Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Eidgenössische Wahlen
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Wahlbeteiligung
Nachdem sich der seit Kriegsende beobachtete massive Rückgang der Wahlbeteiligung 1983 zu stabilisieren schien, erreichte die Partizipation 1987 mit 46,5% einen erneuten Tiefstand und damit das tiefste Niveau seit Einführung der Proporzwahl 1919 [25]. In 22 Kantonen gingen weniger Stimmberechtigte zur Urne als vier Jahre zuvor. Nur in Zürich, Uri, Obwalden und Solothurn wurde wegen spannender Majorz-Kampfwahlen die Beteiligung von 1983 übertroffen [26]. Die tiefste Partizipation verzeichneten die Majorzkantone Appenzell Innerrhoden (22,6%), Glarus (22,7%) und Nidwalden (23,4%), in denen einmal mehr ein direkter Zusammenhang zwischen der Mobilisierung der Stimmberechtigten und der Zahl der Bewerbungen festgestellt werden konnte (je ein Kandidat in GL und NW, der Bisherige und ein chancenloser Herausforderer in AI). Demgegenüber nahm in Obwalden und Uri, wo mit 4 bzw. 3 Bewerbungen um einen Sitz eine echte Auswahl bestand, die Beteiligung im Vergleich zu 1983 wieder stark zu (+20% bzw. +16%). Erheblich über dem schweizerischen Durchschnitt lagen die Stände mit traditionell hoher Beteiligung (SH, SO, TI, VS und LU), wobei die Partizipation in allen ausser Solothurn sank und in Schaffhausen erstmals unter 70% fiel.
Als wichtigste Motive für die Wahlabstinenz weist die VOX-Analyse aufgrund von Befragungen neben okkasionellen Gründen (28% der Nicht-Teilnehmenden) weiterhin politisches Desinteresse (22%), Überforderung (20%) und Resignation (17%) nach [27]. Bestätigt wurde auch die aus früheren Untersuchungen gewonnene Feststellung, dass Bürger und Bürgerinnen mit Bindung an eine Partei und insbesondere an eine Regierungspartei stärker partizipieren als parteipolitisch nicht festgelegte Wahlberechtigte. Während die bürgerlichen Bundesratsparteien – allen voran die SVP – die überdurchschnittliche Beteiligung ihrer Anhängerschaft wieder im Rahmen der letzten Wahlen halten konnten, gelang es der SP jedoch weniger gut, ihre Sympathisanten zu mobilisieren [28]. Nach Berufsgruppen betrachtet, verzeichneten erneut die Angehörigen der niedrigen Lohnklassen stark unterdurchschnittliche Beteiligungsraten. Verglichen mit 1983 sank die Partizipation der Facharbeiter — und damit des traditionellen SP-Potentials — am stärksten (von 5% auf 15% unter dem Durchschnitt), gefolgt von jener der ungelernten Arbeiter (von -5% auf -9%) und jener der Beamten und Angestellten in einfacher Stellung (von -17% auf -18%). Den höchsten Mobilisierungsgrad (27% über dem Durchschnitt) erreichte demgegenüber die Grüne Partei, deren Anhängerschaft sich zu drei Vierteln an den Wahlen beteiligte.
 
[25] Vergleichszahlen: 1971: 56,9%; 1975: 52,4%; 1979: 48,0%; 1983: 48,9% (vgl. BA für Statistik, Nationalratswahlen 1983. Überblick, Bern 1984, S. 29). Zahlen 1987: BA für Statistik, Info à la carte, Bern 1988. Siehe auch Tabelle (Sitze).
[26] ZH und UR StR-Wahlen, SO Ersatzwahlen für den Regierungsrat (vgl. unten, Kantonale Wahlen).
[27] VOX-Analyse (vgl. Lit.), 1987, S. 16.
[28] Vergleich mit der durchschnittlichen Wahlbeteiligung (1979/1983/1987): SVP +27%/+23%/ +23%; CVP +21%/+21%/+20%; FDP +19%/+17%/+16%; SP +15%/+15%/+12% (VOX-Analyse, 1979, S. 6; 1983, S. 6 f.; 1987, S. 10).