Année politique Suisse 1988 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau
 
Beziehungen zwischen Bund und Kantonen und zwischen den Kantonen
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Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen
Der Bundesrat legte am 25. Mai das zweite Paket von Massnahmen zur Neuverteilung der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen vor. Seiner Ansicht nach setzt dieses Paket den vorläufigen Schlusspunkt hinter die anfangs der siebziger Jahre gestarteten Bestrebungen für eine grundsätzliche Überprüfung und Neuordnung der föderalistischen Aufgabenteilung. In Erfüllung einer 1973 überwiesenen Motion Binder (cvp, AG) hatte das EJPD 1978 nach diversen Vorarbeiten eine Expertenkommission eingesetzt; gleichzeitig hatte der Bundesrat die Kantone zur Bildung eines ständigen Kontaktgremiums auf Regierungsebene eingeladen. Bei allen Bekenntnissen zum Föderalismus zeigte sich in der Folge, dass eine konsequente Entflechtung der Zuständigkeiten und der finanziellen Verantwortung auf grosse politische Hindernisse stiess. Zum einen protestierten die Kantone gegen die Absicht des Bundesrates, mit der Abtretung gewisser Aufgaben an die Kantone zugleich auch seinen Haushalt zu entlasten. Zum andern bestanden in der politischen Linken Zweifel am Willen und an der Fähigkeit der Kantone, die vom Bundesstaat abzutretenden Aufgaben im sozialen Bereich und im Bildungswesen vollumfänglich zu übernehmen. Dieses Misstrauen manifestierte sich namentlich in der Rückweisung der Kantonalisierung der Stipendien durch den Souverän. Das 1981 von der Regierung vorgelegte erste Massnahmenpaket wurde bis 1985 unter anderem mit verschiedenen Volksabstimmungen bereinigt und in den folgenden Jahren in Kraft gesetzt [1].
Die mit dem ersten Paket gemachten Erfahrungen und die Kritiken anlässlich des Vernehmlassungsverfahrens führten dazu, dass das zweite Massnahmenpaket noch magerer ausfiel als das erste. Da der Bundesrat auf einige von der Expertenkommission vorgeschlagene Massnahmen verzichtet hatte (z.B. in den Bereichen Berufsbildung und Denkmalpflege) und er die Aufgabenentflechtung in den Bereichen Landwirtschaft, Gewässerschutz und Forstwirtschaft in die laufenden Revisionen der entsprechenden Gesetze integrierte, reduzierte sich die Anzahl der betroffenen Gebiete von ursprünglich 14 auf 7. Es handelt sich dabei um die Hochschulförderung, die Beschaffung von Schulwandkarten, die Invalidenversicherung, den Wasserbau, die Fischerei, den Strassenverkehr und die militärische Landesverteidigung. Die angestrebten Neuerungen beschränken sich weitgehend auf administrative und organisatorische Belange. Da der Bundesrat mit dem zweiten Paket keine finanzpolitischen Ziele mehr verfolgt, ergibt sich aus den vorgeschlagenen Massnahmen lediglich eine geringfügige Mehrbelastung der Kantone von 8 Mio Fr. Am meisten ins Gewicht fällt dabei mit 3,5 Mio Fr. der Verzicht auf die Ausrichtung von Bundesbeiträgen für Wasserbauten an finanzstarke Kantone [2].
Die Landesregierung beantragte in diesem zweiten Paket zudem eine Revision des Bundesgesetzes über die Genehmigung kantonaler Erlasse durch den Bund. Dieses an sich unbestrittene Aufsichtsrecht des Bundes soll gestrafft und auf das absolut Notwendige beschränkt werden. Auf Wunsch der Kantone entschloss sich das Parlament zu einer beschleunigten Behandlung dieser Vorlage. Der Ständerat nahm daran einige Detailkorrekturen vor und stimmte ihr oppositionslos zu [3].
Die vorberatende Kommission des Ständerats konnte bis Ende Jahr drei der sieben Gesetzesrevisionen des zweiten Massnahmenpakets abschliessend und in zustimmendem Sinn behandeln (Fischerei, Wasserbau und Schulwandkarten). Beim Wasserbaugesetz strich sie allerdings den vorgeschlagenen Verzicht auf die Ausrichtung von Bundesbeiträgen an finanzstarke Kantone [4].
Anlässlich der parlamentarischen Behandlung des Gesetzes über die Förderung der Jugendarbeit schlossen sich auf Initiative von waadtländischen Staatsräten 43 bürgerliche Regierungsräte aus fast allen Kantonen zu einem Komitee für die Respektierung der Bundesverfassung zusammen. Dabei ging es ihnen nach eigener Aussage nicht um die Kritik am Urlaub für Personen, welche in Jugendorganisationen Aufgaben übernehmen (Jugendurlaub) und an den andern vorgeschlagenen Neuerungen, sondern um das Prinzip, dass der Bund nur in denjenigen Gebieten legiferieren darf, wo ihn die Verfassung explizit dazu ermächtigt. Ob es sich hier um eine einmalige Aktion handelte oder ob aus dem Komitee eine Institution zum Kampf gegen zentralstaatliche Tendenzen entstehen wird, lässt sich noch nicht beurteilen [5].
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Stellung der Kantone im Bund
In Baselland stimmte der Souverän im Verhältnis von 3:2 einer 1985 eingereichten und von Regierung und Parlament unterstützten Volksinitiative zu, welche verlangte, dass sich die kantonalen Behörden für eine Aufwertung von einem Halb- zu einem Vollkanton einsetzen. Der mit 40% überraschend hohe Anteil der Neinstimmen erklärt sich damit, dass die Befürworter einer Wiedervereinigung mit Baselstadt die Initiative bekämpft hatten [6].
 
[1] Siehe dazu Presse vom 2.6.88 und SPJ 1972, S. 23 f., 1973, S. 22 f. und 1985, S. 26 f.
[2] BBl, 1988, II, S. 1333 ff.; Presse vom 2.6.88. Vgl. auch SPJ 1986, S. 26 f. und 1987, S. 35 f.
[3] BBl, 1988, II, S. 1358 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 930 f.
[4] NZZ, 2.11. und 9.1 1.88.
[5] 24 Heures, 6.12.88; TA, 8.12.88; Jura libre, 8.12.88; SGT, 12.12.88; vgl. auch unten, Teil I, 7d (Jeunesse).
[6] NZZ, 10.2.88; BaZ, 12.2., 1.6., 3.6. und 7.6.88; SZ, 6.4.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 36 sowie unten, Teil II, 1a.