Année politique Suisse 1986 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Strafrecht
Nach dem Scheitern einer bundesstaatlichen Lösung zur Verschärfung der Bestimmungen über den Erwerb und das Tragen von Waffen sind nun auch die diesbezüglichen Bestrebungen der kantonalen Polizeidirektoren eingestellt worden. Der Widerstand von Schützen, Waffensammlern und Jägern gegen die beabsichtigte Aufnahme der Bewilligungspflicht für Waffenbesitz in das Waffenkonkordat erwies sich als zu grosses Hindernis [16].
Die breit angelegte Neugestaltung des Strafrechts wurde planmässig fortgesetzt. Von den rund 400 Artikeln des Strafgesetzbuchs befinden sich zur Zeit mehr als die Hälfte in Revision [17]. Die vorberatende Kommission des Ständerats nahm die Verhandlungen über die Reform der Bestimmungen betreffend strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie auf. Die neue Norm über Gewaltdarstellungen fand grundsätzlich Zustimmung, die Kommission wünschte jedoch eine genauere Definition der strafbaren Tatbestände. In der Frage des Schutzalters entschied sie sich für eine Altersgrenze von 15 Jahren und gelangte somit zu einem Kompromiss zwischen den Vorschlägen der Expertenkommission Schultz (14 Jahre) und des Bundesrats (16 Jahre) [18].
Zu den Anträgen einer Expertenkommission zur Modernisierung der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen das Vermögen und gegen Urkundenfälschungen wurde 1986 das Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Als wichtigste Neuerung will der Entwurf den Justizbehörden die Verfolgung der sogenannten Computer-Kriminalität erleichtern. Unter anderem sollen der unbefugte Zugang zu Daten und die Manipulation derselben mit dem Zweck, sich oder Dritte unrechtmässig zu bereichern, neu unter Strafe gestellt werden [19].
Zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs (inkl. Jugendstrafrecht) präsentierten die beauftragten Experten Vorentwürfe. Beim Jugendstrafrecht sollen in Zukunft anstelle von Freiheitsentzug noch vermehrt therapeutische und erzieherische Massnahmen zum Zuge kommen. Im weitern wird die Heraufsetzung der Altersgrenze für die strafrechtliche Verantwortung von 7 auf 12 Jahre postuliert. Von einer ähnlichen Grundhaltung sind auch die Vorschläge betreffend die Sanktionen gegenüber Erwachsenen geprägt. Da sich kurze Gefängnisstrafen in der Praxis als hinderlich für die angestrebte Resozialisation von Straffälligen erwiesen haben, ist deren Ersetzung durch auf die Einkommenslage abgestimmte Geldbussen vorgesehen. Die Reaktion der Öffentlichkeit fiel zu beiden Vorentwürfen sehr positiv aus [20].
Der Bundesrat legte dem Parlament die Botschaft zur Genehmigung des Europaratabkommens aus dem Jahre 1984 betreffend die Überstellung von verurteilten Personen in ihr Heimatland vor. Mit einem vereinfachten Verfahren soll ausländischen Gefangenen die Möglichkeit des Absitzens der Freiheitsstrafe in ihrem Herkunftsland angeboten werden. Von der Verbüssung der Strafe im eigenen Kulturraum erwarten die Behörden günstige Auswirkungen auf die Wiedereingliederung von Delinquenten in die Gesellschaft [21].
 
[16] AT, 8.11.86. Diese Bewilligungspflicht besteht erst in 15 Kantonen. Vgl. auch SPJ, 1983, S. 18. Die kantonalen Polizeidirektoren kamen im weitern überein, in ihren Polizeikorps in Zukunft auf den Einsatz der völkerrechtlich geächteten Hohlspitzmunition gegen Menschen zu verzichten (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1535; Plädoyer, 4/1986, Nr. 5, S. 26 f.).
[17] Plädoyer, 4/1986, Nr. 6, S. 19 ff.
[18] NZZ, 22.1.86; 21.8.86; 11.11.86. Diverse Frauenorganisationen (u.a. der Schweiz. Verband für Frauenrechte) protestierten gegen die vom BR vorgeschlagene Straffreiheit für Vergewaltigung in der Ehe (NZZ, 2.6.86). Vgl. dazu auch G. Lauterburg, «Vergewaltigung — ein Delikt oder keines?», in Frauenfragen, 9/1986, Nr. 1, S. 61 ff. und S. Grossenbacher, «Vergewaltigung der Frauenfrage», in Emanzipation, 12/1986, Nr. 9, S. 3 ff. Zur Botschaft siehe SPJ, 1985, S. 16 f.
[19] BaZ, 13.5.86. Gemäss einem Bundesgerichtsentscheid gilt bereits jetzt das Abändern von Daten auf magnetischen Trägern zwecks Verschaffung von unrechtmässigen Vermögensvorteilen als Urkundenfälschung (NZZ, 27.6.86).
[20] Jugendstrafrecht : Presse vom 12.7.86. Strafbestimmungen : Presse vom 26.2.86 ; SGT, 27.2.86 ; Plädoyer, 4/1986, Nr. 2, S. 11. Die Standesinitiativen der Kantone Bern und Genf zugunsten der allgemeinen Einführung von Alternativstrafen (z.B. in Form von gemeinnützigen Arbeitseinsätzen) konnten nach der Überweisung einer entsprechenden Motion Longet (sp, GE) im Vorjahr als erfüllt abgeschrieben werden (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1466 f.; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 510; SPJ, 1985, S. 18).
[21] BBl, 1986, III, S. 796 f. Siehe auch SPJ, 1984, S. 19.