Année politique Suisse 1986 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik / Wettbewerbspolitik
Das
Inkrafttreten des revidierten Kartellgesetzes auf den 1. Juli vermochte die Auseinandersetzungen um die Wettbewerbspolitik nicht zum Verschwinden zu bringen. Der Bundesrat nahm in einer Botschaft Stellung zur sogenannten
Konsumentenschutzinitiative des Grossdiscounters Denner AG. Er lehnt das darin geforderte
Verbot von kartellistischen Praktiken und gesetzlichen Mindestpreisvorschriften
für den Bereich des Handels mit Lebensmitteln und andern Konsumgütern aus verschiedenen Gründen ab. Zum einen ist es seiner Ansicht nach nicht zulässig, das anlässlich der Revision des Kartellgesetzes bekräftigte Prinzip der Missbrauchsbekämpfung in einem bestimmten Teilgebiet der Wirtschaft — und überdies eingeschränkt auf die Handelsstufe — zugunsten einer Verbotsregelung fallen zu lassen. Die Regierung erachtet den vorgeschlagenen partiellen Systemwechsel auch sachlich nicht für gerechtfertigt, da — von einigen Ausnahmen abgesehen — gerade im anvisierten Bereich der Wettbewerb gut funktioniere. Bei den Ausnahmen, welche sich zur Hauptsache auf den Handel mit Genussmitteln (Tabak, Bier und Spirituosen) beschränken, lassen sich ihrer Meinung nach gute strukturund gesundheitspolitische Gründe für die Beibehaltung von wettbewerbsbehindernden Absprachen geltend machen. Die von der Initiative angestrebten Ziele liegen nicht nur zum revidierten Kartellgesetz quer, sondern auch zum neuen Preisüberwachungsgesetz und zu dem vom Parlament in der Wintersession 1986 verabschiedeten Gesetz über den unlauteren Wettbewerb. Um allfälligen Auslegungskonflikten auszuweichen, hatten die Initianten die Schaffung einer partiellen Verfassungsgerichtsbarkeit vorgeschlagen, welche das Bundesgericht verpflichten würde, dem neuen Verfassungsartikel widersprechende Bestimmungen aufzuheben. Auch in diesem Punkt lehnt der Bundesrat das Volksbegehren als zu partikularistisch ab
[22].
Eine grundlegende und nicht auf Teilbereiche reduzierte Neuorientierung des Wettbewerbsrechts schlägt Nationalrat Jaeger (Idu, SG) mit einer parlamentarischen Initiative vor. Er möchte das
Prinzip des Kartellverbots in die Verfassung aufnehmen und Abweichungen nur noch dann zulassen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse diese rechtfertigt. Betroffen von diesen Bestimmungen wären mit Ausnahme des Arbeitsmarktes alle Bereiche der Wirtschaft. Die bestehende Preisüberwachung in Märkten für Waren und Dienstleistungen mit eingeschränkt funktionierendem Wettbewerb soll beibehalten und auch auf die Kredite ausgedehnt werden. Zusätzlich verlangt Jaeger die Überwachung aller administrativ festgelegten, genehmigten oder kontrollierten Preise, doch soll sich hier die zuständige Instanz auf die Abgabe von Empfehlungen beschränken können. Diese Erweiterung der Preisüberwachung auf Zinsen und administrierte Preise bildet auch das Anliegen einer noch vor dem Inkrafttreten des neuen Preisüberwachungsgesetzes lancierten Volksinitiative der west- und südschweizerischen Konsumentinnenorganisationen. Die vom Parlament gegen den Antrag des Bundesrats aus dem Preisüberwachungsgesetz ausgeklammerten Bereiche sollen damit explizit in der Verfassung verankert werden. Nicht vertreten im Initiativkomitee sind die Konsumentinnenorganisationen der deutschen Schweiz, die das Vorgehen als übereilt qualifizierten
[23]. Das mit dieser Initiative in Frage gestellte Preisüberwachungsgesetz trat auf den 1. Juli 1986 in Kraft; mit der Funktion des Überwachers wurdé der ehemalige Walliser CVP-Ständerat Odilo Guntern betraut. Eine erste Bilanz der eingegangenen Klagen zeigte, dass in der Bevölkerung die Beschränkung des Zuständigkeitsbereichs auf kartellisierte oder monopolisierte Märkte ohne wirksamen Wettbewerb noch nicht allgemein bekannt ist
[24].
[22] BBl, 1986, III, S. 549 ff. Vgl. auch SPJ, 1984, S. 69. Zum revidierten Kartellgesetz siehe AS, 1986, S. 874 ff. und 977 ff.; B. Schmidhauser, «Aufbruch zu neuen Ufern? — Wettbewerbspolitik», in Schweizer Monatshefte, 66/1986, S. 725 ff.; ders., «Altes und neues Kartellgesetz im Vergleich», in Wirtschaft und Recht, 38/1986, S. 361 ff.
[23] Parl. Initiative: Verhandl. B.vers., 1986, V, S. 19. Die vorberatende Kommission des NR sprach sich mit 13:8 Stimmen gegen den Vorstoss aus. Volksinitiative: BBl, 1986, l, S. 902 ff.; Bund, 15.1.86. Von den politischen Parteien sicherten der LdU und die SP dem Begehren Unterstützung zu (NZZ, 4.4.86; TW, 12.6.86). Für die negativen Stellungnahmen von Unternehmern und Banken vgl. wf, KK, 14, 7.4.86 ; Schweiz. Bankiervereinigung, Jahresbericht, 74/1985-86, S. 133 f. Zum Preisüberwachungsgesetz siehe SPJ, 1985, S. 65.
[24] Wahl Gunterns: Presse vom 17.4.86. Amtsantritt: Presse vom 1.7.86. Bilanz: Bund, 1.11.86; Vat., 12.12.86. Siehe auch AS, 1986, S. 895 ff.
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