Année politique Suisse 1988 : Wirtschaft / Landwirtschaft / Agrarpolitik
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Neue Verfassungsgrundlage?
Die Behandlung der "Kleinbauerninitiative" durch Bundesrat und Parlament zeigte, dass die schweizerische Landwirtschaftspolitik in Bewegung geraten ist, auch wenn noch kein Konsens über deren künftige Ausrichtung in Sicht ist. Der Bundesrat lehnte die Initiative, die eine eigene Futterbasis für die Tierproduktion und Direktzahlungen fordert, mit der Begründung ab, dass der Vollzug schwierig wäre, dass die zu verbietende innere Aufstockung gerade auch viele Kleinbauern treffen würde und dass zudem die Begünstigung kleiner Einheiten die Landwirtschaft noch mehr vom Markt wegdrängen würde; ausserdem könnten die berechtigten Anliegen — wie etwa die Direktzahlungen — auch ohne Verfassungsänderung berücksichtigt werden, weshalb sich auch ein Gegenvorschlag erübrige. Ferner machte er handelspolitische Gründe geltend, verlangte doch die "Kleinbauerninitiative" eine grundlegende Neuordnung des Einfuhrschutzes [7].
Diesen Argumenten schloss sich auch der Ständerat an, der zudem einen Antrag Zimmerli (svp, BE) auf Ausarbeitung eines Gegenvorschlags ablehnte. Dieser Gegenvorschlag hätte den vom Bundesrat in seinem sechsten Landwirtschaftsbericht formulierten Zielen eine Verfassungsgrundlage geben sollen und hätte insbesondereauch die umweltgerechte Produktion speziell erwähnt. Der Vorschlag wurde im Nationalrat von P. Rutishauser (svp, TG) in ähnlicher Form wiederaufgenommen und auch von der CVP und der Kommissionsmehrheit unterstützt. Er ging jedoch den einen zu weit und war den andern zu unbestimmt, so dass er auch hier — wie die "Kleinbauerninitiative" — keine Mehrheit fand. Ein weiter gehender Vorschlag Biel (ldu, ZH) forderte eine zunehmende Ausrichtung der Produktion auf den Markt, die Abgeltung von gemeinwirtschaftlichen Leistungen über Direktzahlungen und Lenkungsabgaben auf umweltbelastenden Produktionsmitteln. Ähnlich war auch ein Gegenvorschlag Neukomm (sp, BE) formuliert, doch konnte man sich, obwohl sich die Ratsmehrheit prinzipiell für einen Gegenvorschlag ausgesprochen hatte, schliesslich nicht auf einen gemeinsamen Weg einigen und musste, wie in der Eintretensdebatte befürchtet, der "Kleinbauerninitiative" ein "blankes Nein" entgegensetzen [8].
Die von Personen aus dem links-grünen politischen Spektrum getragene Gruppe Neue Agrar-Politik (NAP) arbeitete einen Entwurf für eine neue Volksinitiative aus, die nach der allfälligen Ablehnung der "Kleinbauerninitiative" lanciert werden soll. Der Entwurf beinhaltet die Förderung naturnaher Produktion mittels Umstellungsbeiträgen und Lenkungsabgaben und möchte den Paritätslohn mit differenzierten Preisen, Direktzahlungen und Importbeschränkungen garantieren. Ausserdem enthält der Vorschlag eine Regelung bezüglich gentechnisch hergestellten Produkten, welche nur eingesetzt werden dürfen, wenn deren Unschädlichkeit nachgewiesen ist [9].
 
[7] BBl, 1988, I, S. 289 ff; Presse vom 28.1.88. Zur Volksinitiative siehe SPJ 1983, S. 97.
[8] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 347 ff., 370 ff. und 943; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1805 ff., 1815 ff. und 1978; BBl, 1988, III, S. 1477 f. Presse vom 22.6., 23.6. (StR), 17.11. und 15.12.88 (NR). Zu den verschiedenen Gegenvorschlägen vgl. auch Bund, 30.1. und 15.6.88; BZ, 12.8.88; BaZ, 12.8. und 25.8.88; SGT, 20.8.88. Zum 6. Landwirtschaftsbericht siehe SPJ 1984, S. 90 f.
[9] SZ, 8.3.88. Zur NAP siehe auch SPJ 1987, S. 109 f.