Année politique Suisse 1987 : Wirtschaft / Landwirtschaft
 
Lebensmittel
Der Bundesrat revidierte für 1988 die Lebensmittelverordnung (LMV) sowie die Zusatzstoffverordnung und trug dabei namentlich gesundheitspolitischen Anliegen und den veränderten Konsumgewohnheiten Rechnung. Eine der wichtigsten Neuerungen ist das generelle Verbot des gelben Farbstoffes Tartrazin, der vor allem bei der Herstellung von Zuckerwaren verwendet wird und bei gewissen Personen Allergien auslöst. Eingeschränkt wurde ferner der Höchstwert von Nitrit, einem Mittel zur Rötung von Fleischwaren, welches sich unter bestimmten chemischen Voraussetzungen in krebserregende Nitrosamine umwandelt; auf das obligatorische Anbringen einer entsprechenden Warnschrift auf der Verpackung wurde jedoch verzichtet. Weiter senkte der Bundesrat den Mindestgehalt an Alkohol und Zucker bei verschiedenen Kategorien von Spirituosen und verlangte, dass künftig beim Bier der Alkoholgehalt auf der Etikette angegeben wird. Sofern sogenannte "Light-Produkte" kalorienarm oder kalorienfrei sind, bedürfen sie fortan nicht mehr einer Einzelbewilligung durch das BAG [25].
Schiffbruch bei seinem Versuch, dem "neuen Ernährungstrend" entsprechend eine Halbfettmilch (mit 1,8% Fettgehalt und stark reduziertem Kaloriengehalt) auf den Markt zu bringen, erlitt der Grossverteiler Migros. Die Kantonschemiker intervenierten und untersagten den Verkauf dieses neuen Produkts, welches gesundheitspolitisch zwar unbedenklich sei, aber gegen die LMV verstosse. Der Bundesrat beendete im weiteren einen jahrelangen Konflikt zwischen dem Bundesamt für Veterinärwesen und dem BAG, indem er mittels Änderung der Kompetenzordnung und der Fleischschauverordnung die Aufsicht über Fleisch- und Wurstwaren neu dem BAG übertrug. Damit hat dieses die Gesamtverantwortung für die Lebensmittel im Verkauf inne [26].
Die Kontamination von Lebensmitteln, insbesondere von Weichkäse, respektive der Weichkäserinde durch Listerien ist seit einigen Jahren bekannt und wurde vom BAG schon in verschiedenen Studien untersucht. Im Berichtsjahr nahm die Erkrankung von Menschen, vor allem schwangeren Frauen und Patienten mit immunschwächenden Krankheiten, deutlich zu und bewog die Regierung des Kantons Waadt — nach einigen Todesfällen infolge von Listeriose —, die Herstellung und den Verkauf des Weichkäses "Vacherin Mont d'Or" vorübergehend zu untersagen. Während die Zusammenarbeit zwischen BAG und den Kantonschemikern sachlich funktionierte, entstanden bei der Information der Bevölkerung beträchtliche Schwierigkeiten. Das unkoordinierte Vorgehen der Kantone wie auch eine ungenügende Informationspolitik hatten umgehend neue Unsicherheit und Verdächtigungen in der Bevölkerung zur Folge, was den Weichkäsekonsum drastisch zurückgehen liess. Aufgebracht darüber zeigten sich namentlich die betroffenen Käseproduzenten und Grossverteiler. Die Freiburger Vacherin-Produzenten, welche zu Unrecht mit einem Verkaufsverbot belegt worden waren und neben finanziellen Einbussen auch Imageverluste hinnehmen mussten, kündigten rechtliche Schritte gegen die eidgenössischen Amtsstellen an. Die SVP-Parlamentarier Müller (AG) und Seiler (SH) reichten in beiden Kammern je eine gleichlautende Motion zum Problem Listerien im Käse ein. Danach soll der Bund koordinierend eingreifen und einen nationalen Krisenstab einsetzen, in dem alle interessierten Kreise vertreten sind. Dieser hätte insbesondere klare, für alle Kantone einheitliche Untersuchungskriterien und Beurteilungsmassstäbe aufzustellen, die auch dem internationalen Vergleich standhielten. Die gesetzlichen Grundlagen seien entsprechend anzupassen. Weiter verlangte der Vorstoss, dass eine koordinierte, kontinuierliche und klare Information durch die Behörden von Bund und Kantonen sichergestellt werde [27].
 
[25] AS, 1987, S. 1727 ff. und 1760 ff. sowie 1988, S. 384 ff.; NZZ und TA, 5.11.87; JdG, 6.11.87.
[26] Halbfettmilch: Bund, 1.5.87; BZ, 4.5.87; Presse vom 5.5.87; Vat., 7.5.87; SGT, 15.5.87; LID-Pressedienst, 1519, 6.11.87. Fleischschauverordnung: AS, 1987, S. 820 ff.; Presse vom 9.5.87; Bund, 10.6.87. Siehe auch SPJ, 1986, S. 104.
[27] NZZ, 21.11., 24.11., 5.12., 8.12., 11.-14.12., 18.12. und 30.12.87; 24 Heures, 21.-27.11., 17.12., 19.12, und 28.12.87; Suisse, 23.11. und 19.12.87; BaZ, 25.11.87; Ww, 26.11. und 17.12.87; SHZ, 10.12.87; JdG, 16.12.87; Presse vom 19.12.87; TA, 24.12.87; Lib., 30.12.87; vgl. Verhandl. B.vers., 1987, IV, S. 75 und 103. Siehe auch die Interpellation des Waadtländer Liberalen Reymond (Amtl. Bull. StR, 1987, S. 299 f.) und die Einfache Anfrage der St. Galler Freisinnigen Eppenberger (Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1703 f.). Vgl. ferner SPJ, 1986, S. 104.