Année politique Suisse 1988 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
Der Bericht des Bundesrates über die Legislaturplanung 1987—1991 steht unter dem Leitmotiv des qualitativen Wachstums und ist damit noch stärker als derjenige von 1984 von der Sorge um die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen geprägt. Das qualitative Wachstum war in einem 1986 veröffentlichten Expertenbericht generell als Zunahme der Lebensqualität definiert worden. Gemäss diesem Konzept soll ein weiteres Wirtschaftswachstum nicht mehr eine gleichzeitige Zunahme der Umweltbelastung und einen Raubbau an nicht vermehr- oder regenerierbaren Ressourcen zur Folge haben. Der Bundesrat gab zu bedenken, dass der Staat dieses Ziel nicht allein verwirklichen könne, dass er aber eine entsprechende Neuorientierung der Gesellschaft unterstützen könne. Wichtige Ansatzpunkte sieht die Regierung — neben der Umweltschutzpolitik — vor allem in der Forschungs- und Ausbildungspolitik. Am konkretesten wird der Zusammenhang zwischen der Regierungspolitik und dem qualitativen Wachstum beim Vorschlag, eine. Energieabgabe von 10% einzuführen.
Neben der Leitidee und einer Analyse der inneren und äusseren Lage der Schweiz enthält der Bericht wie üblich eine Auflistung der Vorhaben, welche die Regierung in den nächsten vier Jahren der Legislative zum Entscheid vorzulegen gedenkt. Bei diesen rund 50 Geschäften (1984 waren es noch 67) handelt es sich zum Teil um Reformvorhaben, die bereits seit längerer Zeit im Gange sind (z.B. 10. AHV-Revision, Datenschutzgesetz), zum Teil werden aber auch neue Projekte angekündigt (z.B. Verfassungsartikel über die Kulturförderung bzw. über die Sprachenpolitik). Die Finanzplanung für die Legislaturperiode findet sich erstmals nicht in einem separaten Bericht, sondern ist in die Richtlinien integriert worden. Mit diesem allgemein begrüssten Schritt soll die Bedeutung der Prioritätensetzung sowie der Koordination bei den einzelnen politischen Vorhaben unterstrichen werden
[13].
Der Ablauf der Diskussionen über die Regierungsrichtlinien in den Medien und im Parlament spielte sich nach einem ähnlichen Schema ab wie in den früheren Jahren. Die Presse nahm den Bericht im grossen und ganzen wohlwollend auf und sah seine Bedeutung vor allem als Führungsinstrument für den Bundesrat und die Verwaltung. Sie kritisierte daneben das Fehlen zukunftweisender Entwürfe und Visionen, räumte aber zugleich ein, dass diese vom Bundesrat auch kaum erwartet werden dürfen
[14]. Das Parlament reagierte ähnlich und setzte sich dann in einer Monsterdebatte mit einzelnen Vorhaben auseinander. Mit insgesamt
neun Richtlinienmotionen wurden die Aufnahme resp. Streichung von Geschäften sowie Prioritätenänderungen verlangt. Damit diese Vorstösse für den Bundesrat Bedeutung erlangen, müssen sie in derselben Session von beiden Kammern verabschiedet werden. Diese Hürde schafften nur gerade zwei von den bürgerlichen Parteien eingereichte Interventionen. Die erste forderte den Verzicht auf den vorgesehenen Abbau der ausserordentlichen Strassenbaubeiträge an die Kantone um 150 Mio Fr. Die zweite überwiesene Motion verlangte eine Reform der Warenumsatzsteuer (WUSt) mit dem Ziel einer Eliminierung der taxe occulte. Da mit dieser Reform sämtliche Energieträger der WUSt unterstellt werden sollen, richtete sie sich zugleich gegen die vom Bundesrat vorgeschlagene Energieabgabe
[15].
In den Reihen der Abgeordneten besteht ein Unbehagen darüber, dass sich das Parlament kaum grundsätzlich mit den Richtlinien auseinandersetzt, sondern sich in Einzelheiten verliert und die Richtlinienmotionen ins Zentrum stellt. Die nationalrätliche Kommission, welche den Bericht des Bundesrates über die
Mitwirkung der Legislative bei der politischen Planung vorbehandelt, reichte eine parlamentarische Initiative zur Reform der Richtliniendebatte ein. Die Fraktionen würden demnach aufgrund eines Entwurfs über die Richtlinien diskutieren und in einer Planungserklärung ihre Stellungnahme zu den bundesrätlichen Zielen formulieren. Im Plenum würde dann grundsätzlich über diese Erklärungen und über die Richtlinien diskutiert, ohne aber darüber abzustimmen; auf das Instrument der Richtlinienmotion würde verzichtet
[16].
[13] BBl, 1988, I, S. 395 ff.
[14] Presse vom 27.1.88. Vgl. auch Schweizer Monatshefte, 68/1988, S. 188 ff.
[15] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 493 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 301 ff. Zur WUST und Energieabgabe siehe unten, Teil I, 5 (Einnahmenordnung) und 6a (Politique énergétique).
[16] BBl, 1989, I, S. 1205 ff. Zum Bericht des Bundesrates über die Mitwirkung des Parlaments bei der politischen Planung siehe SPJ 1987, S. 30.
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