Année politique Suisse 1986 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Mietwesen
Der Index für die Wohnungsmieten stieg 1986 um 3,5%; diese Preiserhöhung im Mietwesen ist neben einer allgemeinen Anhebung der Mieten vor allem auf Renovationen und Modernisierungen von älteren Wohnungen zurückzuführen. Erneut zu Diskussionen Anlass gab die Frage, inwieweit eine Senkung des Hypothekarzinses auch zu einer Reduktion der Mietzinse führten sollte. Auf die Ankündigung marktführender Banken hin, in den ersten Monaten des Jahres 1987 den Hypothekarzins — erstmals wieder seit 1983 — um 1/4% zu senken, forderten der Mieterverband und die Linksparteien, dass von dieser Kostenermässigung, welche bei insgesamt 500 Mio Fr. liege, ein Teil auch den Mietern zugute kommen müsse. Der Schweizerische Hauseigentümerverband (SHEV) hingegen wies darauf hin, dass nach der Praxis der Mietgerichte die angekündigte Reduktion einer Mietzinsverbilligung von 3,38% entspreche; eine solche wäre aber durch die allgemeine Teuerung seit 1983 (Miete: 3,1%) schon fast kompensiert. Seiner Meinung nach kämen somit Mietzinssenkungen nur bei jenen Mietverhältnissen in Frage, welche in den vergangenen vier Jahren eine Zinserhöhung erfahren hätten
[12].
Als Zweitrat
lehnte auch der Nationalrat die Volksinitiative «für Mieterschutz» ab und hiess den Gegenvorschlag des Bundesrates gut. Die bürgerliche Mehrheit teilte dabei die Befürchtungen von Ständerat und Regierung, dass bei einer Annahme der Initiative der Eigentumsgarantie, der Handels- und Gewerbefreiheit sowie der Vertragsfreiheit eine geringere Bedeutung zukommen werde als dem Kündigungsschutz. Angesichts der geringen Chance einer Volksinitiative bei gleichzeitigem Gegenvorschlag
beschloss die Schweizerische Mietervereinigung, ihre Initiative zugunsten des Gegenentwurfs zurückzuziehen. Somit wurde dem Souverän eine Verfassungsänderung vorgeschlagen, welche den Geltungsbereich der Missbrauchsgesetzgebung auf die ganze Schweiz ausdehnt und den Mieter vor missbräuchlicher Kündigung schützt. Im Abstimmungskampf war diese Vorlage kaum bestritten: Einzig die Liberalen und die Republikaner sowie das Redressement national und der Gewerbeverband gaben die Nein-Parole aus; ebenfalls in Opposition gingen einige Kantonalsektionen der bürgerlichen Parteien
[13].
Der Souverän
nahm am 7. Dezember den Gegenvorschlag zur Mieterschutz-Initiative mit 64,4% Ja-Stimmen an. Von den Kantonen sprachen sich 20 für und 6 (AI, AR, GL, OW, SZ, VS) gegen die Vorlage aus. Besonders hoch war die Zustimmung in der lateinischen Schweiz. Ein Vergleich mit der Volksabstimmung von 1977 über die Initiative «für einen wirksamen Mieterschutz» und einen entsprechenden Gegenvorschlag zeigt, dass sich der Unterschied bezüglich des Zustimmungsgrades zwischen deutschsprachiger und lateinischer Schweiz, aber auch zwischen Stadt und Land vermindert hat. Eine Nachanalyse stellte ferner fest, dass beim Stimmentscheid die direkte Betroffenheit eine bedeutende Rolle spielte: Mit Ja votierten vor allem jene Personen, die in einem Mietverhältnis wohnen oder in Grossstädten und deren Agglomerationen leben; höhere Zustimmung fand die Vorlage auch bei den Frauen, den unter 40jährigen, den Sympathisanten der SPS und — wie oben bereits angemerkt — in der Romandie. Die Nachbefragung zeigte weiter, dass das Verhältnis zwischen Mietern und Vermietern nicht unbelastet ist. Bei der anstehenden Gesetzgebung durch die eidgenössischen Räte dürfte das Bündnis zwischen Linken, den Mietern und bürgerlichen Kreisen auseinanderbrechen: Linksparteien und Mieterorganisationen erwarten, dass der Kündigungsschutz ungeschmälert ins Recht übernommen werde, während die bürgerliche Seite zu verstehen gab, dass sie mit ihrer Unterstützung des Gegenvorschlags keine «Blankovollmacht» für eine entsprechende Gesetzgebung erteilt habe
[14].
Der Souverän der Stadt Zürich stimmte der Unterstellung des Stadtgebietes unter das Gesetz über die Erhaltung von Wohnungen (WEG) für weitere fünf Jahre zu. Dies, obwohl nach Meinung von Regierung und bürgerlicher Parlamentsmehrheit der Wohnanteilplan (WAP), der 1986 in Kraft gesetzt wurde, das WEG hätte ablösen sollen. Der Volksentscheid bedarf noch der Genehmigung durch den Regierungsrat. Im Kanton Genf, welcher mit 89% (Stadt: 97%) die höchste Mieterquote der Schweiz aufweist, wurde ein Gesetz zur Erleichterung des privaten Erwerbs von Wohneigentum durch differenzierte Steuererleichterung und Befreiung von Taxen («Loi Wellhauser») im Verhältnis von 3:1 verworfen. Der Souverän teilte damit die Meinung der Linken und Grünen, welche das Referendum ergriffen hatten, dass anstelle der Wohneigentumsförderungsmassnahmen, die praktisch nur den wenigen Hausbesitzern zugute gekommen wären, der staatlich subventionierte Wohnungsbau und der Mieterschutz verstärkt werden solle. Ebenfalls verworfen wurde eine Volksinitiative zur Wohnbauförderung in der Stadt St. Gallen. Die Absicht des Hauseigentümerverbandes, die Wohneigentumsbildung durch Steuererleichterung zu fördern, scheiterte auch im Kanton Luzern am Nein der Stimmbürger. Auf juristischer Ebene wurde verschiedenen ähnlich lautenden Volksinitiativen der Hauseigentümerverbände ein Riegel geschoben: Das Bundesgericht stützte den Entscheid des Grossen Rates von St. Gallen, wonach die Initiative «für breitere Streuung und massvolle Besteuerung von Wohneigentum» gegen die Steuergerechtigkeit und Rechtsgleichheit verstosse und deshalb ungültig sei. In gleichem Sinn beantragte der Berner Regierungsrat dem Parlament, die 1984 eingereichte Initiative «für Sparen und Wohneigentum» für ungültig zu erklären
[15].
[12] Mietzins: Die Volkswirtschaft, 59/1986, S. 386 ff. und 818 ff. Hypothekarzinssenkung: Bund, 8.11.86; TA, 8.11.86; NZZ, 12.11.86; BaZ, 2.12.86; Mieter-Zeitung, 58/1986, Nr. 12; siehe auch oben Teil I, 4b (Geld- und Kapitalmarkt). Siehe auch SPJ, 1985, S. 123.
[13] Parlamentsverhandlungen : Amtl. Bull. NR, 1986, S. 190 ff. und 493; Amtl. Bull. StR, 1986, S. 104 f. und 214; BBl, 1986, I, S. 881 f. ; Presse vom 13.3.86; 18.3.86; Wir Brückenbauer, 12, 19.3.86 ; TW, 13.5.86. Rückzug der Initiative: BBl, 1986, Il, S. 691 ; Mieter-Zeitung, 58/1986, Nr. 7/8; Presse vom 2.6.86. Abstimmungskampf: Mieter-Zeitung, 58/1986, Nr. 10 und 11 ; NZZ, 16.6.86; 9.8.86; 18.11.86; 21. und 22.11.86; 2.12.86; 24 Heures, 25.10.86; Vat., 8.11.86; TA, 11.11.86; 14.11.86; BZ, 15.11.86; 22.11.86; 28.11.86; LNN, 15.11.86; BaZ, 4.12.86; zu den Abstimmungsparolen siehe TA, 4.12.86 sowie den Parolenspiegel der Parteien und Verbände (eidg. und kantonal) des Forschungszentrums für schweizerische Politik, Bern. Vgl. auch wf, Dok., 46, 17.11.86 ; wf, KK, 48, 1.12.86 sowie SPJ, 1985, S. 123.
[14] Der Souverän stimmte dem Gegenvorschlag zur Volksinitiative «für Mieterschutz» mit 922 309 : 510 407 zu (Presse vom 8.12.86; LNN, 9.12.86; NZZ, 9.12.86; Mieter-Zeitung, 58/1986, Nr. 12). Vox, Analyse der eidgenösssischen Abstimmung vom 7. Dezember 1986, Zürich 1987; TA, 25.3.87; siehe auch R. Nef, Mieterschutz: Die falsche Arena für « volksnahe» Bremser? Eine statistische Analyse der eidg. Mieterschutzabstimmung 1986 und 1977 auf der Basis von 2920 Gemeinden, Zürich 1987. Vgl. auch das Postulat Leuenberger (sp, ZH) betreffend Übergangsregelung im Mietrecht (Verhandl. B. vers., 1986, V, S. 76 ; NZZ, 17.12.86). Siehe ferner Mieter-Zeitung, 59/1987, Nr. 6 (Jahresbericht des Mieterverbandes) und SPJ, 1977, S. 113 f.; 1985, S. 123.
[15] Bern : Bund, 20.12.86. Genf: JdG, 15.1.86; 21.1.86; 23.-25.1.86; 3.2.86. Luzern : LNN, 29.8.86; 20.9.86; 24.9.86; 29.9.86. St. Gallen: SGT, 24.2.86; 7.3.86; 10. und 11.3.86; 17.3.86. Zürich: Zürcher Presse vom 7.2.86; 9.6.86; NZZ, 15.5.86; 31.7.86; TA, 26.5.86; 10.6.86; DISP, 1986, Nr. 83, S. 22 ff. Bundesgerichtsentscheid: Vr., 12.12.86. Vgl. auch M. Rauch, Die Besteuerung des Eigenmietwerts, Zürich 1986; Schweizerische Zeitschrift für Soziologie, 12/1986, S. 445 ff.; SJPW 1985 (Städte und Agglomerationen), Bern 1985; Positionen, 1986, Nr. 62; WoZ, 51, 19.12.86. Vgl. ferner SPJ, 1985, S. 124 und unten Teil II, 4e.
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