Année politique Suisse 1988 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation / Strassenverkehr
Zur Verwirklichung des Luftreinhalte-Konzepts beschloss der Bundesrat weitere Massnahmen im Bereich des Strassenverkehrs. Die seit 1987 gültigen strengeren
Abgasvorschriften für Motorräder (FAV 3) und für schwere Motorwagen (FAV 2) wurden auf den 1. Oktober 1990 bzw. 1991 weiter verschärft und beim Schwerverkehr mit Partikelvorschriften ergänzt. Die neuen Anforderungen, die Mitte der 90er Jahre nochmals verschärft werden sollen, sind mit Abstand die strengsten in Europa. Während sich der Bundesrat bei der Festsetzung der Abgasqualitätsziele für den Schwerverkehr an den Normen der USA orientierte, entschied er sich allerdings beim Messverfahren für die Übernahme der weniger strengen europäischen Norm (ECE R 47). Dieser Kompromiss, von dem sich die Regierung positive Auswirkungen auf die Abgasprogramme der EG verspricht; wurde von den verschiedenen Organisationen des Transportgewerbes begrüsst. Der VCS und die Umweltorganisationen dagegen kritisierten diesen Entscheid als Kniefall vor der Lastwagenlobby und befürchteten ausserdem, dass weitere Umweltschutzziele der Harmonisierung mit Europa geopfert werden
[25]. Für die Motorfahrräder traten auf den 1. Oktober 1988 strengere Abgaswerte in Kraft, die vorläufig nur mit dem Einsatz von Katalysatoren einzuhalten sind
[26].
Die seit 1987 geltenden Abgasvorschriften für neu immatrikulierte Personenwagen (US-83-Normen) lassen sich nach dem heutigen Stand der Technik nur mit geregelten Dreiwegkatalysatoren erreichen. Um die Umstellung auf
Katalysatorfahrzeuge im Interesse der Luftqualität zu beschleunigen, wollte der Bundesrat mit einer weiteren Verbilligung von bleifreiem Benzin einen zusätzlichen finanziellen Anreiz schaffen. Wegen des negativen Echos im Vernehmlassungsverfahren verzichtete er jedoch auf dieses Vorhabén. Hingegen empfahl die Landesregierung den Kantonen, durch eine Differenzierung der Motorfahrzeugsteuern Nicht-Katalysatorfahrzeuge höher zu belasten
[27].
Mit fiskalpolitischen Massnahmen nach dem Verursacherprinzip soll auch eine Reduktion des Gebrauchs von Motorfahrzeugen und damit eine Verminderung der Schadstoflbelastung der Luft erreicht werden. Auf kantonaler und eidgenössischer Ebene wurden mit verschiedenen politischen Vorstössen fahrleistungsabhängige Abgaben wie die
Umlagerung der Motorfahrzeugsteuern auf den Benzinpreis verlangt. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der kantonalen Finanzdirektoren und des Bundes, die entsprechende Vorschläge untersuchte, kam zum Schluss, dass eine Erhebung der Motorfahrzeugsteuern in Abhängigkeit von der Fahrleistung grundsätzlich machbar und prüfenswert sei. Damit die kantonalen Motorfahrzeugsteuern aufgrund der gefahrenen Kilometer bemessen werden können, schlug sie vor, nach dem Beispiel Schwedens die Autos mit einem Radumdrehungszähler auszurüsten, wozu ein neuer Artikel im Strassenverkehrsgesetz nötig wäre. Hingegen lehnte die Arbeitsgruppe eine Fahrzeugbesteuerung über den Treibstoffpreis ab, da diese mit zu vielen Problemen verbunden wäre und insbesondere der Föderalismus gegen die Aufgabe der kantonalen Steuerhoheit spreche
[28]. Diese Lösung war unter anderem von den Kantonen Zürich und Bern mit gleichlautenden Standesinitiativen verlangt worden. Der Ständerat gab jedoch der Zürcher Initiative mit 24:5 Stimmen keine Folge, und auch die zuständige Nationalratskommission empfahl Ablehnung. Im Oktober reichte der Kanton Zürich eine weitere Standesinitiative für fahrleistungsabhängige Motorfahrzeugsteuern ein, deren Ertrag an die Bevölkerung zurückzuverteilen wäre (Öko-Bonus)
[29].
Zur Einschränkung des Verkehrs im Interesse der Umwelt wurden einmal mehr
motorfahrzeugfreie Tage verlangt, wobei diese Massnahme im Parlament weiterhin auf Ablehnung stiess. Als Erstrat gab die Ständekammer zwei Standesinitiativen des Kantons Bern für zwölf autofreie Sonntage pro Jahr und für einen autofreien Bettag keine Folge
[30].
[25] FAV 3: AS, 1988, S. 636 f.; NZZ und Suisse, 25.2.88. FAV 2: Presse vom 5.5.88; VCS-Zeitung, 1988, Nr. 3, S. 32; zur Kontroverse um die anzuwendende Messmethode siehe unten, Teil I, 6d (Luftreinhaltung).
[26] TA, 12.4.88; BaZ, 9.9. und 30.9.88; BZ, 9.9.88; VCS-Zeitung, 1988, Nr. 6, S. 18 f.; vgl. SPJ 1986, S. 143.
[27] TA, 30.1.88; Presse vom 4.2., 3.5., 6.8., 1.9. (Verzicht) und 4.10.88 (Empfehlung); wf, KK, 19, 9.5.88; NZZ, 15.6.88. Siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1932 (überwiesenes Postulat Seiler, cvp, ZH, betreffend Langzeit-Untersuchung über die Wirksamkeit von Dreiwegkatalysatoren) und 1992 f. (Empfehlung) sowie oben, Teil I, 5 (Einnahmenordnung).
[28] Presse vom 10.5.88. Siehe auch wf, Dok., 7, 15.2.88; TA, 13.5.88; SPJ 1987, S. 144 und 169.
[29] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 216 ff.; Presse vom 10.6.88; NZZ, 17.11.88 (NR-Kommission); Verhandl. B.vers., 1988, III, S. 15 (Standesinitiative BE) und S. 16 (Standesinitiative ZH betreffend Öko-Bonus); vgl. TA, 19.8. und 23.8.88.
[30] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 756 f.; Bund, 1.11. und 30.11.88; vgl. SPJ 1987, S. 144 und 169. Zur Frage von verkehrsbeschränkenden Massnahmen im Zusammenhang mit dem Vollzug der Luftreinhalteverordnung siehe Amtl. Bull. NR, 1988, S. 461 f. sowie oben, Agglomerationsverkehr und unten, Teil I, 6d (Luftreinhaltung).
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