Année politique Suisse 1988 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Liberale Partei (LPS)
Der Kongress 1988 der Liberalen Partei in der Genfer Gemeinde Lullier war der Sozialpolitik gewidmet. Nach Ansicht der grössten bürgerlichen Nichtregierungspartei sollten dabei staatliche Interventionen nur sehr gezielt und punktuell erfolgen, weil sie das Individuum aus der Verantwortung entliessen. Ausdruck davon sei unter anderem der beunruhigende Geburtenrückgang, welcher zu einer zunehmenden Angleichung der Zahl der Erwerbstätigen und der Rentner führe. Unterstützung verdienten deshalb die individuelle Verantwortung und natürliche Solidaritätsformen wie Familie und Nachbarschaft. In der Sozialpolitik müsse die Verantwortung in der Familie beginnen und vermehrte Bedeutung sollte den Anstrengungen für Teilzeitarbeit, der Erleichterung der beruflichen Wiedereingliederung von Frauen sowie Steuererleichterungen für junge Ehepaare beigemessen werden. Die Partei setzte eine interkantonale Arbeitsgruppe ein, um die praktische Umsetzung der Kongressprinzipien zu kontrollieren. Befriedigt zeigten sich die Liberalen über die Europapolitik des Bundesrates, zu der sie wichtige Impulse geliefert hätten. Anlässlich der Parolenfassung zur "Stadt-Land-Initiative" betonten sie ihre ablehnende Haltung gegen die Bodenspekulation und erachteten staatliche Interventionen bei Missbräuchen als zulässig; sie entschieden sich dennoch klar für die Nein-Parole. Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen hatte sich die Liberale Fraktion der Bundesversammlung gegen die Kaiseraugst-Verzichtsmotion ausgesprochen; sie wandte sich auch gegen eine volle Entschädigung durch den Bund, weil das Risiko des Investors in der Marktwirtschaft nicht vom Staat übernommen werden dürfe [31].
In den Kantonen Wallis und Zürich etablierten sich neue Gruppierungen der LP, welche Antrag auf Anerkennung als Sektion stellten. Nach Parteipräsident Nationalrat G. Coutau müssen dabei zwei Bedingungen erfüllt sein, nämlich die Übereinstimmung von Programm und Statuten mit denjenigen der nationalen Partei, und eine Kandidatur mit mindestens einem Sitzgewinn auf Gemeinde- oder Kantonsebene unter der Bezeichnung als Liberale Partei. Bei kantonalen Wahlen war die LP 1988 nur in Baselstadt engagiert, wo sie in Regierung und Parlament ihre Sitze halten konnte. Zum Teil empfindliche Rückschläge, namentlich in der Kantonshauptstadt, musste sie jedoch bei den Gemeindewahlen im Kanton Neuenburg hinnehmen [32].
 
[31] Kongress vom Mai: BaZ, JdG und NZZ, 30.5.88. Del.versammlung im November: JdG, 14.11.88. Fraktion: NZZ, 24.6.88; vgl. dazu auch oben, Teil I, 6a (Energie nucléaire).
[32] Wallis: NF, 23.3. und 7.5.88; Lib., 13.4.88; Suisse, 7.12.88. Zürich: TA und Vat., 2.11.88. Wahlen BS: Porträts in BaZ, 6.1. und 11.1.88; vgl. dazu oben, Teil I, Kap. 1e. Gemeindewahlen Neuenburg: FAN, 9.5. und 21.6.88.