Année politique Suisse 1987 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kirchen
Polarisierungen innerhalb und zwischen den Religionsgemeinschaften und gleichzeitig die Suche nach einer Einheit des Glaubens und der Kirchen, eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem Religiösen und gleichzeitig eine steigende Attraktivität fundamentalistischer Bekehrungsgemeinschaften, die Frage nach dem Mass und der Richtung des politischen Engagements der Kirche und ihrer Vertreter: das waren die wichtigsten kirchlichen Probleme, die auch 1987 die öffentliche Diskussion prägten. Auf katholischer Seite kam noch hinzu die Sorge um die Stellung, die den Laien im allgemeinen und den Frauen im besonderen in der Kirche eingeräumt wird.
Das in den letzten Jahren für Aufregung sorgende politische Engagement von Kirchenvertretern und von kirchlichen Gruppen und Organisationen führte zu weiteren grundsätzlichen Diskussionen über die Stellung der Kirchen in Staat und Gesellschaft. Dabei wurde auch festgestellt, dass politische Aktivitäten innerhalb der Kirchen meist von Minderheiten ausgehen, während die Mehrzahl der Gläubigen von den Volkskirchen vor allem eine traditionsverbundene, Harmonie erstrebende Begleitung des Lebens erwartet [17].
Dass sich die Kirchen nicht um die Politik, sondern um das Seelenheil der Gläubigen zu kümmern hätten, betont weiterhin die überkonfessionelle "Aktion Kirche wohin?", die 1987 in der Westschweiz die Schwesterorganisation "Association Eglise où vas-tu?" gründete. Sie führt ihren Kampf hauptsächlich gegen die als linkslastig angesehenen religiösen Sendungen von Radio und Fernsehen und versucht, die Finanzbasis der Kirchen zu schmälern. Zu diesem Zwecke organisierte sie Konkurrenzsammlungen zu denjenigen der kirchlichen Hilfswerke und lancierte eine Debatte über die Rechtmässigkeit der Kirchensteuerpflicht für juristische Personen. Mit ihrem Einsatz gegen die Rüstungsreferendums-Initiative setzte sich die Organisation dann aber ihrerseits, und bis in die eigenen Reihen hinein, dem Vorwurf aus, weniger das politische Engagement der Kirchen an sich, sondern eher dessen Richtung zu bekämpfen, und die Kirchen auf einen rechtsbürgerlichen politischen Kurs verpflichten zu wollen [18].
Auf katholischer Seite wurde nun häufiger die Befürchtung geäussert, dass die restaurativen Tendenzen im Vatikan Auswirkungen auf die Schweiz haben könnten. Als Symptome einer solchen Entwicklung wurden genannt das forsche Wirken des Tessiner Bischofs E. Corecco, der integristische Interessen der Vereinigung "Comunione e Liberazione" vertritt, der enttäuschende Ausgang der römischen Bischofssynode, von der eine Besserstellung der Laien in der Kirche erhofft worden war, der Immobilismus der Kirche hinsichtlich einer besseren Integration der Frauen oder das Veto der Schweizerischen Bischofskonferenz (SBK), das der Universität Freiburg verbot, einen kritischen Theologen mit dem Ehrendoktorat auszuzeichnen sowie einen Laien als Professor für Moraltheologie zu wählen [19].
In einer hoffnungsvollen Aufbruchstimmung wurde hingegen die Schweizerische Evangelische Synode (SES) abgeschlossen. Während fünf Jahren hatte diese das Ziel verfolgt, einen innerkirchlichen Besinnungs- und Erneuerungsprozess einzuleiten. Als Perspektiven eines neuen Bekennens wurde nun zum Abschluss der Tagungen vor allem der Widerstand gegen die Zerstörung der Schöpfung, gegen die Missachtung der Menschenrechte, gegen einen zunehmenden Fatalismus und gegen Kirchenspaltungen hervorgehoben [20].
In einer schwierigen Phase befinden sich nach wie vor die ökumenischen Bestrebungen. Zu Beginn des Jahres korrigierte zwar Bischof Otto Wüest das letztjährige Dokument der SBK über die "Eucharistische Gastfreundschaft ": Interkonfessionelle Abendmahlsfeiern seien lediglich für ganze Gottesdienstgemeinschaften unerwünscht, für Ehepaare in Mischehen jedoch zulässig. Namentlich letztere hatten denn auch mit Bestürzung auf das Dokument reagiert, das die Vorbehalte der SBK gegenüber der Interkommunion formuliert. Rückschläge erfuhr die Okumene hingegen nach der Ernennung von zwei zusätzlichen Weihbischöfen in den Bistümern Basel und Freiburg/Lausanne/Genf. Als der neue "évêque auxiliaire" von Genf auch noch in der Calvin-Stadt seinen Sitz nahm, wurden gar kulturkämpferische Töne wieder laut. Der "Schweizerische Bund aktiver Protestanten" (SBAP) warf der katholischen Kirche eine aggressive Expansionspolitik vor und erwog gar das Lancieren einer Volksinitiative für die Abschaffung der päpstlichen Nuntiatur in Bern. Trotzdem hielt die SBK an ihrem Plan der Neueinteilung der Bistümer fest, entschied sich jedoch angesichts der massiven Kritik für ein vorsichtiges und langsames Vorgehen. Ein Treffen zwischen den Spitzen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes und der Bischofskonferenz brachte dann doch wieder eine gewisse Beruhigung der Lage. Der Bundesrat zeigte sich auch bereit, eine Motion Weber (cvp, AG – nach den Wahlen von P. Hess, cvp, ZG, übernommen) entgegenzunehmen, welche die Streichung von Art. 50, Abs. 4 der Bundesverfassung verlangt. Die Verfassung sieht hier vor, dass die Errichtung von Bistümern vom Bund genehmigt werden muss [21].
 
[17] Vgl. Lit. Brunner; SGT, 20.1.87; Vat., 24.1.87; Ww, 2.4.87.
[18] Vgl. Lit. Frischknecht; NZZ, 23.3. und 11.12.87; 24 Heures, 27.7.87; Vat., 16.12.87. Kirchensteuer: Vgl. Lit. NZZ.
[19] Bistum Tessin: SZ, 14.3. und 4.4.87; BaZ, 29.5.87; NZZ, 7.7.87; vgl. auch SPJ, 1986, S. 196. Bischofssynode: Vat., 11.9.87; SZ, 7.11.87. Frauen: SZ, 12.9.87 ; NZZ, TA und Vat. 26.10.87. Universität Freiburg: Vat., 14.11. und 18.11.87; NZZ, 4.12.87; BaZ, 5.12.87.
[20] Presse vom 16.11.87; Vat., NZZ, 17.11.87; SZ, 21.11.87; Neue Wege, 81/1987, S. 300 f. Vgl. auch SPJ, 1986, S. 196.
[21] Interkommunion: SZ, 3.1.87; NZZ, 4.2.87; vgl. auch SPJ, 1986, S. 196 f. Weihbischöfe: Presse vom 13.2.87; JdG, LM und Lib. 27.2.87; Lib., 16.4.87; Vat., 5.6.87; Ww, 17.9.87; BZ, 29.9.87; TA, 1.10.87. SBAP: BZ, 6.5.87; Suisse, 15.5.87. Motion Weber / Hess: Amtl. Bull. NR, 1987, S. 1857 f.; Verhandl. B.vers., 1987, IV, S. 94; AT, 18.11.87; vgl. SPJ, 1986, S. 196.