Année politique Suisse 1988 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Wohnungsbau
Der zunehmende Wohnungsmangel, in etlichen grösseren Städten und Agglomerationen als eigentliche Wohnungsnot auftretend, stand 1988 vermehrt im Zentrum von zum Teil recht kontroversen Diskussionen. Die seit 1985 rückläufige Entwicklung der Wohnbautätigkeit kam zwar zum Stillstand und erfuhr mit einer Steigerung von 1,8% sogar eine geringfügige Zunahme, welche auf eine vermehrte Bautätigkeit namentlich in Gemeinden mit weniger als 2 000 Einwohnern zurückzuführen war. Der Leerwohnungsbestand hat sich jedoch weiter um 16,6% verringert und erreichte ein neues Rekordtief von 0,49% bezüglich des Gesamtwohnungsbestands. Von den freien Wohnungen fielen 37% auf die teuren und für viele unerschwinglichen Neubauwohnungen. Fachleute sprechen bei einem Leerwohnungsanteil von weniger als 1,5% von Wohnungsmangel und bei einem solchen von weniger als 0,5% von Wohnungsnot. Diese drückt sich vor allem durch einen grossen Mangel an preisgünstigen Wohnungen aus, von dem insbesondere alte Leute, junge Familien mit Kindern, Jugendliche, Behinderte und gesellschaftliche Aussenseiter betroffen sind. Demonstrationen und Besetzungen von leerstehenden Liegenschaften waren Ausdruck einer Verschärfung der Situation.
Besonders gravierend ist die Wohnungsnot in den Städten Basel (Leerwohnungsbestand 0,41%), Lausanne (0,36%), Bern und Genf (je 0,29%) und Zürich (0,09%). Nach Ansicht des Schweizerischen Hauseigentümerverbands kann allerdings gemäss eigenen Schätzungen von einer Wohnungsnot oder einem Wohnungsmangel keine Rede sein. Der Leerwohnungsbestand betrage zurzeit 52 000 Wohnungen (1,7%). Er begründete dies mit Hochrechnungen aufgrund der Ergebnisse der eidgenössischen Volkszählung von 1980 und der zum gleichen Zeitpunkt durchgeführten Leerwohnungszählung. Im Gegensatz zur Volkszählung erfassen die Zahlen des Bundesamts für Statistik jedoch nur die auf dem Markt angebotenen Leerwohnungen und nicht auch solche, welche wegen bevorstehendem Abbruch des Gebäudes oder aus andern Gründen leerstehen oder nur Notwohnungen in Baracken darstellen. Das Bundesamt für Wohnungswesen rechnet für anfangs der 90er Jahre mit einer Entspannung der Lage auf dem Wohnungsmarkt, wenn sich die geburtenschwachen Jahrgänge bemerkbar machen
[18].
Das seit 1970 geltende Bundesgesetz über die
Verbesserung der Wohnverhältnisse in Berggebieten, welches nicht rückzahlbare Beiträge durch Bund und Kantone vorsieht, läuft Ende 1990 aus. Es soll um weitere zehn Jahre verlängert werden, wozu mitsamt einer Änderung der entsprechenden Verordnung ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt wurde. Letztere beabsichtigt eine Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs auch auf die Bergzone I, welche von den insgesamt vier Zonen diejenige mit der geringsten Erschwerung der Produktionsverhältnisse darstellt. Eine Aufstockung der finanziellen Mittel ist jedoch nicht vorgesehen. Die Revision dieses Bundesgesetzes stellt das einzige Richtliniengeschäft der Legislaturplanung im Bereich des Wohnungswesens dar
[19].
Nachdem ein erster Entwurf für eine
steuerliche Begünstigung des Wohnsparens mit Mitteln der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) in der Vernehmlassung an der Opposition der kantonalen Finanzdirektoren gescheitert war, gelang es einer Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Bundes und der Kantone unter der Leitung des Bundesamts für Sozialversicherung, ein neues Wohnsparmodell zu erarbeiten, welches 1989 zur Vernehmlassung vorgelegt werden soll. Nach Ansicht der Landesregierung handelt es sich dabei um einen gemässigteren Vorschlag, welcher darauf achtet, dass bei der Verwendung der Mittel aus der steuerbegünstigten Selbstvorsorge der eigentliche Vorsorgegedanke gewahrt sowie die Durchführung praktikabel bleibt und sich die Steuerausfälle der Kantone in annehmbarem Rahmen halten. Wegen der zurzeit günstigen Hypothekarkredite scheint der Landesregierung ein Inkrafttreten der Verordnung nicht dringlich
[20].
Das
Konzept einer Wohneigentumsförderung mit Mitteln aus dem obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge (2. Säule) scheint gescheitert, weil in keinem einzigen Fall von der Möglichkeit der Verpfändung der künftigen Altersleistungen Gebrauch gemacht worden ist. Dies namentlich deshalb, weil das Pfand erst mit 65 Jahren eingelöst werden kann und den Banken damit zuwenig Sicherheit geboten wird. Immerhin waren sich Vertreter von Bund, Kantonen und Versicherungen einig, dass die Suche nach einem Wohneigentumsmodell mit Mitteln der 2. Säule nicht aufgegeben werden darf, da nur hier sämtliche Versicherten profitieren könnten
[21].
Drei Motionen, welche eine Förderung des Wohneigentums mit Massnahmen der Raumplanung und mit Vorsorgegeldern anstrebten, wurden als Postulate überwiesen. Dabei stellte der Volksvertreter Nussbaumer (cvp, SO) fest, dass ein Land, welches den juristischen Kapitalanlegern auf dem Liegenschaftsmarkt mehr Schutz gewähre als dem Bürger, der für den Eigenbedarf eine Heimstätte für seine Familie sucht, einer düsteren Zukunft entgegengehe
[22].
[18] NZZ, 24.8. und 29.8.88 und 12.4.89; BZ und JdG, 24.8.88; Vat., 26.8.88; Die Volkswirtschaft, 61/1988, Nr. 10, S. 51 f.; Bundesamt für Statistik (Hg.), Wohnbautätigkeit in der Schweiz 1988, Bern 1989.
[20] NZZ, 21.1., 1.6. und 27.12.88; Bund, 30.1.88; TA, 1.2.88; BaZ, 18.7.88; vgl. SPJ 1987, S. 161.
[21] BaZ, 18,7.89; vgl. SPJ 1986, S. 136.
[22] Motionen Nussbaumer, Früh (fdp, AR) und CVP-Fraktion: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 423 f., 424 f. und 892 ff.
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