (GR) als SVP-Vertreterin im NR. Nachfolgerin von G. Brändli wurde Christine Ungricht. UNO-Beitritt: Bund, 10.2.86; vgl. oben, Teil I, 2 (Organisation des Nations Unies). Aussen- und Asylpolitik: AT, 15.10.86.
[12] Wählerverlust: siehe oben, Teil I, 1e (Kantonale Wahlen, Bern); zur Finanzaffäre vgl. oben, Teil I, 1c (Regierung). Bäuerlicher Unmut: BZ, 24.5.86; 27.6.86; Bund, 28.6.86; 4.9.86. Martignoni und Müller: Presse vom 15.10.86; Ww, 43, 23.10.86; Ogi in SN, 24.10.86. Der als Regierungsrat im April wiedergewählte Müller verzichtete noch im Oktober auf eine erneute NR-Kandidatur (Bund, 29.10.86), der aus der Regierung zurückgetretene Martignoni erst im Januar 1987 (BZ, 21.1.87). Wegen Differenzen mit Parteikreisen seiner Region verliess der südjurassische NR J.-P. Gehler die SVP (Bund, 9.1.86 ; BZ, 23.1.86 ; TA, 12.12.86 ; vgl. SPJ, 1979, S. 42).
[13] Zürcher Gemeinderatswahlen (Parlament): vgl. oben, Teil I, 1e (Kommunale Wahlen, Zürich) sowie TA, 12.2.86 (Distanzierung Ogis). Thurgau: siehe oben, Teil I, 1e (Ersatzwahlen, Thurgau) sowie TA, 18.6.86; 27.6.86; ferner SPJ, 1984, S. 217 f.
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