Année politique Suisse 1988 : Wirtschaft / Landwirtschaft
Tierische Produktion
Unter dem Druck einer angedrohten administrativen Kontingentskürzung auf das Frühjahr hin und einer bei den Beratungen zum neuen Milchwirtschaftsbeschluss diskutierten administrativen Kontingentsverteilung erreichten die
Selbsthilfemassnahmen des Zentralverbandes schweizerischer Milchproduzenten (ZVSM) ihr Ziel. Von der anvisierten Kontingentskürzung von 320 000 dt legte der ZVSM knapp 70 000 dt gegen Entschädigungen von rund ,6 Mio Fr. an 174 Produzenten still; die Uberprüfung und Neuerhebung der massgeblichen Nutzfläche führte zu einer Kontingentsreduktion von rund 127 000 dt; dank der entschädigungslosen temporären Stillegung erfolgte eine Kürzung der Milcheinlieferungen um netto rund 100 000 dt. Eine Erhöhung der Überlieferungsabgaben und die Einschränkung des genossenschaftsinternen Ausgleichs bewirkten zusätzlich eine Reduktion der Milchproduktion, und die schlechte Witterung im Jahr 1987 trug das ihre dazu bei, dass im Rechnungsjahr 1987/88 die Milcheinlieferungen um rund 500 000 dt zurückgingen und folglich das Ziel nach Ansicht des ZVSM sogar überschritten wurde
[20].
Dank diesen Mindereinlieferungen konnte der Anstieg des Verwertungsaufwandes für die Milch trotz der gestiegenen Produzentenpreise noch in Grenzen gehalten werden. Die Milchrechnung 1987/88 schloss mit einem Verwertungsaufwand von insgesamt 948,7 (Vorjahr 913,2) Mio Fr. ab, wobei aus allgemeinen Bundesmitteln 572,0 (620,9) Mio Fr. zugeschossen werden mussten. Für die Zukunft werden erneut überschüssige Milcheinlieferungen und eine Konsumverlagerung auf fettarme Produkte prognostiziert, so dass die politisch als heikel betrachtete Milliardenschwelle für den Verwertungsaufwand in den nächsten Jahren erreicht werden dürfte
[21].
Bei der Beratung des
Milchwirtschaftsbeschlusses 1988 (MWB) — die gesetzliche Grundlage der Milchproduktion und -verwertung, die sich in der Milchrechnung niederschlägt und der grosse Bedeutung für die Einkommenspolitik in der Landwirtschaft zukommt — erwies sich die Möglichkeit von Kontingentsübertragungen als strittigster Punkt. Nachdem der Nationalrat im Vorjahr einem beschränkten, nur in Härtefällen anzuwendendem Kontingentshandel zugestimmt hatte, verlangte die Ständeratskommission nun einen Zusatzbericht des Bundesrates zu dieser Frage. Dieser blieb jedoch bei seiner Weigerung, die Kontingente als wohlerworbene Rechte zu behandeln und mit einem Geldwert auszustatten, da dies unabsehbare Folgen für andere Kontingentsysteme im Agrarbereich hätte und den Bund teuer zu stehen kommen könnte. Trotzdem folgte der Ständerat mit 26:13 Stimmen einem Antrag Reymond (lps, VD), der dem Bundesrat die Möglichkeit schaffen sollte, unter bestimmten einschränkenden Bedingungen den Kontingentshandel zuzulassen. Die Befürworter dieses neuen Systems strebten vor allem eine Flexibilisierung des starren Kontingentierungssystems an, während die Gegner eine Benachteiligung wirtschaftlich schwacher Betriebe befürchteten. Im weitern setzte der Ständerat die Limite für die Beteiligung am Verwertungsaufwand herauf: Wer mehr als 100 000 kg Verkehrsmilch abliefert, soll mit 5 Rp. pro kg belastet werden; der Nationalrat hatte diese Schwelle auf 80 000 kg festgelegt. Der von linker und kleinbäuerlicher Seite vorgebrachte Wunsch nach einer Preisdifferenzierung wurde abgelehnt
[22].
Die Kleinbauernorganisation VKMB reagierte auf die beabsichtigte Zulassung des
Kontingentshandels mit einer Referendumsdrohung, welche schliesslich den Nationalrat bei seinem ursprünglichen Beschluss bleiben liess, und zwar obwohl der Bundesrat und die Kommissionsmehrheit inzwischen auf die Linie des Ständerates umgeschwenkt waren. Die Aussicht, das vernichtende Volksverdikt zum Zuckerbeschluss von 1986 könnte sich beim Milchwirtschaftsbeschluss wiederholen, veranlasste darauf auch den Ständerat, auf den Kontingentshandel zu verzichten. Er überwies jedoch ein Postulat, das die Prüfung einer späteren Einführung des Systemwechsels verlangt. Damit passierte der MWB die Schlussabstimmungen mit guten Aussichten, von keinem Referendum in Frage gestellt zu werden
[23].
Die im Vorjahr von den Viehproduzenten in Aussicht gestellten
Selbsthilfemassnahmen zeitigten erste Erfolge, indem unter anderem dank der Werbung für einheimisches Fleisch die Überschüsse abgebaut werden konnten und sich die Preise erholten. Die von den Bauernorganisationen geforderte Allgemeinverbindlicherklärung von Selbsthilfemassnahmen durch den Bundesrat scheint indessen aus juristischer Sicht nicht möglich zu sein, widerspricht sie doch mehreren Verfassungsbestimmungen. Mildere Druckformen wären allerdings möglich, so etwa das Vorschreiben von Solidaritätsbeiträgen im Handel oder die Drohung mit rechtlichen Normen, falls die Selbsthilfe nicht fruchtet
[24].
Die in den letzten Jahren vor allem im zentralen und östlichen Mittelland intensivierte
Schweinemast hat in diesen Gebieten wegen der starken
Überdüngung zu einer Gewässerverschmutzung geführt und teilweise auch das Trinkwasser belastet. Um einer gesetzlich festgelegten Reduktion ihrer Tierbestände zu entgehen, schlugen die betroffenen Tierhalter ein System vor, das ihnen die Trocknung der Jauche und deren Vermarktung als Handelsdünger erlaubt hätte. Ihr Vorschlag war jedoch nicht einmal innerhalb des SBV unumstritten, da von ihm vor allem die von der "Kleinbauerninitiative" angegriffenen bodenunabhängigen Betriebe profitiert hätten. So einigte sich der Ständerat bei der Behandlung des Gewässerschutzgesetzes auf den Vorschlag des Bundesrates und setzte — als teilweisen indirekten Gegenvorschlag zur "Kleinbauerninitiative" — fest, dass künftig nur noch drei Düngergrossvieheinheiten (DGVE) pro Hektare landwirtschaftlicher Nutzfläche gehalten werden dürfen
[25].
Ebenfalls aus Gründen des Umweltschutzes befürwortete der Bundesrat eine Motion Stucky (fdp, ZG), welche die Einführung von Kostenbeiträgen an
Hirschhalter verlangt. Die Hirschhaltung gewinnt als extensiver und somit ökologisch erwünschter Zu- oder Nebenerwerb zunehmende Bedeutung. Der Vorstoss wurde als Postulat überwiesen
[26].
Die schweizerischen
Geflügelproduzenten sehen sich im wachsenden Markt für Geflügelfleisch wegen des hiesigen Tierschutzgesetzes gegenüber den ausländischen Produzenten benachteiligt und verlangen deshalb vom Bund einen Importschutz. Das EVD gab nun eine Verordnung in die Vernehmlassung, die die bisherige privatwirtschaftliche Vereinbarung zwischen Geflügelproduzenten und -importeuren durch eine staatliche Regelung absichern soll
[27].
[20] Innerschweizer Bauernzeitung, 15.7.88.
[21] Presse vom 21.4.88; NZZ, 17.6.88; wf, Dok., 27.6.88 und 19.6.89. Vgl. auch Presse vom 28.7.88 über Forderungen des ZVSM, die Importbelastung auf Ölen und Fetten zu erhöhen.
[22] Amtl. Bull. SIR, 1988, S. 379 ff.; NZZ, 6.2., 11.3., 3.9. und 7.9.88; TA, 8.3.88; Presse vom 24.6.88; BaZ, 3.9.88; LID-Pressedienst, 1552, 24.6.88. Zu den Beschlüssen des Erstrates vgl. SPJ 1987, S. 114f.
[23] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1027 ff., 1290 ff. und 1978; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 778 ff. und 942; BBl, 1988, III, S. 1479 ff.; Bund, 19.9.88; Presse vom 21.9. und 1.12.88; LID-Pressedienst, 1575, 2.12.88; Gnueg Heu dune!, Nr. 8, Oktober 1988. Siehe auch SPJ 1977, S. 88 f. zum MWB 1977 sowie SPJ 1978, S. 85 f. zum Referendum dagegen.
[24] NZZ, 4.1., 9.2. und 18.2.88; Bund, 9.1.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 308 f.
[25] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 620 ff.; TA, 7.1.88; BZ, 16.2., 17.2. und 3.9.88; Vat., 31.8.88; WoZ, 18.1 1.88. Siehe auch unten, Teil I, 6d (Gewässerschutz).
[26] Amtl. Bull NR, 1988, S. 1921; BaZ, 20.7.88; NZZ, 27.7. und 19.11.88.
[27] BaZ, 9.1.88; BZ, 29.7.88; SHZ, 22.12.88; Innerschweizer Bauernzeitung, 2.12.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 116.
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