Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Gerichte
Der Nationalrat befasste sich im Berichtsjahr mit den Vorschlägen des Bundesrats zur Entlastung der eidgenössischen Gerichte. Ein Antrag von seiten der SP und des LdU, der Überbelastung nicht allein mit organisatorischen und prozessualen Massnahmen zu begegnen, sondern den Personalbestand aufzustocken, unterlag. Hauptstreitpunkt bildete die Einführung eines Annahmeverfahrens, das es dem Bundesgericht und dem eidgenössischen Versicherungsgericht erlauben würde, nur auf Fälle einzutreten, die sie als erheblich einstufen. Im Rat stellten sich die FDP und die Liberalen hinter diesen auch staatsrechtlich umstrittenen Vorschlag, die Linke, aber auch die SVP lehnten ihn ab. In einer Abstimmung unter Namensaufruf wurde er mit 96:79 verworfen. Die Erhöhung der Streitwertgrenze von 8 000 auf 30 000 Fr., die ebenfalls eine Reduktion der durchzuführenden Verfahren bewirken soll, fand demgegenüber knappe Zustimmung (70:62). Die Linke hatte vergeblich argumentiert, dass mit dieser Neuerung ein grosser Teil der Streitigkeiten auf dem Wohnungs- und dem Arbeitsmarkt nicht mehr vor das Bundesgericht getragen werden könnten, und damit dessen Funktion als zentrale Rechtsprechungsinstanz eingeschränkt würde. In das Bundesgesetz über die Organisation des Bundesrechtspflege wurden zudem strengere Bestimmungen betreffend der Übernahme von nebenamtlichen Schiedsgerichtsmandaten durch Bundesrichter eingebaut [26]. Die Entlastungsmassnahmen dieser Gesetzesrevision werden sich frühestens in den neunziger Jahren auswirken. Als Überbrückungsmassnahme beantragte deshalb der Bundesrat eine Verlängerung der 1984 bewilligten 15 ausserordentlichen Ersatzrichterstellen um weitere drei Jahre (bis Ende 1991) [27].
Die in ihren Augen ungenügende Gesetzgebungsarbeit des Parlaments beim Preisüberwachungsgesetz hatte Nationalrätin Weber (ldu, ZH) zum Anlass genommen, um mit einer parlamentarischen Initiative die Schaffung einer schweizerischen Verfassungsgerichtsbarkeit zu fordern. Das Bundesgericht sollte demnach ermächtigt werden, Gesetze und Bundesbeschlüsse auf ihre Verfassungsmässigkeit zu überprüfen. Diese Kompetenzabtretung ging dem Rat zu weit; hingegen verlangte er mit einem Postulat vom Bundesrat einen Bericht darüber, ob es angesichts der durch die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gegebenen Beschwerderechte sinnvoll wäre, das Bundesgericht für Klagen auf Verfassungsverletzung im konkreten Anwendungsfall zuständig zu erklären [28].
 
[26] Amtl. Bull. NR, 1987, S. 333 ff.; SPJ, 1985, S. 23 f. (Botschaft) und 1986, S. 24. Die neuen Regeln für Schiedsgerichtsmandate gehen auf eine 1986 überwiesene parlamentarische Initiative Ruffy (sp, VD) zurück (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 391 f.; SPJ, 1986, S. 24).
[27] BBl, 1988, I, S. 129 ff. (Botschaft vom 11.11.87). Siehe auch SPJ, 1984, S. 26; Amtl. Bull. NR, 1987, S. 772.
[28] Amtl. Bull. NR, 1987, S. 392 ff.