Année politique Suisse 1986 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Strassenbau
Die eidgenössischen Räte schlossen die
Überprüfung umstrittener Nationalstrassenstrecken ab, indem sie sich in Übereinstimmung mit dem Antrag des Bundesrates dafür entschieden,
die fraglichen Abschnitte mit Ausnahme der Rawilverbindung (N 6) im Netz der Nationalstrassen zu belassen
[17]. Beide Kammern — der Nationalrat in Abstimmungen unter Namensaufruf — beschlossen mit deutlichen Mehrheiten den Bau der N 1 Yverdon–Avenches, der N 7 Müllheim–Kreuzlingen und des Stadtzürcher Ypsilons (SN1/SN3). Zu Differenzen zwischen den beiden Räten kam es dagegen beim Entscheid über die N6 und die N4 Wettswil–Knonau. Mit 103 zu 63 Stimmen strich der Nationalrat die N 6 durch den Rawil ersatzlos aus dem Nationalstrassenprogramm. Der Ständerat verzichtete zwar ebenfalls auf eine Linienführung durch das Simmental, genehmigte hingegen auf Antrag seiner Kommission eine Übergangsbestimmung, wonach eine direkte Verbindung von Spiez ins Mittelwallis grundsätzlich im Netz zu belassen sei. Bei der Differenzbereinigung lehnten die Volksvertreter auch diese Bestimmung ab (120:60) und überwiesen stattdessen ein Kommissionspostulat betreffend eine wintersichere Verbindung aus dem Raum Spiez ins Wallis unter Einschluss eines möglichst leistungsfähigen Bahnverlads. Als sich darauf die kleine Kammer dem nationalrätlichen Entscheid anschloss, zog das Initiativkomitee um den Umweltschützer Franz Weber die eidgenössische Volksinitiative «für die Rettung des Simmentals vor Nationalstrassen» zurück.
Im Wallis führte die
Streichung des Rawilprojekts zu vehementen Protesten auch seitens der Regierung, welche im Vorfeld der parlamentarischen Entscheidung wiederholt an die eidgenössischen Räte und die Öffentlichkeit appelliert hatte, die N 6 sei für den Bergkanton lebenswichtig. Die Oberwalliser Gegner der Rawilstrasse dagegen zeigten sich befriedigt über den Verzicht auf die N 6 und forderten einmal mehr den Ausbau des Autoverlads am Lötschberg
[18].
Im Fall der
N4 lehnte der Nationalrat im März nach einer leidenschaftlich geführten Debatte mit 85 gegen 83 Stimmen unter Namensaufruf die Linienführung durch das Knonauer Amt ab und nahm an ihrer Stelle die als Alternative diskutierte Zimmerbergvariante neu ins Nationalstrassennetz auf. Neben der geschlossenen Linken und den Grünen plädierten auch zahlreiche bürgerliche Abgeordnete gegen den N4-Abschnitt Wettswil–Knonau. Der äusserst knappe nationalrätliche Entscheid trug dem Willen des Zürcher Souveräns Rechnung, der mit einer Standesinitiative den Verzicht auf das umstrittene N4-Teilstück gefordert hatte. Demgegenüber hielt der Ständerat mit 31 zu 10 Stimmen am Bau der N4 durch das Knonauer Amt fest, wobei sich namentlich die Innerschweizer Vertreter für die rasche Verbindung ihrer Region mit Zürich und der Ostschweiz stark gemacht hatten. Darauf kam es in der Volkskammer zur Kehrtwende: Unter erneutem Namensaufruf zogen die Nationalräte schliesslich mit 99 zu 84 Stimmen die Knonauer Autobahn einem Tunnel durch den Zimmerberg vor und lehnten einen Antrag auf Streichung beider Varianten mit 112 zu 71 ab. Neben dem Wechsel von vier Bürgerlichen ins Lager der Befürworter gab vor allem die bessere Präsenz im Nationalrat den Ausschlag für diesen Entscheid. Mit einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat Rüttimann (cvp, AG) betreffend die Linienführung der N 4 wurde der Bundesrat aufgefordert, im Interesse des Umwelt- und Landschaftsschutzes einen Tunnel durch den Islisberg (AG) zu prüfen
[19]. Beide Räte luden die Landesregierung ferner durch Kommissionspostulate ein, angesichts des negativen Volksentscheides des Waadtländer Souveräns über den
N 9-Anschluss Corsy–La Perraudettaz den Autobahnzubringer Lausanne Ost in Zusammenarbeit mit den Behörden des Kantons Waadt neu zu planen und zu klassifizieren
[20].
Der definitive Beschluss des Parlaments für den Bau der seit Jahren umstrittenen Nationalstrassenabschnitte führte zur
gemeinsamen Lancierung von vier neuen eidgenössischen Volksinitiativen gegen die N 1 von Murten bis Yverdon, die N 5 von Biel bis Solothurn, die N4 im Knonauer Amt und die Transjurane (N 16) im Kanton Jura. Zugunsten dieser Begehren verzichtete der VCS auf seine zusammen mit der SGU und dem WWF vorbereitete Initiative für einen befristeten Nationalstrassen-Baustopp und übernahm die Koordination des von lokalen Gruppen getragenen Initiativen-Kleeblatts
[21]. Im Berichtsjahr wurde ferner die unter Federführung der POCH lancierte
Initiative «Stopp dem Beton» eingereicht, die einen generellen Strassenbaustopp verlangt
[22].
Opposition regte sich auch gegen die Pläne einer Verbindung der N 1 mit der N 5 durch das bernisch-freiburgische Seeland, welche auf Drängen des Kantons Neuenburg ins Nationalstrassennetz aufgenommen werden soll. Während die Freiburger Behörden das Projekt unterstützen, distanzierte sich die Berner Regierung von einer Autobahn durch bestes Kulturland, und die Seeländer Bauern kündigten ihren Widerstand an
[23]. Angesichts der Opposition in Obwalden gegen die geplante Linienführung der N 8 über den Brünig im Abschnitt entlang dem Sarnersee gab das EVED der Kantonsregierung grünes Licht für die Projektierung einer vollständigen Tunnelvariante im Raum Sachsein. In der Frage des seit 20 Jahren diskutierten Zusammenschlusses der schweizerischen mit der vorarlbergischen Rheintal-Autobahn konnte ein Kompromiss gefunden werden, indem Osterreich einer Verbindung beim N 1-Anschluss St. Margrethen mit Tunnel unter dem Rhein hindurch und einer Verlegung des Gemeinschaftszollamtes zustimmte
[24].
Das
Netz der Nationalstrassen, das — nach Streichen der Rawilverbindung — dereinst eine Gesamtlänge von 1852 km umfassen soll, wuchs 1986 um 24,8 km. Damit standen Ende Jahr 1409,2 km im Betrieb, während an weiteren 149,9 km gebaut wurde. Im Oktober konnte mit der Fertigstellung des vierspurigen Abschnitts Biasca–Gorduno im Tessin die letzte Lücke der N2 Basel–Chiasso geschlossen werden, so dass nun eine durchgehende Autobahnverbindung von Norddeutschland nach Süditalien besteht. Angesichts der Kapazitätsprobleme am
Gotthard — seit der Eröffnung des Strassentunnels 1980 erhöhte sich der Schwerverkehr auf der N2 im Durchschnitt von 680 (1981) auf 1590 (1986) Lastwagen pro Werktag — forderten Automobilkreise die rasche
Erstellung einer zweiten Tunnelröhre. Demgegenüber appellierten 700 Urnerinnen und Urner in einem Aufruf an die Solidarität der Schweizer Bevölkerung: Die Bemühungen um eine Verlagerung der Transporte auf die Schiene hätten bisher nichts gefruchtet, und Uri ersticke im Schwerverkehr. Um die Stellung der Schweiz im Transitverkehr langfristig und umweltgerecht zu sichern, muss nach Ansicht von Bundesrat Schlumpf deshalb das Projekt einer neuen Eisenbahn-Alpentransversale vorangetrieben werden. Ein weiterer Ausbau der Strassen durch die Alpen und insbesondere der Bau einer zweiten Röhre durch den Gotthard komme wegen der wachsenden Umweltprobleme nicht mehr in Frage
[25].
Inskünftig werden
Unterhalt und Erneuerung des Nationalstrassennetzes zunehmende Bedeutung erlangen und entsprechend mehr Finanzen erfordern. Gestützt auf die entsprechende Zweckerweiterung der Treibstoffzollabgaben erarbeitete der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen ein neues Unterhaltskonzept. Um möglichst kurze Bauzeiten und geringe Verkehrsbehinderungen zu gewährleisten, werden auch gewisse Mehrkosten in Kauf genommen
[26].
[17] Botschaft BR : BBl, 1985, I, S. 534 ff.; vgl. SPJ, 1984, S. 108 f. ; 1985, S.110. Debatten: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 356 ff., 1699 ff., 1717 ff. und 2080; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 441 ff., 773 ff. und 842. Kommentare: Presse vom 24. und 25.1.86 (Entscheid der NR-Kommission); 20.-22.3.86 (NR-Debatte); 6.9.86 (Entscheid der StR-Kommission); 23. und 24.9.86 (StR-Debatte); 2., 3. und 16.12.86 (Differenzbereinigung). Siehe auch TAM, 9, 1.3.86; Ww, 24, 12.6.86; Bilanz, 1986, Nr. 12, S. 50 ff.; M. Bassand (et al.), Politique des routes nationales. Acteurs et mise en oeuvre, Lausanne 1986. Der NR überwies ferner ein Postulat Hess (cvp, ZG), das den BR auffordert, bei der Projektierung der überprüften Abschnitte die Empfehlungen der Kommission Biel betreffend Umwelt- und Landschaftsschutz zu berücksichtigen (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 949).
[18] N 6: Während die Walliser Parlamentarier mit Ausnahme der Sozialdemokratin F. Vannay für den Rawil stimmten, lehnten fast alle Berner Abgeordneten diese Verbindung ab. Kommissionspostulate: Amtl. Bull. StR, 1986, S. 462 ff. und 773 f.; Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1717 ff. Simmental-Initiative: BBl, 1985, I, S. 521 ff.; Amtl. Bull. NR, 1986, S. 435 ff. und 1176 ; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 472 f. und 512; BBl, 1986, III, S. 238 (ablehnende Empfehlung des Parlaments); 1987, I, S. 74 (Rückzug); NZZ, 26.9.86; Bund, 16.12.86; vgl. SPJ, 1982, S. 102. Siehe ferner Presse vom 21.2.86 (Appell der VS-Regierung); WoZ, 11, 14.3.86; Bund, 18.3.86; 22.9.86; NF, 28.3.86 ; 1.10.86 ; 29.1 1.86 ; 1.12.86 ; 3.12.86 ; 17.12.86 ; NZZ, 1.4.86. Ein vom NR überwiesenes Postulat Müller (fdp, ZH) regte ebenfalls einen Ausbau des Autoverlads durch den Lötschberg an (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1728 f.). Siehe auch Verhandl. B.vers., 1986, V, S. 102 und 116 (Motionen der VS-Parlamentarier in beiden Räten).
[19] N 4: Von den Zürcher Abgeordneten stimmten neben den linken auch rund ein Drittel der bürgerlichen Nationalräte gegen einen Verbleib des N4-Teilstücks im Nationalstrassennetz; ebenfalls dagegen votierte StR Jagmetti (fdp), während StR Stucki (svp) für die Autobahn durch das Knonauer Amt plädierte, sich aber aus Respekt vor dem Nein des Zürcher Souveräns der Stimme enthielt (TA, 21.3.86; 24.9.86; 2.12.86). Siehe auch WoZ, 8, 21.2.86; TA, 18.3.86; 26.5.86; Vat., 24.4.86; BaZ, 9.7.86 (VCS-Studie über die Auswirkungen der N4 für die Innerschweiz) ; NZZ, 20.9.86; 22.11.86; Bund, 2.10.86 (NR Lüchinger); Arbeitsgruppe autobahnfreies Knonauer Amt, Kühe statt Autos!, Affoltern a.A. 1986 ; B. Schneider, Das Umdenken hat stattgefunden. Bilanz nach 10 Jahren Arbeit für ein autobahnfreies Knonauer Amt, Affoltern a.A. 1986. Der Standesinitiative des Kantons ZH gaben beide Räte keine Folge: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 438; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 473; vgl. SPJ, 1985, S. 110.
[20] Amtl. Bull. NR, 1986, S. 946 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 472 ; vgl. 24 Heures, 25.1.86 ; JdG, 20.6.86 ; vgl. SPJ, 1982, S. 103.
[21] « Kleeblattinitiative » : BBl, 1987, I, S. 691 ff. ; BaZ, NZZ und 24 Heures, 10.11.86 ; SGT, 17.12.86. Gegen N1: 24 Heures, 26.6.86; 29.9.86. Gegen N4: BaZ, 14.11.86; 19.11.86; Zürcher Presse vom 19.11.86; Vat., 3.12.86. Gegen N5 : SZ, 1.12.86 ; 10.12.86 ; BaZ, 2.12.86 ; vgl. SPJ, 1985, S. 111. Gegen N 16: Den Ausschlag für die Lancierung der Initiative « für einen autobahnfreien Kanton Jura» gab, dass die ursprünglich zweispurig mit Überholspur geplante Transjurane auf Begehren von Regierung und Parlament des Kantons Jura vierspurig realisiert werden soll (LM, 28.10.86; welsche Presse, 23.12.86); in einer Petition forderten 4500 Jurassier/innen den BR ferner auf, das überdimensionierte Projekt zurückzuweisen (welsche Presse vom 20.3.86; FAN, 15.4.86; 20.6.86; NZZ, 11.7.86; siehe auch SPJ, 1983, S. 116; 1984, S. 108). Diskussion um die Moratoriums-Initiative: TA, 6.3.86; 24.6.86; BZ, 3.5.86; 10.11.86; VCS-Zeitung, 1986, Nr.4, S. 8 f.; vgl. SPJ, 1985, S. 110.
[22] BBl, 1986, lI, S. 88 ff.; BaZ, 24.2.86; Presse vom 26.2.86. Um der Volksabstimmung über die Initiative «Stopp dem Beton» nicht vorzugreifen, gab der NR einer parlamentarischen Initiative Herczog (poch, ZH) zum selben Thema keine Folge (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 945 f.).
[23] Presse vom 16.10.86; 24.10.86; VO, 42, 23.10.86; Bund, 4.11.86 (Auseinandersetzung um die Planung der Seeland-Autobahn); NZZ, 7.11.86. Zur Opposition gegen die Basler Nordtangente, den Ausbau des N1-Abschnittes Grauholz bei Bern auf sechs Spuren sowie den N 7-Abschnitt Müllheim—Kreuzlingen im TG (Kulturlandinitiative) siehe unten, Teil Il, 4b (BS, BE und TG); vgl. SPJ, 1985, S. 110 f. und 216.
[24] N8: Vat., 18.9.86; 23.9.86 (Einstufung der N8 über den Brünigpass als Nationalstrasse 3. Klasse); vgl. SPJ, 1985, S. 110 f. Rheintal: Bund, 4.1.86; SGT, 14.5.86; 9.7.86; vgl. SPJ, 1985, S. 111, Anm. 17.
[25] Nationalstrassenbau: Gesch.ber., 1986, S. 394 ff.; EVED, Bauprogramm 1987 für die Nationalstrassen, Bern 1987 ; vgl. SPJ, 1985, S. 111. Gotthard : EVED, Stab für Gesamtverkehrsfragen, Transalpiner Güterverkehr: Auswirkungen des Gotthard-Strassentunnels auf den Güterverkehr, Band 5, Bern 1986; Presse vom 1.7.86; Bund und Vat., 5.8.86 ; TA, 27.12.86 ; siehe auch BA für Statistik, Erhebung über die Gütertransporte auf der Strasse 1984, Bern 1986; H.U. Berger, «Entwicklungstendenzen des europäischen Güterverkehrs und Infrastrukturbedürfnisse », in Jahrbuch der Schweiz. Verkehrswirtschaft 1986, S. 23 ff. Urner Appell : dieser forderte auch dazu auf, die Schwerverkehrsinitiative des VCS mit einem Ja zu unterstützen (Vat., 22.11.86; 26.11.86; LNN, 26.11.86; 2.12.86). BR Schlumpf: BaZ, Vat. und Vr, 12.9.86; Bund und TA, 24.10.86 (an der Eröffnung des letzten fehlenden N2-Abschnitts).
[26] Unterhalt: Vr, 14.3.86; 13.5.86; NZZ, 23.4.86; Presse vom 10.5.86; Bund und SGT, 12.5.86; H. Guggenbühl, «Bauen für den Unterhalt», in Bilanz, 1986, Nr. 2, S. 40 ff.; siehe auch die vom NR in Postulatform überwiesene diesbezügliche Motion Neuenschwander (svp, ZH): Amtl. Bull. NR, 1986, S. 2037 ff. Der StR überwies ein Postulat Reichmuth (cvp, SZ) betreffend nachträglicher Lärmschutzmassnahmen bei Autobahnen (Amtl. Bull. StR, 1986, S. 762 f.). Sanierung von Autobahnbrücken: TA, 13.5.86; 5.6.86; 22.8.86; Vat., 13.5.86.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.