Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Eidgenössische Wahlen
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Wahlkampf
Der Wahlkampf wurde bereits anfangs Jahr eröffnet. Er stand unter dem Zeichen der Umweltschutzproblematik, war jedoch eher flau und spielte sich hauptsächlich in den Medien ab. Spektakuläre Wahlerfolge der Grünen in kantonalen Wahlen, vor allem in Zürich, sowie zahlreiche Meinungsumfragen erregten die Erwartung eines grünen Erdrutsches bei den Nationalratswahlen. Allerdings blieben diese Prognosen nicht unbestritten [17].
Zur Konzentration des Wahlkampfs auf das Umweltthema trugen auch die grossen Umweltschutzorganisationen bei, die sich mit der Publikation ihrer Umwelttarife schon früh ins Gespräch brachten. Da sich das amtierende Parlament als unfähig erwiesen habe, der drohenden ökologischen Katastrophe wirksam zu begegnen und da Appelle an die Politiker nichts nützten, strebten sie durch gezielte Wahlempfehlungen eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat zugunsten der Umwelt an. Ihre erstmals national geführte Wahlkampagne war dreistufig und zeitlich gestaffelt: Eine erste Broschüre erklärte den "Umwelttarif" für verschiedene Politikbereiche. In einer zweiten Ausgabe wurde konkret aufgelistet, wie die einzelnen Nationalräte in 16 umweltrelevanten Namensabstimmungen der zu Ende gehenden Legislatur gestimmt hatten. Kurz vor den Wahlen präsentierten dann kantonahe und regionale Komitees in allen ausser einigen kleinen Deutschschweizer Kantonen namentliche Wahlempfehlungen. Massgebend für eine Aufführung auf diesen Umweltlisten war im Unterschied zu 1983 nicht nur das Umweltschutz-Engagement der Kandidierenden, sondern auch ihre Wahlchance [18].
Die Umwelttarife lösten eine Welle von weiteren Tarifen und Wahlempfehlungen aus, die dafür sorgten, dass der Wahlkampf sehr personenbezogen geführt wurde. Zuerst erschien der "Sozialtarif" der Sozialdemokraten, der unter Beschuss geriet, weil er mit dem Kriterium der Unterstützung sozialpolitischer Anliegen vor allem die Nähe der Parlamentarierinnen und Parlamentarier zur SP anzeigte. Ebenfalls nicht mehr ernst genommen wurde der "Demokratie- und Präsenztarif" des Landesrings, der auch parteiintern umstritten war. Auf die Aufstellung von Ranglisten und die Benotung einzelner Abgeordneter verzichteten dagegen der "Jugendtarif" der Eidgenössischen Kommission für Jugendfragen, der die Standpunkte der verschiedenen. Parteien zu aktuellen jugendpolitischen Fragen auflistete, und der " Frauentarif", der das Engagement der Parteien für die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Parlament untersuchte [19]. Mit dem Ziel, mehr Frauen als bisher ins Parlament zu bringen, führten verschiedene Frauenorganisationen wie schon 1983 Unterstützungskampagnen durch. Wahlaufrufe zugunsten von Frauen fanden auch in den Medien Resonanz [20]. Als direkte Reaktion auf den Umwelttarif forderte ferner die Autolobby in Inseraten dazu auf, keine Autogegner in die eidgenössischen Räte zu wählen, und einzelne regionale Strassenverkehrsverbände publizierten Empfehlungslisten mit ihren Wunschkandidaten. Auch andere Organisationen beschränkten sich nicht mehr auf die Propaganda für ihre Mitglieder, sondern warben neu für alle ihren Anliegen nahestehenden Kandidierenden [21].
Da die Umweltschutzorganisationen mit dem "Umwelttarif 2“ ihre Wahlbombe schon im Frühling platzen liessen, hatten die unter Beschuss geratenen Parteien genügend Zeit, mit gezielten Kampagnen Gegensteuer zu geben. Bei den traditionell im Vorfeld der Wahlen abgehaltenen Parteiprogrammtagungen ging es denn auch weniger um eine bindende Festlegung des Kurses der künftigen Politik, als vielmehr darum, in den Medien zu erscheinen und möglichst viele Wahlberechtigte anzusprechen. Besonders deutlich wurde dies bei den Freisinnigen, die das brisante und in der Partei im Anwendungsfall heftig umstrittene Instrument der Lenkungsabgaben in der Umweltschutzpolitik ohne Gegenstimme guthiessen. Die Konzentration auf den Umweltschutz, zu dem sich zumindest in der Werbung alle bekennen konnten, führte dazu, dass in den weitgehend von professionellen Agenturen konzipierten Kampagnen der grösseren Parteien mehr Gewicht auf allgemeine Slogans gelegt wurde als auf Stellungnahmen zu konkreten Sachfragen [22].
Dass sich der Wahlkampf fast ausschliesslich in den Medien abspielte, und dass – etwa im Gegensatz zu amerikanischen Verhältnissen – öffentliche Veranstaltungen und Aktionen in der Schweiz kaum Resonanz finden, war bereits in früheren Wahlen festzustellen. Kaum helvetischen Gebräuchen entsprach hingegen, dass das Parlament kurz vor dem Urnengang wahlpolitisch motivierte Entscheide fällte. In der Herbstsession wurde auf Initiative der drei bürgerlichen Bundesratsparteien ein Sofortprogramm für die steuerliche Entlastung von Familien aus der Vorlage für eine Steuerharmonisierung herausgepickt und gegen den Widerstand des Bundesrates und der Linksparteien im beschleunigten Verfahren von beiden Kammern noch vor den Wahlen verabschiedet. Die Linke ihrerseits machte sich die im Zusammenhang mit den diversen Wahltarifen erhobene Forderung nach vermehrter Transparenz des Stimmverhaltens im Parlament zunutze. Die früher zweimal abgelehnte Einführung eines elektronischen Abstimmungsverfahrens im Nationalrat wurde am letzten Sessionstag in einer von der SP verlangten Abstimmung unter Namensaufruf deutlich gutgeheissen [23].
Der Werbeaufwand der Parteien und insbesondere der einzelnen Kandidierenden ist kaum zu überblicken. Nach begründeten Schätzungen nahm der Inserateaufwand, der den gewichtigsten Teil der Werbekosten ausmacht, gegenüber 1983 sowohl mengen- als auch kostenmässig um rund 20% ab. Gesamtschweizerisch wurden im Vorfeld der Nationalratswahlen 17 000 Inserate mit einem Bruttowert von 5,8 Mio Fr. publiziert (1983: 7,4 Mio Fr.). Für den gesamten Wahlkampf standen den einzelnen Parteien höchst unterschiedliche Werbebudgets zur Verfügung. Da sie diese nicht offenlegen müssen, bestehen hingegen keine zuverlässigen Zahlen. Auffällig waren die Differenzen bei den Summen, welche für einzelne Kandidierende ausgelegt wurden (zwischen 100 und rund 500 000 Fr.). Vor allem im bürgerlichen Lager standen zum Teil beträchtliche Mittel zur Verfügung [24].
 
[17] Umfragen: BaZ, 13.5.87 (Publitest); Politik und Wirtschaft, 1987, Nr. 7, S. 10 ff., Nr. 8, S. 19 ff. und Nr. 10, S. 12 ff.; Bilanz, 1987, Nr. 6, S. 85 ff. und Nr. 9, S. 120 ff.; SoZ, 6.9.87 (Isopublic); Blick, 7.9., 14.9., 21.9., 28.9., 5.10. und 11.10.87 (Link); BZ, 1.10. und 13.10.87; TA, 8., 10. und 13.10.87; L'Hebdo, 15.10.87. Zur Kritik an den Prognosen siehe BZ, 8.9.87; Ww, 10.9.87; NZZ, 12.9.87; SGT, 12.9.87 (C. Longchamp).
[18] SBN, SES, SGU, VCS und WWF, Der Umwelttarif 1, Februar 1987 (vgl. Presse vom 4.2.87). Dies., Der Umwelttarif 2, Mai 1987 (vgl. Presse vom 16.5.87). Umwelttarif 3: Die "Umweltlisten" der verschiedenen Komitees wurden zum selben Zeitpunkt in den kantonalen und lokalen Medien veröffentlicht (Presse vom 18.9.87); siehe auch Ww, 6.8.87 und Bund, 4.9.87.
[19] "Sozialtarif": Vat., 23.6.87; Presse vom 24.6.87. "Demokratie- und Präsenztarif": Presse vom 8.8.87; TW, 19.8.87. "Jugendtarif": Presse vom 2.9787. "Frauentarif": SGT, 11.9.87; L'Hebdo, 17.9.87; TAM, 19.9.87. Zur Kritik an den verschiedenen Tarifen vgl. Brückenbauer, 8.7.87; NZZ, 10.8.87; Ww, 13.8.87; TW, 17.10.87. Siehe auch unten, Teil IIIa (SP bzw. LdU) sowie Lit.
[20] BZ, 13.4.87 und TA, 27.8.87 (nationale Kampagne des Schweiz. Verbandes für Frauenrechte); SZ, 2.9.87; AT, 12.9.87; BaZ, 18.9. und 24.9.87. Siehe auch SGT, 29.5.87; TA, 14.8.87; SoBlick, 13.9.87; SoZ, 27.9.87; Lib., 6.10.87; Bund, 10.10.87 sowie Lit.
[21] Strassenverkehrsverbände: TA, 20.6.87; SGT, 24.9.87; Suisse, 4.10.87; AT, 9.10.87. Gewerbe: AT, 16.6.87; TA, 17.9.87; SN, 10.9.87. Mieterverbände: BZ, 15.9.87; LNN, 14.10.87. Konsumentinnen: TA, 2.10.87. Siehe auch unten, Teil Illb (Übrige Interessenorganisationen).
[22] Parteiprogrammtage: BZ, 16.1. und Presse vom 19.1.87 (SVP und LdU); Presse vom 23.2. und 11.5.87 (FDP); Presse vom 25.5., 11.8. und 28.9.87 (CVP); TW, 29.8. und 26.9.87 sowie Presse vom 28.9.87 (SP); allg. dazu siehe Bund, 14.2.87; BaZ, 18.9.87, sowie unten, Teil III a. Werbeagenturen: BZ, 2.10.87; SoZ, 4.10.87. Slogans: BZ, 6.10.87.
[23] Steuerentlastung: Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1 115 ff. und 1519; Amtl. Bull. StR, 1987, S. 522 ff. und 571; siehe auch unten, Teil I, 5 (Einnahmenordnung). Abstimmungsverfahren: Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1452 ff.; siehe auch oben, Teil I, 1c (Parlament).
[24] SZ, 24.2. und 12.9.87; Bund, 10.10.87; SHZ, 15.10.87; NZZ und TA, 24.10.87 (Zahlen für den Zürcher StR-Wahlkampf); Ww, 29.10.87.