Année politique Suisse 1988 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation / Strassenbau
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Opposition gegen den Bau weiterer Nationalstrassen
Der Bundesrat verabschiedete die Botschaft zur Volksinitiative "Stopp dem Beton - für eine Begrenzung des Strassenbaus!", in der er das Begehren ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfiehlt. Die 1986 von einer rot-grünen Koalition unter Federführung der POCH eingereichte Initiative verlangt, dass das für den motorisierten Privatverkehr öffentlich zugängliche Strassennetz den am 30. April 1986 festgestellten Umfang nicht überschreiten darf. Ausser zur Erschliessung dünn besiedelter Gegenden und zur Anpassung des Strassennetzes nach Verzicht auf Strassenbauprojekte, dürften neue Strassen und Strassenerweiterungen nur noch gebaut werden, wenn entsprechende Flächen des bestehenden Netzes in der gleichen Region anderen Zwecken zugeführt würden. Der Bundesrat erachtet das Begehren als rechtlich problematisch, lehnte es aber insbesondere aus sachlichen Gründen ab. Angesichts der seit 1986 verwirklichten und in Realisierung begriffenen Bauvorhaben wäre es praktisch unmöglich, die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung durchzusetzen. Gegen das Volksbegehren sprechen nach Ansicht der Landesregierung auch die kantonale Strassenhoheit und schwerwiegende wirtschaftliche Folgen insbesondere für die Randregionen [48].
Ebenfalls zur Ablehnung empfehlen wird der Bundesrat voraussichtlich die sogenannten Kleeblatt-Initiativen, mit denen der VCS zusammen mit regionalen Komitees den Bau und Betrieb von Autobahnen zwischen Murtén und Yverdon (N 1), im Knonauer Amt (N 4), zwischen Biel und Solothurn (N 5) und im Jura (N 16) verhindern will. Die Landesregierung, die bei verschiedener Gelegenheit ihre Absicht bekräftigte, das Nationalstrassennetz im geplanten Umfang fertigzustellen, betonte bei der Beantwortung parlamentarischer Vorstösse mehrmals, dass den Kleeblatt-Initiativen keine aufschiebende Wirkung bezüglich der Projektierung und Realisierung der bekämpften Nationalstrassenabschnitte zukomme. Da die Initiativen frühestens 1990 oder 1991 zur Abstimmung kommen werden, dürfte zu diesem Zeitpunkt der Bau an einzelnen Teilstücken bereits begonnen haben: An der Transjurane soll der Start 1989 erfolgen, am N 1-Teilstück zwischen Murten und Avenches haben die Waadtländer mit Vorbereitungen im Gelände begonnen [49].
Um eine "Sachzwangpolitik" zu verhindern, verlangten die gegnerischen Komitees erneut eine baldige Abstimmung über die vier Volksbegehren, und sie kündigten mit Warnfeuern an, dass ein Beginn der Bauarbeiten vor dem Volksentscheid nicht hingenommen werde [50]. Im Jura gaben die Initianten allerdings zu verstehen, dass sie ihr Volksbegehren zurückziehen werden, sofern die Regierung ihre Forderungen nach einer Redimensionierung der Transjurane (N 16) berücksichtige [51]. Bei der N 1 drängten auch das Tiefbaugewerbe und die Westschweizer Arbeitgeberorganisation, das Centre Patronal, auf einen raschen Entscheid, damit die Unsicherheit bei der Fortsetzung der Arbeiten beseitigt werde [52]. Durch eine Flut von Einsprachen war es bei allen vier Teilstükken zu Verzögerungen gegenüber dem ursprünglich vorgesehenen Zeitplan gekommen. Bezüglich der N 5 erklärte die Solothurner Baudirektorin Füeg (fdp), dass zwar die Baugenehmigungsverfahren vorangetrieben würden, dass aber ein Baubeginn vor der Abstimmung über die Kleeblatt-Initiativen nicht in Frage komme [53].
Der Bundesrat beharrte darauf, das bereits fertiggestellte Teilstück der N 4 zwischen Cham und Knonau vorzeitig zu eröffnen und provisorisch an das bestehende Lokalstrassennetz anzuschliessen. In seinem abschlägigen Entscheid zu einem Wiedererwägungsgesuch des Zürcher Regierungsrates wies er unter anderem darauf hin, dass die umstrittene Strassenverbindung im nationalen Interesse liege. Ferner betonte die Landesregierung, die Eröffnung des Teilstücks stelle kein Präjudiz dar in bezug auf den Volksentscheid über die N 4 im Knonaueramt, was von den Autobahngegnern entschieden bestritten wurde [54].
 
[48] BBl, 1988, III, S. 745 ff.; Presse vom 1.9.88; NZZ, 9.9.88; vgl. SPJ 1984, S. 109 und 1986, S. 124.
[49] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 266 und 981 f.; BaZ und BZ, 10.8.88; LNN, 19.8.88; VCS-Zeitung, 1988, Nr. 5, S. 5 ff.; vgl. SPJ 1986, S. 123 f. und 1987, S. 146 f.
[50] NZZ und TA, 4.1.88; Lib., 19.9.88.
[51] Dém., 21.3., 19.4., 6.5., 9.7. und 27.9.88; Vat., 20.5.88.
[52] BZ, 3.2.88; Lib., 13.5.88; Suisse, 28.5.88 (Centre patronal); Bund, 17.6.88; welsche Presse vom 27.10.88; siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1132 und 1515.
[53] SZ, 22.3. (Füeg), 18.6. und 22.9.88; siehe auch Amtl. Bull. NR, 1988, S. 642 und 1511.
[54] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 469 ff.; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 22 ff.; TA, 3.3.88 (Zürcher Regierung); NZZ, 21.6., 22.6. und 25.6.88; Vat., 23.6.88; vgl. SPJ 1987, S. 147.