Année politique Suisse 1988 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Grundrechte
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Datenschutz
Mehr als vier Jahre nach der Vernehmlassung legte der Bundesrat den Entwurf für ein Datenschutzgesetz vor. In der Zwischenzeit war der Vorentwurf von einer Expertengruppe und verwaltungsintern weiter bearbeitet und auch vereinfacht worden. Trotz den von der Wirtschaft vorgebrachten Einwänden hielt der Bundesrat an einem Einheitsgesetz fest, welches den Datenschutz sowohl im staatlichen als auch im privaten Bereich regelt. Abgesehen von einigen gemeinsamen Grundsätzen werden jedoch für die beiden Bereiche unterschiedliche Vorschriften aufgestellt [4].
Zu den allgemein gültigen Prinzipien zählt die – allerdings eingeschränkte – Auskunftspflicht der Datenbankinhaber gegenüber Einzelpersonen. Der Bundesrat schlägt vor, dass der Inhaber einer Datensammlung Auskunft geben muss über die Existenz, den Inhalt, den Zweck und die Weitergabe an Dritte der über eine Person vorhandenen Daten. Die Auskunft kann jedoch verweigert oder eingeschränkt werden, wenn Gesetze, Argumente des Staatsschutzes oder der Strafverfolgung gegen eine Bekanntgabe der Daten sprechen. Damit dieses Auskunftsrecht wirkungsvoll ausgeübt werden kann, soll ein Register geführt werden. Darin müssen sämtliche von Bundesstellen geführte Datensammlungen sowie diejenigen von Privaten, welche unter dem Aspekt des Datenschutzes besonders heikel sind, verzeichnet sein [5].
Der Entwurf stellt detaillierte Vorschriften über die Beschaffung, Bearbeitung und Weitergabe von personenbezogenen Daten durch die Bundesorgane auf. Dabei kann allerdings der Bundesrat für den Bereich des Staatsschutzes und der militärischen Sicherheit Ausnahmen bewilligen. Für den privaten Bereich beschränken sich die Bestimmungen demgegenüber auf eine zum Teil beispielhafte Präzisierung und Konkretisierung des Persönlichkeitsschutzes im Zivilgesetzbuch (Art. 28 – 28f) [6].
Die Einhaltung des Gesetzes soll durch einen Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten überwacht werden. Dieser kann Abklärungen vornehmen und Empfehlungen abgeben, hat aber kein Entscheidungsrecht. Diese Kompetenz kommt laut Entwurf der ebenfalls neu zu schaffenden Eidgenössischen Datenschutzkommission zu, deren Urteile an das Bundesgericht weitergezogen werden können [7].
Als Ergänzung zum neuen Datenschutzgesetz schlägt der Bundesrat zudem Teilrevisionen des Obligationenrechts (Bearbeitung von Personendaten durch den Arbeitgeber), des Strafgesetzbuches (ärztliches Berufsgeheimnis), des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (polizeiliche und richterliche Ermittlungen) und des internationalen Rechtshilfegesetzes (Datenaustausch mit der INTERPOL) vor. Im Bereich der medizinischen Forschung soll die Weitergabe von nicht anonymisierten Daten zu wissenschaftlichen Zwecken und damit ein Abweichen vom ärztlichen Berufsgeheimnis durch eine vom Bundesrat einzusetzende Sachverständigenkommission bewilligt werden können. Diese Erlaubnis ist allerdings an gewisse Auflagen gebunden. So muss neben bestimmten qualitativen Anforderungen an die Forschung die zumindest stillschweigende Einwilligung des Patienten vorliegen. Im'Bereich des Strafverfahrens findet das Datenschutzgesetz gemäss Entwurf keine Anwendung. Es ist deshalb vorgesehen, das Strafprozessrecht um neue Bestimmungen über die Erhebung, Berichtigung, Weitergabe und Vernichtung von besonders schützenswerten Personendaten zu ergänzen [8].
Während die Beurteilung durch die Medien recht günstig ausfiel, wurde von links und rechts Kritik geäussert. Die «Demokratischen Juristinnen und Juristen» und die «Wochenzeitung» beanstandeten die Ausnahmeregelungen für den Staatsschutz und die polizeilichen Ermittlungen. Der Gewerbeverband und der «Verband der Wirtschaftsauskunftsdateien der Schweiz» befürchteten demgegenüber eine übermässige Beschränkung der Geschäftsinteressen von privaten Firmen. Der Vorort anerkannte, dass der Bundesrat einigen Einwänden der Wirtschaft zum Vernehmlassungsentwurf Rechnung getragen hatte, stellte aber für die Parlamentsdebatte weitere Abänderungsanträge für den privaten Bereich in Aussicht [9].
Bis zur Durchführung der nächsten Volkszählung dürfte das neue Datenschutzgesetz noch nicht in Kraft sein. Der Bundesrat hatte deshalb 1987 dem Parlament eine Revision des fast 120 Jahre alten Gesetzes über die eidgenössische Volkszählung vorgelegt. Neben Sanktionsbestimmungen bei Auskunftsverweigerung sollten der Exekutive Vollmachten zum Erlass von spezifischen Datenschutzbestimmungen eingeräumt werden. Zudem sah der Entwurf vor, dass der Erhebungstermin nicht mehr zwingend auf den 1. Dezember eines neuen Jahrzehnts fallen muss. Diese letzte Anderung sollte es erlauben, die nächste Volkszählung soweit vorzuziehen, dass ihre Ergebnisse für die Sitzzuteilung an die Kantone für die Nationalratswahl von 1991 verwendet werden können. Dieser letzte Punkt wurde vom Parlament abgelehnt: Der Nationalrat war der Meinung, dass nur mit einem Beibehalten des starren 10-Jahresrhythmus die direkte Vergleichbarkeit mit früheren Ergebnissen gewährleistet sei. Dieses Argument, das von den Statistikern nicht geteilt wird, sei höher einzuschätzen, als eine Neuverteilung der Nationalratsmandate. Der Ständerat fügte sich — nicht aus Überzeugung, sondern aus Zeitdruck — im Differenzbereinigungsverfahren dieser Ansicht. Die Bestrafung der Auskunftsverweigerung wurde von den linken und grünen Parteien erfolglos bekämpft. Das Parlament konkretisierte jedoch diese Bestimmungen gegenüber dem Entwurf sowie auch die Vorschriften bezüglich Datenschutz [10].
Bereits sind allerdings Boykottaufrufe gegen die Volkszählung angesagt: die im Rat unterlegene GPS, die Jungsozialisten und weitere linke und grüne Organisationen stellten — wegen der ihrer Ansicht nach ungenügenden Datenschutzbestimmungen — eine entsprechende Kampagne in Aussicht. Im Berichtsjahr machte eine Aktivistengruppe, welche Datenerhebungen und Statistiken grundsätzlich als ein Herrschaftsinstrument des Staates bezeichnet, von sich reden. Sie rief zu einem Boykott gegen den vom Bund in Auftrag gegebenen Mikrozensus (Repräsentativerhebung) auf und zerstörte Datenbänder anlässlich einer Besetzung des Soziologischen Instituts der Universität Zürich [11].
 
[4] BBl, 1988, II, S. 413 ff. (Botschaft vom 23.3.88). Vgl. auch SPJ 1985, S. 15, 1986, S. 15 und 1987, S. 19.
[5] BBl, 1988, II, S. 438 ff.
[6] BBl, 1988, II, S. 458 ff.
[7] BBl, 1988, II, S. 478 ff.
[8] BBl, 1988, II, S. 488 ff.
[9] Presse vom 24.3.88; Plädoyer, 6/1988, Nr. 2, S. 7 f.; WoZ, 30.5.88; NZZ, 14.6.88; SHZ, 31.7.88. SHIV (Vorort), Jahresbericht, 118/1987-88, S. 128.
[10] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 315 ff., 409 ff., 668 ff. und 971; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 285 ff., 335 und 425; AS, 1988, S. 1912 ff. und 1915 ff (Verordnung).
[11] WoZ, 6.5. und 1.7.88; TA, 15.6.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 19 f.