Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Eidgenössische Wahlen
Noch nie nahmen Prognosen im Vorfeld eidgenössischer Wahlen so viel Raum ein wie vor dem 18. Oktober 1987. Aufgrund der grünen Gewinne und der Verluste der Regierungsparteien bei den kantonalen und städtischen Wahlen im Frühling und gestützt auf zum Teil zweifelhafte Umfragen wurden grosse Veränderungen der politischen Machtverhältnisse vorausgesagt und eine "rot-grüne Wende" beschworen. Die "Hoffnungswahl" sollte durch parteipolitische und personelle Verschiebungen zu neuen Mehrheiten in Sachfragen vor allem der Umwelt-, Verkehrs- und Energiepolitik führen. Doch obwohl von den interessantesten Wahlen seit 1919 die Rede war, blieb die Mehrheit der Wahlberechtigten zu Hause, und angesichts der Wahlergebnisse drängt sich der Schluss auf, dass die "Hoffnungswahl" doch eher ein Medienereignis war.
Die gehegten Erwartungen widerspiegelten sich denn auch in den Pressekommentaren zum Ausgang der
Nationalratswahlen. So wurden die 6 zusätzlichen Mandate der Grünen (5 GPS, 1 GBS) an den übersteigerten Erwartungen auf einen politischen Erdrutsch mit 8–12 grünen Sitzgewinnen gemessen und mehr als Niederlage denn als Wahlsieg interpretiert – wohl nicht zuletzt deshalb, weil die bürgerlichen Parteien insgesamt ihr Terrain halten konnten und die grünen Gewinne zulasten der SP gingen. Dagegen feierte man die SVP, der grössere Verluste vorausgesagt worden waren, wegen ihrer beiden Mandatsgewinne als grosse Siegerin. Während die einen das Ausbleiben der prognostizierten Wende beklagten und im erneuten Absinken der Wahlbeteiligung den "Schlüssel für die enttäuschte Hoffnungswahl" sahen, begrüssten die anderen die Kontinuität der politischen Machtverhältnisse und konstatierten, dass sich die angebliche Unzufriedenheit des Souveräns mit der bisherigen politischen Arbeit als nicht richtig erwiesen habe
[1].
Verglichen mit den Prognosen kam im Wahlergebnis tatsächlich eine beachtliche Stabilität zum Ausdruck. Die bürgerlichen Bundesratsparteien erzielten zusammen mit den Liberalen gleich viele Mandate wie vier Jahre zuvor (127 Sitze). Verluste der FDP wurden durch Gewinne der SVP und der LP kompensiert, die CVP konnte ihre Stellung halten. Auf zusammen gleich viele Sitze wie 1983 kamen auch die möglichen Partner rot-grüner Allianzen (Linke und Grüne weiterhin 56, LdU/EVP/Maeder 12 Sitze). Dabei mussten allerdings die Sozialdemokraten mit 6 Sitzverlusten eine erneute Niederlage einstecken. Die Resultate der kleineren Parteien waren ebenfalls von Stabilität gekennzeichnet. Einen Rückschlag erlitt einzig die nationale Rechte (2 Mandatsverluste), war doch die Überfremdungsfrage kein Wahlthema mehr. Dafür zog neu die Autopartei mit zwei Nationalräten ins Parlament.
Wenn auch – bezogen auf die erzielten Sitzzahlen der bürgerlichen Parteien einerseits und der linken und grünen Gruppierungen andererseits – die politischen Machtverhältnisse stabil blieben, ergaben sich dennoch nicht unwesentliche Veränderungen. Ins Gewicht fiel vor allem der
Krebsgang der SP, die seit 1975, als sie noch 55 Nationalräte stellte, 14 Sitze und 6,5% Wähleranteile einbüsste (gegenüber 1983 -4,4%). Sodann hielt der
Trend weg von den Regierungsparteien hin zu kleinen und primär zu grünen Gruppierungen an. Die bürgerlichen Bundesratsparteien verloren zwar kaum Sitze, doch büssten auch sie seit 1975 kontinuierlich Wähleranteile ein (zusammen -3,6%, gegenüber 1983: -1,2%). Mit 53,6% wissen sie noch gut die Hälfte der Wählenden hinter sich (1983: 54,8%; 1979: 57,2%). Alle Regierungsparteien mussten somit einen erneuten Vertrauensschwund in die etablierte Politik zur Kenntnis nehmen. Sie erhielten noch von 33,6% (1983: 38,0%) aller Wahlberechtigten die Stimme, während die übrigen Parteien nun von 12,9% (1983: 10,9%) gewählt wurden
[2]. Nutzniesser waren vor allem die Grünen, welche ihre Vertretung im Nationalrat mehr als verdoppeln konnten. Zudem wurden auch etliche "Grüne" anderer Parteien, die von den Umweltschutzorganisationen speziell empfohlen worden waren, gewählt. Als weitere Veränderung gegenüber 1983 ist der gestiegene Anteil an Parlamentarierinnen hervorzuheben. Mit 29 gewählten National- und 5 Ständerätinnen (1983: 22 bzw. 3) erreichte der
Frauenanteil 14,5% bzw. 10,9%.
Die Ständeratswahlen, die in 20 Kantonen ebenfalls am 18. Oktober stattfanden, führten primär zu einer grossen personellen Erneuerung, änderten aber kaum etwas an der parteipolitischen Zusammensetzung der kleinen Kammer. Die SP und die SVP verloren je einen Sitz, während die CVP und der LdU je einen gewannen. Mit Monika Weber konnte der Zürcher Landesring seinen 1979 an die SVP verlorenen Sitz zurückerobern und ins Stöckli zurückkehren.
[1] Presse vom 19.-24.10.87, insbesondere wf, KK, 42, 19.10.87; BZ, 21.10.87; Ww, 22.10.87; TA, 22. und 23.10.87; LNN, 24.10.87. Zu früheren Wahlen siehe SPJ, 1979, S. 35 ff. und 1983, S. 31 ff.
[2] Alle Parteien zusammen (= Wahlbeteiligung): 1983: 48,9%; 1987: 46,5%; somit wählten 1983 51,1%, 1987 53,5% der Wahlberechtigten gar keine Partei bzw. blieben den Urnen fern.
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