Année politique Suisse 1986 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation / Eisenbahnverkehr
Mit der deutlichen Zustimmung zum
Konzept «Bahn 2000» bestätigten die eidgenössischen Räte die im Vorjahr eingeleitete Neuorientierung im Eisenbahnverkehr. Das Projekt legt das Schwergewicht auf die intensive Förderung des öffentlichen Verkehrs durch eine Attraktivitätssteigerung des Bahnangebots mit häufigeren und vermehrt umsteigefreien Verbindungen sowie besseren Anschlüssen. Das bestehende Netz soll dazu durch örtliche Ausbauten modernisiert und durch vier Neubaustrecken ergänzt werden. Im Hinblick auf die Verkürzung der Gesamtreisezeiten räumt «Bahn 2000» der Integration des regionalen Angebots in das übergeordnete regionenverbinde Netz der Intercity- und Schnellzüge einen hohen Stellenwert ein. Damit werden die Weichen vom bisherigen Liniendenken auf eine klare Netzstrategie gestellt
[27].
Während das Konzept einer «Bahn 2000» sowohl von den interessierten Kreisen und Behörden als auch vom Parlament mehrheitlich begrüsst wurde, entbrannte bezüglich der
Linienführung der Neubaustrecke zwischen Mattstetten (BE) und dem Raum Olten eine heftige Diskussion um nicht weniger als fünf Varianten
[28]. Im Sinne einer Kompromisslösung zwischen der vom Bundesrat und den SBB bevorzugten «Variante Süd» und der vom VCS vorgeschlagenen und von den Kantonen Aargau, Bern und der Westschweiz unterstützten «Variante Nord» entschied sich das Parlament schliesslich für die Linienführung «Süd Plus». Diese ergänzt die «Variante Süd» um eine Verbindung Herzogenbuchsee–Solothurn und gewährleistet dadurch eine bessere Integration der Jurasüdfusslinie in das neue Konzept. Entsprechend erhöhten beide Räte den Finanzierungsrahmen zur Verwirklichung der «Bahn 2000» von 5,1 auf 5,4 Mia Fr. Neben dem «Süd Plus» (130 Mio Fr.) und dem Ausbau der Linie Solothurn–Biel (120 Mio Fr.) sollen damit auch zusätzliche Umweltschutzmassnahmen bei der Streckenführung «Süd» (50 Mio Fr.) finanziert werden. Angesichts der grossen Aufwendungen des Bundes für «Bahn 2000» bemängelte die FDP-Fraktion das Fehlen eines klaren Finanzierungskonzepts und forderte in einem vom Nationalrat überwiesenen Postulat die Abklärung der Finanzierungsfrage. Entgegen dem bundesrätlichen Antrag unterstellte das Parlament ferner das Gesamtkonzept mit den vier Neubaustrecken einem einzigen referendumspflichtigen Bundesbeschluss, da «Bahn 2000» nur mit diesen Netzerweiterungen realisiert werden kann. Rückweisungsanträgen von Berner und Solothurner Parlamentariern, die angesichts der Opposition in der betroffenen Region eine nochmalige Überprüfung der verschiedenen Varianten oder gar einen Verzicht auf jede neue Bahnstrecke durch das Mittelland verlangt hatten, wurde von den Räten nicht stattgegeben
[29]. Vom parlamentarischen Entscheid zugunsten der Linienführung «Süd Plus» zeigte sich die Berner Regierung befriedigt. Dagegen ergriffen die Gegner einer neuen Bahnlinie durch das Mittelland das Referendum, so dass der Souverän das letzte Wort zur Realisierung der «Bahn 2000» haben wird
[30].
Die im Zusammenhang mit dem Konzept «Bahn 2000» wieder aufgeworfene Frage einer
neuen Eisenbahn-Alpentransversale beschäftigte Parlament und Öffentlichkeit im Berichtsjahr weiter. Nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Schnellbahnvorhaben Deutschlands und Italiens und die damit verbundene Gefahr einer Umfahrung der Schweiz, sofern diese weiter als «Bremsklotz» im internationalen Nord-Süd-Verkehr wirke, war man sich einig über die Dringlichkeit eines Schweizer Alpenbahnprojekts. Mit einer auch von der kleinen Kammer gutgeheissenen Motion des Tessiner Nationalrats Salvioni (fdp) wurde die Landesregierung aufgerufen, die Verhandlungen für die notwendige Koordination und die Finanzierung auf europäischer Ebene in die Wege zu leiten und die Frage des Nord-Süd-Transits auf der Schiene als vorrangige Aufgabe der Aussenpolitik zu behandeln. Eine vom Nationalrat als Postulat überwiesene Motion Schmidhalter (cvp, VS) forderte den Bundesrat ebenfalls auf, den Linienführungsentscheid für eine neue Alpenbahntransversale voranzutreiben und zwar auf der Grundlage eines zusammen mit den Nachbarländern zu entwerfenden Konzepts «Eurorail 2000». Die Transportminister Deutschlands, Osterreichs, Italiens und der Schweiz setzten einen gemeinsamen Ausschuss ein, der Vorstellungen über die Zukunft der Alpenbahnen und allfälliger neuer Basistunnels bis Ende 1987 ausarbeiten soll
[31].
Bezüglich der Linienführung einer neuen Nord-Süd-Verbindung durch die Schweiz gingen die Meinungen nach wie vor auseinander, wobei Italien zusammen mit den Ostschweizer Kantonen die Splügenvariante forcierte
[32]. Eine im Auftrag der Ständeratskommission erstellte Expertise über die Realisierbarkeit eines «
Alpen-Y» als Alternative zu einem Splügen- oder Gotthard-Basistunnel kam zum Schluss, dass eine solche Y-Linienführung sich gut in das bestehende und geplante europäische Schienennetz einfügen würde. Nachdem der Bündner Standesvertreter Cavelty (cvp) seine diesbezügliche parlamentarische Initiative zurückgezogen hatte, überwiesen beide Räte gleichlautende Kommissionsmotionen. Danach sollen die Entscheidungsgrundlagen für die neue Alpenbahntransversale unter Einbezug des Y-Vorschlags und der Ausbaumöglichkeiten der Simplonlinie so aufgearbeitet werden, dass ein Baubeschluss im Anschluss an die parlamentarische Verabschiedung der «Bahn 2000» gefällt werden kann. Der Bundesrat beauftragte in der Folge eine Expertenkommission, die vier diskutierten Varianten bis Ende 1987 einer vergleichenden Analyse zu unterziehen
[33].
Die
eidgenössischen Räte stimmten dem Projekt eines Vereinabahntunnels im Kanton Graubünden zu, indem sie der Rhätischen Bahn die Konzession für die 22 km lange Linie von Klosters im Prättigau nach Susch/Lavin im Unterengadin erteilten und einen Bundesbeitrag von 85% oder 457 Mio Fr. an die Baukosten und die Beschaffung des Rollmaterials für den Autoverlad gewährten. Der «rollenden Strasse» war sowohl im Unterengadin selbst, wo eine kommende Blech- und Touristenlawine befürchtet wird, als auch im Parlament starke Opposition erwachsen. Während die Gegner aus dem Lager der Freisinnigen und Liberalen den Bahntunnel für zu teuer hielten und dem wintersicheren Ausbau der Strasse über den Flüelapass den Vorzug gaben, verlangte die umweltpolitisch argumentierende Opposition eine Vereinabahn ohne Autoverlad und ohne wintersicheren Flüelapass. Der Nationalrat lehnte entsprechende Rückweisungsanträge knapp ab, verband jedoch die Zustimmung zum Vereinaprojekt mit der Auflage, dass an die Flüelastrasse keine Bundesbeiträge mehr für Ausbauten zum Zweck der Kapazitätssteigerung oder einer erhöhten Wintersicherheit geleistet werden. Ferner wurde ein zusätzlicher Artikel betreffend Umweltschutzmassnahmen aufgenommen. Für die Detailplanung und den Bau wird mit 11 Jahren gerechnet
[34].
[27] Zum Konzept «Bahn 2000» sowie zur Botschaft des BR siehe SPJ, 1985, S. 111 ff. Siehe auch Presse vom 28.1.86 ; LITRA, Jahresbericht 1985/86, S. 36 f.; EVED, Bahn 2000. Ergebnisbericht zur Zweckmässigkeitsprüfung, Bern 1986; B. Weibel, «Bahn 2000 und regionalpolitische Aspekte», in DISP, 1986, Nr. 86, S. 22 ff.; A. Genoud, « Les entreprises concessionnaires de transport « Rail 2000» — Nouvelles missions — Nouvelles chances», in Jahrbuch der Schweiz. Verkehrswirtschaft 1986, S. 93 ff.
[28] TA, 11.2.86; 25.2.86; 9.8.86 (Variante «Nord Plus»); Presse vom 18.2.86 (VCS-Studie); 8.3.86 (SBB für «Variante Süd»); 6.5.86 (Stellungnahme der Umweltorganisationen); 22.8.86; 27. und 28.8.86 (Entscheid NR-Kommission); 14.11.86 (Entscheid StR-Kommission); SZ, 6.3.86; 12.4.86; BaZ, 20.3.86; NZZ, 14.4.86; 12.5.86; 16.8.86; 2.10.86; BZ, 6.8.86 (Variante «Süd Süd»); VCS-Zeitung, 1986, Nr.4, S.16.
[29] Parlamentsdebatte: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1384 ff. und 2080; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 810 ff. und 842 ; Presse vom B. und 9.10.86 ; 18.12.86. Zur Aufwertung der Jurasüdfusslinie siehe Bund, JdG und NZZ, 5.4.86 ; Presse vom 16.4.86; BA für Verkehr, Die Jurafusslinie im Konzept BAHN 2000, Bern 1986. Postulat der FDP-Fraktion: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 2053; vgl. SZ, 14.2.86; Ww, 44, 30.10.86. Im Zusammenhang mit «Bahn 2000» wurden auch zwei Postulate betreffend Investitionen und Fahrplanverbesserungen im Kanton AG (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 963 f. ; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 283 ff.; vgl. TA, 22.1.86) sowie zwei Postulate betreffend Machbarkeitsstudie für eine Swissmetro durch das Mittelland (Amtl. Bull. StR, 1986, S. 568 ff. und 825 ; vgl. Bund, 20.6.86; 11.7.86; Presse vom 3.10.86; 24 Heures, 13.10.86) überwiesen.
[30] BE-Regierung: BZ, 23.12.86. Referendum: Presse vom 18.12.86; TA, 19.12.86; vgl. Bund, 7.7.86; SZ, 10.7.86. Siehe auch die Petition gegen einen Bahnneubau im Mittelland: Presse vom 19.9.86. Zur Opposition siehe ferner Bund, 22.1.86; 14.5.86; Ww, 4, 23.1.86; Vat., 13.2.86; SZ, 12.3.86; 4.4.86; 28.5.86 und 16.6.86 (Aktionstag gegen «Bahn 2000»).
[31] Zu einer neuen Eisenbahn-Alpentransversale siehe allgemein: SGT, 1.2.86 ; Vr, 15.4.86; Ww, 34, 21.8.86; LNN, 12.9.86; LITRA, Jahresbericht 1985/86, S. 37 ff.; vgl. SPJ, 1985, S. 113 f. Motion Salvioni: Amtl. Bull. StR, 1986, S. 568 und 823 ff. Motion Schmidhalter: Amtl. Bull. NR, 1986, S. 2034 ff.; vgl. NZZ, 26.2.86 ; 3.3.86; TA und SGT, 20.10.86. Transportministerkonferenz: NZZ und SZ, 3.2.86. Auch der Europarat unterstützte zur Verlagerung des Gütertransitverkehrs von der Strasse auf die Schiene den Bau neuer Alpenbahntransversalen (SGT, 22.9.86). Siehe auch SGT, 12.9.86; 24 Heures, 11.10.86; Gesch.ber., 1986, S. 374 f. sowie L. Schlumpf, «Auf dem Weg zu einer europäischen Verkehrspolitik», in Documenta, 1986, Nr. 1, S. 21 ff.
[32] CdT, 23.5.86; 12.9.86; Vat., 26.7.86; NZZ, 15.11.86. Zur Splügenvariante siehe auch BaZ, 31.1.86; 12.5.86; 11.9.86; SGT, 7.3.86; 24.5.86; 15.12.86; CdT, 12.4.86; 18.10.86; Die Splügenbahn als europäische Verbindungsachse, Treviglio/Mailand 1986. Zur Gotthardvariante siehe LNN, 20.2.86; Vat., 20.2.86; 9.10.86; 25.10.86; 11.11.86; vgl. Verhandl. B.vers., 1986, III/IV, S. 58 (Motion Fischer, cvp, LU).
[33] Expertise: Presse vom 28.5.86. Parl. Initiative Cavelty betreffend «Alpen-Y»: Amtl. Bull. StR,.1986, S. 553 ff.; NZZ und TA, 8.1.86; Vat., 28.5.86; BaZ, 16.8.86; Presse vom 3.10.86; vgl. SPJ, 1985, S. 113. Kommissionsmotionen : Amtl. Bull. StR, 1986, S. 556 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1443. Der StR hiess ferner eine Motion Lauber (cvp, VS) betreffend Ausbau der Simplonlinie gut (Amtl. Bull. StR, 1986, S. 6 ff.; vgl. JdG, 4.1.86 ; NZZ, 3.3.86; 2.4.86; TA, 5.6.86; 24 Heures, 12.9.86). Expertenkommission: BZ, 20.11.86.
[34] BBl, 1986, I, S. 833 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1803 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 331 ff. und 828 f. ; BBl, 1987, I, 61 f. und 476; Presse vom 20.2.86; 13.6.86; 18.6.86; 10.12.86; TA, 25.2.86; 16.5.86; 17.6.86; NZZ, 26.2.86; 19.12.86; SGT, 10.7.86; 24 Heures, 18.11.86; siehe auch Amtl. Bull. NR, 1986, S. 671 : LITRA, Jahresbericht 1985/86, S. 42 f. sowie R. Falett, Der Vereina-Tunnel. Eine Chance. Eine Bedrohung. Ein Prüfstein schweiz. Verkehrspolitik, Sent 1986. Der Bündner Souverän hatte in einer Konsultativabstimmung 1983 dem Vereinaprojekt den Vorzug gegenüber einem Ausbau der Flüelastrasse gegeben und 1985 einem Kantonsbeitrag von 68,25 Mio Fr. zugestimmt (SPJ, 1983, S. 115; 1985, S. 218).
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