Année politique Suisse 1987 : Bildung, Kultur und Medien / Medien / Medienpolitische Grundfragen
Ebenfalls reaktiv dürfte auch die "Medienpolitik" der Rezipienten via "Abstimmung am Kiosk" beziehungsweise via der Schalter an deren elektronischen Empfangsgeräten sein. Wie eine UNIVOX-Umfrage zum Medienkonsum ergab, haben die Tageszeitungen in der Schweiz nach wie vor die grösste Reichweite unter den tagesaktuellen Medien, erreichen sie doch jeden Tag 79% der erwachsenen Bevölkerung. Hingegen wird viel mehr Zeit für den Fernseh- und vor allem den Radiokonsum aufgewendet als für die Zeitungslektüre. Eine Zunahme des TV-Konsums findet vor allem da statt, wo ein Kabelanschluss an eine Gemeinschaftsantenne im Quartier oder in der Region den Empfang einer Vielzahl von Stationen erlaubt, was bei gut 50% der Haushalte der Fall ist. Im übrigen ist jedoch die Art und das Ausmass des Medienkonsums stark schicht- und bildungsabhängig. Dies trifft insbesondere auch für die sogenannten "neuen Medien" (Teletext, Videorecorder, Home- und Personal-Computer, Abonnementsfernsehen, Videotex) zu, die noch in geringem Masse und vor allem in gutsituierten städtischen Schichten verbreitet sind
[2].
Ein Teilmarkt innerhalb dieses neuen Medienangebots, das
Angebot an Pornographie und vor allem an Gewalt in Videofilmen, bereitet indessen zunehmend gesellschaftspolitische Schwierigkeiten. Als beunruhigend wird insbesondere vermerkt, dass Jugendliche eine Vorliebe für solche "Brutalos" entwickeln und diese als eine Art Mutprobe konsumieren. Dem vereinzelten Ruf nach dem Zensor stehen weit zahlreicher aber Stimmen entgegen, die in erzieherischen Massnahmen ein adäquateres Mittel sehen, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Trotzdem ist in der laufenden Revision des Strafgesetzbuches vorgesehen, die Veröffentlichung von Gewaltdarstellungen und harter Pornographie unter Strafe zu stellen. Darüber hinaus wird jedoch auch davor gewarnt, die Debatte auf die Videogewalt zu verengen, da mit der beabsichtigten Einführung des Privatfernsehens und mit dem sich dadurch verschärfenden Kampf um Mehrheitspublika der Anteil an Gewalt im Fernsehen beträchtlich zunehmen werde. Diese Perspektive macht deutlich, dass der Hang, Darstellungen von physischer Gewalt zu rezipieren, ein gesellschaftliches Problem darstellt, das mit Zensurmassnahmen nicht behoben werden kann
[3].
[2] U. Saxer / H. Bonfadelli, Kommunikation, Univox Jahresbericht 1987, GfS und SPZ, Zürich 1987.
[3] Vat., 2.11.87; Zoom, 38/1986, Nr. 7, ganzes Heft; zur Revision des StGB vgl. oben, Teil I, 1b (Rechtsordnung). Mitte August wurde eine Volksinitiative "gegen die Vermarktung von Gewalt und Sexualität in den Medien" lanciert, der für das Zustandekommen jedoch wenig Chancen eingeräumt werden (BBl, 1987, III, S. 10 ff.; Presse vom 1.9.87).
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