Année politique Suisse 1988 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein / Grundsatzfragen
print
Zukunftsperspektiven
Eine Reihe von bekannten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft wurde für eine Buchpublikation eingeladen, Gedanken zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Schweiz zu formulieren. Für die meisten, zumeist älteren Beteiligten sind die angebliche Gründung der Schweiz im Jahre 1291, das Stanser Verkommnis als angebliche Stiftung des inneren Friedens, die Schlacht von Marignano als (erzwungener) Verzicht auf eine Grossmachtpolitik, 1848 als Gründungsjahr des Bundesstaates und das Friedensabkommen zwischen dem Metall- und Uhrenarbeiterverband und den Arbeitgebern von 1937 die wichtigsten Ereignisse der Schweizer Geschichte. Diesem Geschichtsbild entsprechend fallen auch die Zukunftsvisionen eher verhalten und konservativ aus. Sie sind über weite Strecken getragen von der Sorge um den Erhalt der nationalen Identität in einer von Migrationsströmen und internationalen Wirtschaftsbeziehungen geprägten Welt. Mass zu halten, Egoismus und Materialismus zu überwinden, aktive Mitverantwortung zu übernehmen sind oft geäusserte Ermahnungen. Daneben wird auch eine vermehrte Rücksicht auf die Umwelt und teilweise eine engagierte Solidarität mit der Dritten Welt gefordert. Eine eher einsame Stimme sorgte sich um den Zerfall von Gewerkschaften und Sozialdemokratie und um eine daraus folgende Desintegration der Benachteiligten, um den Zerfall der Opposition und demzufolge um die Gefährdung der Politik als Mittel der Konfliktlösung [7].
Zu intensiven Diskussionen in den Medien und im Parlament führte auch die für das Jahr 1992 geplante Einführung eines Binnenmarktes im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft (EG). Wieviel von ihrer Eigenständigkeit wird die Schweiz mit einem solchen übermächtigen Nachbarn noch aufrecht erhalten können? Wird der Zwang zur Annäherung oder ein allfälliger Beitritt zur EG nicht zentrale Aspekte des schweizerischen Selbstverständnisses, namentlich die Unabhängigkeit und die halbdirekte Demokratie, antasten? Auf diese und weitere Fragen gehen wir unten, im Kapitel 2, ein [8].
Haben künftige Generationen, welche die Folgen heutigen Tuns und heutiger Politik tragen müssen, irgendwelche bestimmbaren Rechte? Mit dieser Frage befasste sich ein Seminar an der Universität Bern. Die Beteiligten kamen zum Schluss, dass im geltenden Recht in Zukunft Geborene kaum explizit erwähnt werden, dass dies aber angesichts der langfristigen Folgen menschlichen Wirkens wünschbar wäre. Sie verfassten deshalb eine " Erklärung der Rechte künftiger Generationen", welche diesen einen Anspruch auf nicht manipuliertes menschliches Erbgut und eine intakte Umwelt zuspricht. Zusätzlich suchten sie auszuloten, wie diese Rechte im Völkerrecht, in Verfassung und Gesetz sowie hinsichtlich der Verwaltungstätigkeit formuliert und verwirklicht werden könnten [9].
 
[7] Vgl. Lit. Gutzwiller (dazu SZ, 2.7.88; Bund, 5.8.88; NZZ, 10.9.88).
[8] Auch für weiterführende Literatur vgl. unten, Teil I, 2a (Europe) und (Institutions européennes).
[9] Vgl. Lit. Saladin / Zenger.