Année politique Suisse 1988 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Raumplanung
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Reformvorschläge
Die 1983 eingereichte "Stadt-Land-Initiative", welche eine grundlegende Reform des Bodenrechts mit Übergang zum "Nutzungseigentum" innert einer Generation und die Beseitigung der Bodenspekulation anstrebte, aber generell weitreichende Folgen, auch für den Wohnungsmarkt, die Bauwirtschaft, Industrie, Gewerbe und Tourismus, Landwirtschaft, Siedlungsentwicklung und Pensionskassen gehabt hätte, gelangte im Dezember vors Volk. Der intensiv geführte Abstimmungskampf setzte schon sehr früh in den ersten Monaten des Jahres ein und war namentlich auch dadurch gekennzeichnet, dass die Befürworterseite erheblich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung hatte als die Gegner.
Die Initianten, welche vor allem Mieter, Bauern und Umweltschutzkreise ansprachen, stellten die allgemeinen Zielsetzungen in den Vordergrund und bewerteten keine der kurz vor der Abstimmung präsentierten Revisionsentwürfe (bäuerliches Bodenrecht, Raumplanungsgesetz) als auch nur einigermassen brauchbare Alternative. Bezüglich gewissen Widersprüchlichkeiten des Initiativtextes verwiesen sie auf die notwendige Anschlussgesetzgebung der eidgenössischen Räte, welche die Möglichkeit zu Korrekturen bieten würde.
Die Gegner der Initiative konstatierten dagegen einen Frontalangriff auf das Privateigentum und das Gesellschaftssystem; sie bemängelten weniger die Zielsetzungen als die widersprüchlichen Folgen, welche sich aus dem klar formulierten Text ergeben würden. Im Zentrum ihrer Kritik standen die starre Bindung an den Eigengebrauch, verbunden mit einem entsprechenden Kontrollaufwand, als Voraussetzung für Landerwerb und Landbesitz, sodann Befürchtungen betreffend Erliegen des privaten Wohnungsbaus sowie der Umstand, dass die gewerbliche Miete im Initiativtext vergessen worden war [8].
Mit 69,2% Nein-Stimmen und Ablehnung durch alle Kantone erzielte die Initiative ein schlechteres Ergebnis als erwartet. Am deutlichsten wurde sie in ländlichen Kantonen mit breiter Streuung des Grundbesitzes abgelehnt (über 80% Nein-Stimmen im Wallis, in Appenzell Innerrhoden, Schwyz und Obwalden), aber auch Stadtkantone wie Baselstadt und Genf mit akuten Wohnungsproblemen verwarfen überraschend deutlich [9].
Stadt-Land-Initiative. Abstimmung vom 4. Dezember 1988
Beteiligung: 52,8%
Ja: 686 398 (30,8%)
Nein: 1 543 705 (69,2%)

Parolen:
- Ja: SP, LdU*, GPS, GBS, POCH, PdA, SAP, PSU (TI), Liberalsoz. Partei; CNG, SVEA, GBH.
- Nein: CVP, FDP, SVP, LP, EVP*, EDU, Auto-Partei, Vigilance; LFSA, Vorort, SBV, SGV, ZSAO.
- Stimmfreigabe: NA*; SGB, VSA
* abweichende Parolen einzelner Kantonalsektionen
Eine wissenschaftliche Nachanalyse des Abstimmungsverhaltens zeigte auf, dass Hauseigentümer und Landwirte konsequent gegen die "Stadt-Land-Initiative" stimmten und dass auch Mitglieder von Umweltorganisationen und Gewerkschaften mit einer knappen Mehrheit gegen die Initiative eingestellt waren, während sich die Mieter je nach politischer Orientierung sowohl im Ja- als auch im Nein-Lager befanden. Entgegen bestimmten Erwartungen war die politische Orientierung der Stimmenden, d.h. die Rechts-Links-Ausrichtung im Sinne einer Polarisierung über die Parteibindungen, das einzig wirklich bestimmende Moment. Der Bundesrat zeigte sich vom Abstimmungsausgang befriedigt und sah seine Politik einer schrittweisen und massvollen Weiterentwicklung des Bodenrechts bestätigt [10].
Vor und nach dem Abstimmungstag wurden verschiedene Vorschläge und Anregungen zur Bodenproblematik vorgebracht oder angekündigt: Die FDP veröffentlichte " Vorschläge zum Bodenrecht und zur Raumplanung", der Zürcher kantonale Hauseigentümerverband lancierte die Idee einer eidgenössischen Volksinitiative für die Schaffung einer Sperrfrist für den Wiederverkauf von Grundstücken, und der bernische Bauernverband möchte prüfen lassen, ob nicht eine Initiative für ein bäuerliches Bodenrecht auf der Grundlage des Vernehmlassungsentwurfs Zimmerli vonnöten sei [11]. Die Nationalräte Leuenberger (sp, ZH), Rüttimann (cvp, AG) und Rechsteiner (sp, SG) reichten parlamentarische Initiativen ein, in welchen sie eine Preiskontrolle für allen nicht landwirtschaftlich genutzten Boden, die Inkraftsetzung von Teilen des Entwurfs für ein neues bäuerliches Bodenrecht in Form eines dringlichen Bundesbeschlusses bzw. eine Sperrfrist von zehn Jahren für die Veräusserung nichtlandwirtschaftlicher Grundstücke forderten. Ihr Kollege Scheidegger (fdp, SO) reichte ein analoges Begehren wie das letzterwähnte, aber mit einem Zeitlimit von fünf Jahren, in Form einer Motion ein [12]. Im weitern wurde im Anschluss an die Botschaft zum neuen bäuerlichen Bodenrecht eine interdepartementale Arbeitsgruppe mit dem Auftrag eingesetzt, konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung des nichtbäuerlichen Bodenrechts auszuarbeiten [13].
Zwei Wochen vor der Abstimmung über die Stadt-Land-Initiative präsentierte die 1986 unter dem Vorsitz von Ständerat Jagmetti (fdp, ZH) eingesetzte Expertenkommission zuhanden des EJPD einen Vorentwurf für eine Revision des Raumplanungsgesetzes, welcher namentlich eine Erschwerung der Baulandhortung, eine bessere Nutzungstrennung sowie eine Verbesserung des Vollzugs bringen soll. Dabei wurde allerdings auf eine Uberarbeitung des Kapitels über die Richtpläne wie auch auf fiskalische Massnahmen aus Prioritätsgründen verzichtet. Die vorgeschlagenen Massnahmen verlangen insbesondere eine bessere und langfristige Abgrenzung von Siedlungs- und Landwirtschaftsgebiet durch Schaffung von sogenannten Übergangszonen. Diese umfassen Land, welches für 15 Jahre nicht überbaubar ist, im Siedlungsgebiet liegt und für die längerfristige Siedlungsentwicklung benötigt wird; sie können entweder aus zu grossen Bauzonen ausgeschieden werden oder entschädigungslos umgezontes erschlossenes Bauland aufnehmen, welches trotz Baureife innert fünf Jahren nicht überbaut wurde. Damit verspricht sich die Kommission einen Wegfall der diffusen Bauerwartung für landwirtschaftliches Land und eine Verflüssigung des Bodenmarktes, was zu einem Rückgang der Bodenspekulation führen werde. Parallel dazu wird eine Erschliessungspflicht für die Gemeinden stipuliert und die Rechtsstellung des Grundeigentümers verbessert, welcher bei Säumigkeit der Behörden selbst Erschliessungen vornehmen kann. Im Sinne einer bundesrechtlichen Grundsatzgesetzgebung sollen zur Förderung der Siedlungsqualität, welche als solche dem kommunalen Aufgabenbereich zugehört, die allgemein gültigen Planungsgrundsätze erweitert werden. Dabei sind vor allem durch die ausdrückliche Anerkennung von Baulinien-, Uberbauungsund Gestaltungsplänen sowie von Vorschriften betreffend Baudichte (Massnahmen für verdichtetes Bauen, höhere Ausnützungsziffern), Mindestanteilen von Wohn- und Gewerbenutzung und Anteilen an Zweitwohnungen vorgesehen. Bei Bauten ausserhalb der Bauzonen soll unter klar formulierten Bedingungen der Umbau von landwirtschaftlichen Gebäuden für andere Zwecke möglich werden. Schliesslich würde der Bund die Kompetenz erhalten, anstelle der Direktbetroffenen kantonale Verfügungen anfechten und beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen kommunale Zonenpläne einreichen zu können.
Die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens ist für 1989 vorgesehen. Kritische Stimmen vermerkten zu der im Zentrum des Revisionsentwurfs stehenden Übergangszone, welche eine Enthortung und Spekulationsdämpfung beim Bauland herbeiführen soll, dass umgezontes Land vorderhand nicht mehr überbaubar wäre, die überdimensionierten Bauzonen aber nicht wirklich verkleinert würden, und dass zusammen mit der Lockerung der Ausnahmebewilligungen der Preisdruck der Bauzonen in die Landschaft hinausgetragen würden [14].
 
[8] NZZ, 19.2., 16.6., 20.6., 6.7., 20.8., 5.9., 3.10., 18.10., 1.11., 8.11., 10.11., 14.11., 18.11. und 25.11.88; TA, 18.8., 19.11. und 23.11.88; BaZ, 4.10., 4.11., 8.11., 12.11. und 16.11.88; Vat., 21.9. und 29.10.88; SGT, 26.10. und 28.11.88; TW, 28.10. und 26.11.88; CdT, 28.10.88; AT, 8.11.88; MG, 23.11.88; LNN, 23.11. und 26.11.88; Lib., 28.11.88; 24 Heures, 29.11.88; Blätter für ein neues Bodenrecht, 10/1988, Nr. 37 und 38; vgl. SPJ 1987, S. 159.
[9] BBl, 1989, I, S. 231; Presse vom 5.12.88.
[10] Vox, Analyse der eidg. Abstimmung vom 4. Dezember 1988, Zürich 1989.
[11] Bund, 9.11.88; NZZ, 18.11.88.
[12] Verhandl. B.vers., 1988, IV, S. 21 f. und 93; NZZ, 30.9., 1.10. und 7.12.88; TW, 30.9.88.
[13] Gesch.ber. 1988, S. 114.
[14] Presse vom 22.11.88.