Année politique Suisse 1986 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Raumplanung
Ende 1986 lief für die Kantone die Frist ab, innert welcher sie dem Bund ihre Richtpläne für eine zweckmässige Nutzung des Bodens hätten abliefern sollen. Nachdem schon die vom Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG) eingeräumten fünf Jahre für die
Richtplanerstellung nur von drei Kantonen (GR, SO, ZH) eingehalten worden waren, konnten in der zweijährigen Verlängerung einzig die Pläne von Baselstadt, Nidwalden, Schwyz, Thurgau und Uri genehmigt werden. Der Bundesrat zeigte sich jedoch nachsichtig gegenüber den säumigen Kantonen ; eine weitere formelle Fristerstreckung dürfte aber aus rechtlichen und politischen Gründen kaum mehr gewährt werden
[1]. Um das ackerfähige Kulturland, die sogenannten Fruchtfolgeflächen, planerisch zu sichern, revidierte der Bundesrat die Verordnung zum RPG. Entgegen der ursprünglichen Absicht verzichtete er — dem Vernehmlassungsverfahren Rechnung tragend — auf eine einheitliche Regelung der Ausnahmebewilligung für Bauten ausserhalb der Bauzone; die Verordnung beschränkt sich somit zur Hauptsache auf die Sicherung der Fruchtfolgeflächen. Bis spätestens Ende 1987 müssen die Kantone im Rahmen ihrer Richtplanung das ackerfähige Kulturland nach einheitlichen Kriterien detailliert ermitteln, wobei die ursprünglich vorgesehene Fläche von 450 000 ha nur noch als Richtwert dient. Sodann werden die entsprechenden Bundesämter auf dem Verhandlungsweg mit den Kantonen die Grundlagen bereinigen, worauf der Bundesrat in einem für jeden Kanton verbindlichen Sachplan den Mindestumfang der Fruchtfolgeflächen und deren definitive Aufteilung auf die Kantone beschliessen wird. Eine vom Nationalrat 1985 für erheblich erklärte Motion Loretan (fdp, AG) strebt neben dem verstärkten Schutz des Kulturlandes die Gewährleistung der effektiven Uberbaubarkeit von Bauzonen an; die kleine Kammer lehnte jedoch eine entsprechende Revision des RPG ab und überwies den Vorstoss nur als Postulat
[2].
Hinsichtlich der Vollzugskrise des RPG kommt den gerichtlichen Aktivitäten immer grössere Bedeutung zu. Das Bundesgericht zeigte sich zurückhaltend bei Entschädigungsforderungen von Grundeigentümern, die sich durch die Ortsplanung materiell enteignet fühlten, und unterstützte auch sonst Kantons- und Gemeindeexekutiven bei der konsequenten Durchsetzung des RPG
[3].
Auf einen Zielkonflikt, dem mit den Richtplänen wohl kaum beizukommen ist, verweist eine Publikation des Bundesamtes für Raumplanung: In jenen fruchtbaren Ebenen, die durch Autobahnen erschlossen sind — beispielweise im Bereich des
Autobahnkreuzes N 1/N 2 bei Egerkingen (SO) und in der Magadinoebene (TI) — machen sich
auf Kosten des Kulturlandes im Übermass Verteilzentren und Lagerhäuser breit. Immer grösser werden auch die Probleme bezüglich der Zweitwohnungen, deren Bestand sich im vergangenen Jahrzehnt fast verdoppelt hat (auf 240 000) und der in den nächsten 10 bis 20 Jahren um weitere 100 000 ansteigen dürfte. Die Zweitwohnungen treiben die Bodenpreise und Mieten in die Höhe und verdrängen die angestammte Bevölkerung. Wegen des hohen Landbedarfs gerät der Bau von Zweitwohnungen ausserdem mit der Landwirtschaft in Konflikt und gefährdet, indem er zur Überbeanspruchung der Landschaft beiträgt, auch den Tourismus. Um das Problem der Zweitwohnungen besser in den Griff zu bekommen, wies das EJPD die Gemeinden auf mehrere zur Verfügung stehende Instrumente hin
[4].
Die Opposition gegen die « Verbetonierung der Landschaft» war in mehreren kantonalen und
kommunalen Volksabstimmungen erfolgreich. In Lausanne wurde der Vorschlag für die Neugestaltung des zentrumsnahen Industriequartiers «Le Flon» gegen den Willen der bürgerlichen Parteien und der Nationalen Aktion abgelehnt. Der Souverän der Stadt Zürich stimmte dem Projekt für einen Seeuferweg mit Grünanlage in Wollishofen zu und verwarf den privaten Gestaltungsplan Badstrasse und damit den Bau eines Grosshotels in derselben Zone am See. Überraschend wurde auch in Winterthur die Volksinitiative der SP für die Schaffung einer Freihaltezone gutgeheissen. Demgegenüber unterlagen im Kanton Schwyz die Umweltschützer und Linksparteien in der Abstimmung über eine Verfassungsänderung, welche eine Konkretisierung der 1985 angenommenen Volksinitiative «für die Erhaltung unserer Schwyzer Landschaften» gebracht hätte
[5].
[1] RPG-Vollzug: BBl, 1986, I, S. 105 f. (UR) und 644 f. (SO); II, S. 1399 f. (BS); III, S. 463 f. (TG); BZ, 24.4.86; Presse vom 11.7.86; TA, 20.9.86; BaZ, 23.12.86; Die Kantone Al, AG, BE und LU reichten ihre Richtpläne zur Genehmigung ein. Siehe auch die Interpellation Zwingli (fdp, SG) zum Vollzug des RPG (Amtl. Bull. NR, 1986, S. 652 f. ; Vat., 6.6.86); in ihrer Antwort teilte BR Kopp die Meinung des Interpellanten, dass die Informationspolitik betreffend die Raumplanung verbessert werden müsse (vgl. dazu auch BA für Raumplanung, Raumplanung. Informationshefte, 1986, Nr. 4). BR Kopp setzte eine Expertenkommission ein, welche bis Ende 1987 Vorschläge für eine Revision des RPG erarbeiten soll; geändert werden sollen namentlich die Umschreibung von Landwirtschafts- und Bauzonen, das Erschliessungsrecht und die Sicherung des Vollzugs (NZZ, 14.11.86). Siehe auch SGT, 9.1.86; Vat., 13.2.86; NZZ, 17.2.86; 25.7.86; 17.12.86; SHZ, 16, 22.4.86; SGT, 15.7.86; 19.7.86; 2.8.86; 22.8.86; Presse vom 27.9.86 sowie P. Tschannen, Der Richtplan und die Abstimmung raumwirksamer Aufgaben, Bern 1986; M. Ramisberger, Raumplanung — wozu? Sinn und Struktur von Zielbestimmung und Planungsgrundsätzen des Bundesgesetzes über die Raumplanung, Bern 1986 ; Schweiz. Institut für Verwaltungskurse an der Hochschule St. Gallen (Hg.), Rechtsfragen der Nutzungsordnung in der Raumplanung, St. Gallen 1986; Schweizer Monatshefte, 66/1986, S. 163 ff.; Dokumente und Informationen zur schweizerischen Orts-, Regional- und Landesplanung (im folgenden abgekürzt als DISP), 1986, Nr. 83, S. 5 ff.; Nr. 84, S. 43 ff.; Nr. 86, S. 5 ff. und 27 ff. Vgl. auch SPJ, 1985, S. 119.
[2] RPG-Verordnung: AS, 1986, S. 626 ff.; Presse vom 27.3.86; NZZ, 8.4.86; wf, AD, 18, 5.5.86; SHZ, 20, 15.5.86; 22, 29.5.86; Bresche, 295, 18.8.86. Parlamentarische Vorstösse: Amtl. Bull. StR, 1986, S. 324 ff.; BZ, 7.4.86 ; AT, 16.4.86 ; NZZ, 13.6.86 ; TA, 13.6.86. Siehe auch BA für Raumplanung, 29 Bundesgerichtsentscheide zu Artikel 24 des Raumplanungsgesetzes (Ausnahmen ausserhalb der Bauzone), Bern 1986. Zum Nationalen Forschungsprogramm 22 «Nutzung des Bodens in der Schweiz»: Bulletin, 1986, Nr. 3 und 4; W. Thut / Ch. Pfister, Haushälterischer Umgang mit Boden. Erfahrungen aus der Geschichte, Bern 1986. Vgl. SPJ, 1985, S. 120 f.
[3] LNN, 11.7.86; Vat., 11.7.86; siehe auch Vat., 15.10.86; 25.11.86. Vgl. ferner H. Hess / H. Weibel, Das Enteignungsrecht des Bundes, Kommentar 2, Bern 1986; Schweiz. Vereinigung für Landesplanung, Brennende Fragen zum Thema Ortsplanung, Baubewilligungspraxis und Umweltschutz, Bern 1986 sowie SPJ, 1985, S. 121.
[4] Verteilzentren und Lagerhäuser: BA für Raumplanung, Raumplanung. Informationshefte, 1986, Nr. 2; Bund, 15.7.86; LNN, 15.7.86. Zweitwohnungen: BA für Raumplanung, Raumplanung. Information, 1986, Nr. 1 und 3, S. 12 ; Ww, 1, 2.1.86 ; Bund, 6.2.86 ; NZZ, 6.3.86 ; 25.3.86 ; TA, 25.3.86 ; TW, 25.3.86 ; SGT, 22.7.86 ; DISP, 1986, Nr. 83, S. 34 ff. Im Kanton TI ist mittlerweile bereits jede 4. Wohnung eine Zweitwohnung. Siehe auch P. Tschurtschenthaler, Das Landschaftsproblem im Fremdenverkehr, dargestellt anhand der Situation des Alpenraums, Bern 1986.
[5] Lausanne: 24 Heures, 11.9.86; 8.10.86; 13.10.86. Zürich: NZZ, 20.5.86; 22.5.86; 28.5.86; 5.6.86; TA, 27.5.86; Zürcher Presse vom 9.6.86. Winterthur: NZZ, 29.9.86: Schwyz: TA, 4.12.86; LNN, 9.2.86; siehe auch unten, Teil I, 6 d (Natur- und Heimatschutz) : In der Stadt ZH kam eine Initiative gegen die geplante Erweiterung des jüdischen Friedhofs und für ein grünes Erholungsgebiet zustande (NZZ, 30.12.86). Der Grosse Rat von BS bewilligte einen Projektierungskredit für den Ausbau des Bahnhofareals («Masterplan»): Presse vom 26.8.86; NZZ, 6.9.86; BaZ, 19.9.86. Siehe auch SPJ, 1985, S. 121 und 222 sowie unten, Teil II (Infrastruktur).
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