Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Kantonale und kommunale Wahlen
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Tessin
Mit einer grossen Überraschung endeten die Gesamterneuerungswahlen im Tessin. Die Spitzenkandidaten der beiden zerstrittenen sozialistischen Lager, die sich den fünften Regierungssitz streitig gemacht hatten, der Sozialdemokrat Rossano Bervini und der autonome Sozialist Pietro Martinelli (psa), wurden beide in die Regierung gewählt. Dafür musste der amtierende CVP-Staatsrat Fulvio Caccia, der bisher stets mit dem besten Resultat im Amte bestätigt worden war, über die Klinge springen. Für diesen Wahlausgang, der die seit 1922 gültige Regierungs-"Zauberformel" (2 FDP, 2 CVP, 1 SP) umstiess und allgemein Konsternierung auslöste, ist einerseits das Tessiner Wahlsystem (Proporzwahl), andererseits das massive Eingreifen der bürgerlichen Parteien in die Auseinandersetzungen der Linken verantwortlich. Der Wahlkampf hatte ganz im Zeichen der sozialistischen Flügelkämpfe gestanden. Niemand zweifelte an der Wiederwahl der bisherigen FDP- und CVPStaatsräte, doch rechnete man damit, dass der Sozialdemokrat Bervini durch den PSA-Kandidaten Martinelli verdrängt werden könnte. Da die rechten Flügel von FDP und CVP bei einem PSA-Sieg die Regierungsfähigkeit des Kantons in Gefahr sahen, machten sie sich für die Sicherung des SP-Sitzes stark, wodurch die bürgerlichen Parteien in hohem Ausmass Panaschierstimmen an die Linke verloren [60].
 
[60] TI: Wahlen vom 5.4.87: Presse vom 7.4.87; CdT, 8.4., 11.4. und 15.4.87; Ww, 9.4.87; NZZ, 10.4.87; SoZ, 12.4.87; vgl. SPJ, 1986, S. 37 (Nachrücken von Giuseppe Buffi, fdp). Analyse des Stimmentransfers: G. Gambillara, "Analisi del voto del 5 aprile 1987", in Informazioni statistiche, 1987/10 und 1988/2 (Hg.: Statist. Amt des Kt. TI). Wahlkampf: Ww, 12.2.87; TA, 18.2.87; CdT, 27.3. und 31.3.87; NZZ, 2.4.87. Verteilung der Departemente: CdT, 17.4.87; NZZ, 18.4.87. Zum seit längerer Zeit schwelenden Streit bei der Tessiner Linken siehe unten, Teil IIIa (SP).