Année politique Suisse 1986 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Landwirtschaft
Der
Schweizerische Bauernverband (SBV) als wichtigste Interessenorganisation der Landwirtschaft sah sich vermehrt in die Defensive gedrängt. Der Volksabstimmung über den Zuckerbeschluss, bei der es vordergründig um eine Ausdehnung der Anbaufläche und um den Abbau von Bundessubventionen zulasten der Konsumenten ging, wurde auch vom SBV grundsätzliche Bedeutung zugemessen. Die erstmalige Verwerfung einer agrarpolitischen Vorlage seit dreissig Jahren zeigte, dass die Kritik an der von Behörden und Bauernverband vertretenen Landwirtschaftspolitik in weiten Kreisen Gehör findet. Die Verbandsspitzen reagierten auf diese Anfechtungen recht konziliant und kündigten einerseits eine vermehrte Rücksichtnahme auf Forderungen des Umweltschutzes und der Konsumenten sowie andererseits eine grössere Betonung der Selbsthilfemassnahmen, wie etwa freiwilligen Produktionsbeschränkungen, an. Zugleich zeigten sie sich überzeugt, dass mit einer verbesserten Information über die Leistungen und Produktionsbedingungen der schweizerischen Landwirtschaft verlorenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden könne. Als symbolisch für die angestrebte flexiblere und weniger dogmatische Haltung wurde die Wahl des 38jährigen Melchior Ehrler zum Nachfolger des altershalber zurücktretenden Verbandsdirektors René Juri gewertet. In der nichtlandwirtschaftlichen Tagespolitik blieb der SBV auch 1986 bei seiner regierungsund parlamentstreuen Linie. Nur gerade bei der UNO-Abstimmung, wo sich Gegner und Befürworter eines Beitritts die Waage hielten, wich seine Abstimmungsparole von der Empfehlung der eidgenössischen Räte ab
[10].
In repräsentativen Umfragen schälte sich heraus, dass die Bevölkerungsmehrheit den SBV als Sprecher der unter günstigen Bedingungen produzierenden Flachlandbauern qualifiziert und ihm mangelnden Einsatz für Klein- und Bergbauern vorwirft. Diese Kritik wird im Innern des SBV von der
Vereinigung zum Schutz der kleinen und mittleren Bauern (VKMB) vertreten. Der Verbleib dieser Organisation im SBV war im Berichtsjahr ernsthaft in Frage gestellt. Nachdem Vizepräsident R. Baumann, der als einziger Repräsentant der VKMB im Grossen Vorstand des SBV sitzt, den geringen Einfluss seiner Voten auf die Verbandspolitik konstatiert hatte, beantragte die Sektion Bern den Austritt aus der Dachorganisation. Im Gegensatz zum VKMB-Präsidenten Hochuli und zu Baumann kam der VKMB allerdings zum Schluss, davon abzusehen, da eine Interessenvertretung ausserhalb der Verbandsstrukturen noch wirkungsloser wäre. Garniert war die Auseinandersetzung mit Polemiken zwischen den beiden Verbänden. Der SBV ermunterte den VKMB zum Austritt und goss mit der von einem Funktionär formulierten These, dass Kleinbetriebe mit weniger als zehn Kühen nicht als echte Landwirtschaftsbetriebe zu betrachten seien, noch zusätzliches Öl ins Feuer. Nach dem Verzicht auf den Austritt entspannte sich die Atmosphäre; das Thema dürfte aber spätestens bei der zu erwartenden negativen Stellungnahme des SBV zur Kleinbauern-Initiative des VKMB wieder aktuell werden. Der vorwiegend Landwirte aus dem Mittelland und der Voralpenzone umfassende VKMB versuchte im Berichtsjahr, verstärkt unter den Bergbauern Fuss zu fassen : einen ersten Erfolg konnte er mit der Gründung der Sektion Saanen im Berner Oberland erzielen
[11].
Mehr Stosskraft verspricht man sich auch von einer engeren Zusammenarbeit mit der
Union des producteurs suisses (UPS). Diese hat sich freilich in den beiden letzten Jahren stark an den SBV (dem sie jedoch nicht angehört) angenähert und beurteilte dessen Verbandspolitik ausnehmend freundlich. Im Gegensatz zur VKMB, die wegen fehlender Zusagen für die Verteilung der zusätzlichen Kontingente auf eine Parole verzichtete, unterstützte die UPS den Zuckerbeschluss in der Volksabstimmung
[12].
[10] SBV, Jahresbericht, 89/1986, S. 11 ff. Vgl. auch die Berichte zur Delegiertenversammlung vom 18.11. in Bern in der Presse vom 19.11.86. Zur Landwirtschaftspolitik im allgemeinen und zum Zuckerbeschluss im besonderen siehe oben, Teil I, 4c. Der bisherige Direktionssekretär Ehrler wird sein Amt am 1.7.87 antreten (NZZ, 3.7.86 ; Politik und Wirtschaft, 1/1986, Nr. 11, S. 28 ff.). Abstimmungen : NZZ, 22.1.86 sowie Dokumentation zu den Parolen der Parteien und Verbände (eidg. und kantonale) im FSP, Bern.
[11] Austritt aus dem SBV : Bund, 3.2.86 ; NZZ, 4.2.86 ; AT, 10.4.86 ; SGT, 16.5.86 ; BaZ, 31.5.86. SBV : NZZ, 9.5.86; BZ, 10.5.86; Schweizer Bauer, 5.4.86; «Brugg-Informationen», in IBZ, 19, 6.5.86; Gnueg Heu dune!, 1986, Nr. 4, S. 11 (Replik). Bergbauern: Gnueg Heu dune!, 1986, Nr. 2, S. 3 ff. und Nr. 3, S. 6 f. Zu den verschiedenen Interessen innerhalb des SBV vgl. auch Ww, 20, 15.5.86.
[12] VKMB: TA, 15.4.86; NZZ, 1.9.86 (Zuckerbeschluss). UPS: Union, 12, 3.9.86; 16, 19.1 1.86.
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