Année politique Suisse 1986 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Kantonale Wahlen
Die Wahlen im Kanton Bern waren geprägt von der Finanzaffäre
[15], wobei sich der Verlust des Vertrauens in die Regierungsparteien unterschiedlich auswirkte: Während bei den Regierungsratswahlen die Freisinnigen beide Mandate an die Freie Liste verloren und die SVP und die SP ihre Vertreter schon im ersten Wahlgang durchbrachten, musste bei den Grossratswahlen in erster Linie die SVP die Zeche für die bernische Staatskrise bezahlen ; die FDP hingegen kam hier glimpflich davon. Als grosse Siegerin ging die Freie Liste (FL) aus den Wahlen hervor, die auf Anhieb 11 Abgeordnete in den Grossen Rat entsandte, darunter den ehemaligen Finanzrevisor Rudolf Hafner, der die Berner Finanzaffäre ins Rollen gebracht hatte. Dass die Freie Liste mit den beiden ehemaligen Freisinnigen Leni Robert und Rosmarie Bär gleich zur viertstärksten Kraft im Kantonsparlament wurde, zeugt von einem recht bedeutenden liberal-grünen Wählerpotential, das sich nicht nur auf die städtischen Agglomerationen beschränkte. Der in diesem Ausmass unerwartete Erfolg der Freien Liste ging vor allem auf Kosten der SVP, die 9 Mandate einbüsste. Sitze verloren auch die SP (– 3), die FDP (– 2) sowie CVP und EVP (je – 1). Dagegen konnte der LdU seine Präsenz im Grossen Rat auf 4 Mandate verdoppeln. Zu den Gewinnern gehörte weiter die POCH, die einen zweiten Sitz eroberte, sowie die SAP, die erstmals eine Kandidatin ins Kantonsparlament brachte. Für die NA zeitigte der Hauskrach zwischen den Nationalräten Ruf und Oehen Folgen, indem sich der erhoffte Wahlsieg auf den Gewinn eines einzigen Mandates beschränkte. Die übrigen kleinen Parteien konnten ihren Besitzstand wahren. Mit 30 gewählten Frauen vergrösserte sich der Anteil der weiblichen Abgeordneten auf 15% (1982: 12%)
[16].
Nachdem im Zusammenhang mit der Finanzaffäre die Regierungsräte Werner Martignoni (svp) und Hans Krähenbühl (fdp) zurückgetreten waren und auch die Sitze der aus Altersgründen demissionierenden Magistraten Henri-Louis Favre (fdp) und Ernst Blaser (svp) neu besetzt werden mussten, standen die
Regierungsratswahlen im Vordergrund des Interesses. Erstmals seit 1946 verzichteten die Freisinnigen auf eine gemeinsame Liste mit der SVP und stellten mit einer Dreierkandidatur den bisher praktizierten freiwilligen Proporz (4 SVP, 3 SP, 2 FDP) in Frage. Als darauf die SVP eine Sechserliste aufstellte, während die SP mit ihren drei bisherigen Mandatsträgern antrat, rechnete man mit einer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Bürgerlichen. Zwar versuchten auch sechs oppositionelle Parteien Kapital aus der Finanzaffäre zu schlagen ; da sie sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Liste einigen konnten, räumte niemand den insgesamt 17 Kandidierenden der Opposition eine Chance ein. Im ersten Wahlgang wurden überraschend die drei bisherigen Sozialdemokraten sowie neben den beiden bisherigen die zwei neuen SVP-Vertreter Ueli Augsburger und Peter Siegenthaler gewählt. Sehr knapp verfehlte die SVP mit Heinz Schwab einen fünften Sitz. Dagegen erreichte Geneviève Aubry (fdp) — als Anwärterin auf den verfassungsmässig garantierten Sitz des Berner Juras die Kandidatin mit den besten Wahlchancen — nur den 12. Platz
[17]. Für die zweite Runde zog die SVP ihre weiteren Kandidaten zurück und unterstützte die Freisinnigen, die ihre beiden bisherigen Mandate mit Charles Kellerhals und Geneviève Aubry verteidigten. Da die Freie Liste die zwei restlichen Sitze nicht diesem bürgerlichen Bündnis überlassen wollte, trat sie mit Leni Robert und Benjamin Hofstetter (letzterer als Anwärter auf den Jurasitz) zum Kampf an — unterstützt von den kleinen Oppositionsparteien sowie von der SP. Gross war die Sensation, als schliesslich mit Leni Robert die erste Berner Regierungsrätin gewählt wurde und mit Benjamin Hofstetter ein politisch Unbekannter in die Regierung einzog. Der Wahlerfolg der Freien Liste führte zu einer historischen Wende: zum Ausscheiden der Freisinnigen aus der Exekutive nach 132 Jahren und zu einer
rot-grünen Mehrheit in der Berner Regierung
[18].
[15] Siehe SPJ, 1985, S. 19 ff. sowie oben, Teil I, 1 c (Regierung). Vgl. auch H. Däpp / F. Hänni / N. Ramseyer (Hg.), Finanzaffäre im Staate Bern, Basel 1986.
[16] Wahlen vom 27.4.1986 (Presse vom 28.-30.4.86). Wahlkampf: Bund, 7.3.86; 22.3.86; BZ, 1.4.86; 4.4.86; 23.4.86; Presse vom 25.4.86.
[17] Wahlen vom 27.4.1986 (Presse vom 28. und 29.4.86). Rücktritte: Presse vom 12.11.85; NZZ, 31.12.85. Nominationen: Bund, 16.1.86; Presse vom 23.1.86 (FDP); 27.1.86 (SVP); 17.2.86 (SP); BZ, 30.1.86 (FL). Szenarien des möglichen Wahlausgangs: Bund, 28.1.86; TA, 18.2.86; BZ, 17.4.86. Wahlkampf: BZ, 15.3.86; 12.4.86; Bund, 8.4.86, 14.4.86; Presse vom 21., 22. und 25.4.86. Mit mehr als 20 000 Stimmen Vorsprung auf die übrigen Bewerber erzielte der durch die Finanzaffäre nicht belastete bisherige SP-Regierungsrat René Bärtschi ein Glanzresultat. Eine Wahlschlappe musste dagegen Markus Ruf (na) einstecken, der auf dem 22. Platz landete.
[18] Zweiter Wahlgang vom 11.5.1986 (Presse vom 12. und 13.5.86). Wahlkampf: Presse vom 1.5.86 (FDP/SVP); 2.5.86 (FL); 3.5.86 (Unterstützung der SP); 7.-9.5.86.
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