Année politique Suisse 1988 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen / Kultur
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Kulturförderung durch Kantone und Gemeinden
ln etlichen Städten führte der akute Mangel an Aufführungs- und Ausstellungsräumen zu teils heftigen politischen Auseinandersetzungen. Insbesondere klagen die Vertreter der sogenannten "Alternativkultur" über die im Vergleich zu der etablierten, stark subventionierten Konzert- und Theaterkultur krasse Benachteiligung durch die öffentliche Hand. Während diese Auseinandersetzung in Zürich seit der Einrichtung der "Roten Fabrik" abgeklungen ist und sich in Bern seit der provisorischen Offnung der ehemaligen städtischen Reitschule beruhigt hat, führte dieses Jahr in Basel eine kompromisslose Politik bezüglich der alten Stadtgärtnerei zu einem gereizten Klima und zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Ein Beschluss des Grossen Rates aus dem Jahre 1980 verlangte die Errichtung eines Grünparks auf dem Areal der ehemaligen Stadtgärtnerei. Die Gebäulichkeiten waren jedoch besetzt und für kulturelle Anlässe benutzt worden, worauf das Hochbauamt als Eigentümer das Areal der "Interessengemeinschaft Alte Stadtgärtnerei" (Igas) als Vertreterin der Benützer für eine befristete Zeit überliess. Mit einer Volksinitiative "Kultur- und Naturpark St. Johann" sollten nun die alten Gärtnereigebäude der Kultur erhalten bleiben. Die linken und grünen Parteien sowie der LdU befürworteten die Initiative, die bürgerlichen Parteien, die DSP und die PdA empfahlen die Ablehnung. Das Volksbegehren wurde Anfang Mai 1988 mit 56% Neinstimmen relativ knapp abgelehnt. Zahlreiche – auch bürgerliche – Organisationen und Einzelpersonen setzten sich darauf weiterhin für eine Kompromisslösung ein, doch der Grosse Rat drängte die Regierung, den Volksentscheid in die Tat umzusetzen, was denn auch Ende Juni mit Polizeigewalt geschah und zu heftigen Krawallen führte. Mehrere Ersatzangebote der Regierung wurden von der Igas, teilweise auch von der Regierung selbst, als ungeeignet angesehen, worauf die "Stadtgärtnerinnen" ein ehemaliges, zum Abbruch vorgesehenes Kino besetzten und hier trotz einer Strafklage der Eigentümerin erneut einen funktionierenden Kulturbetrieb einrichteten [15].
In Bern wurden grundsätzliche Entscheide um die Zukunft der ehemaligen Reitschule noch nicht gefällt, .doch entspannte sich die Lage nach der Offnung des Gebäudes Ende 1987 merklich. Aufgrund zweier denkmalpflegerischer Gutachten erteilte der Regierungsstatthalter die vom Gemeinderat (Exekutive) beantragte Abbruchbewilligung nicht, worauf letzterer den Entscheid an die kantonale Baudirektion weiterzog und den Abstimmungstermin für die NA-Initiative, welche an der Stelle der Reitschule die Errichtung einer Turnhalle verlangt, verschob. Inzwischen nahm jedoch die Baugruppe des Benützervereins die Sanierung des Daches an die Hand, und nachdem sich zudem eine nicht direkt beteiligte Interessengemeinschaft für eine sanfte Renovation der Gebäude und für deren Nutzung für die Jugend und die Kultur einzusetzen begann, erschien auch ein Stimmungswechsel im Stadtrat nicht mehr ausgeschlossen [16].
Mit einer gross angelegten "Kulturoptimierungsstudie" eines privaten Betriebsberatungsbüros suchte man in Luzern der Raumnot die Stirne zu bieten, wobei hier nicht nur alternative Gruppen mehr Raum, sondern auch die Veranstalter der Internationalen Musikfestwochen einen neuen Konzertsaal und die Trägerschaft des Kunstmuseums ein grösseres Gebäude verlangten. Nachdem die Studie vorlag, sprach der Grosse Stadtrat Projekt- und Detailplanungskredite — nach Ansicht der Unabhängigen Frauenliste und des Grünen Bündnisses allerdings übereilt, weshalb diese erfolgreich das Referendum ergriffen. Auch die Tatsache, dass eine Privatperson den fraglichen Betrag von 960 000 Fr. der Stadt kurzerhand schenkte, konnte die Sache der demokratischen Kontrolle nicht entziehen. Anfangs Dezember fand schliesslich noch eine Volksabstimmung über die Nutzung einer stillgelegten Fabrik statt. Diese konnte jedoch den Entschluss des Stadtrates, die Liegenschaft zum grösseren Teil dem Gewerbe und nur zum kleineren Teil der alternativen Kultur zu übergeben, nicht zugunsten der Kultur umstossen. Immerhin wurde der Ja-Anteil von 41,8% als positives Verdikt für die Belange der alternativen Kultur interpretiert [17].
 
[15] BaZ, 12.3., 4.5., 9.5. (Abstimmung), 14.5., 16.5., 20.5., 1.6., 22.6. (Räumung), 23.6. (Krawalle), 29.6., 1.7., 15.7., 17.8. (Rückzug eines Regierungsangebotes), 22.8. (Besetzung des Kinos Union) und 7.10.88 (Strafanzeige der Eigentümerin gegen die Besetzer); WoZ, 3.6., 1.7., 8.7. (Räumung), 16.9. (Aktivitäten im Union) und 11.11.88 (Interview mit Regierungsrat H. Striebel); Ww, 9.6. und 30.6.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 228.
[16] BZ, 4.1. (Öffnung), 9.3. (Nicht-Erteilen der Abbruchbewilligung), 10.3. (Verschieben der Abstimmung), 17,3. (Weiterzug des Entscheides), 23.3. (bürgerl. Interessengemeinschaft), 6.5. (Gesinnungswandel im Stadtrat) und 13.8.88 (Sanierung). Vgl. auch Diskussion um Nutzungskonzepte in WoZ, 6.5.88; Grundsätze der Kulturpolitik des Gemeinderates: BZ, 20.8.88; Bund, 20.8. und 25.8.88. Die POCH reichte gegen die NA-Initiative eine Beschwerde wegen Ungültigkeit ein (BZ, 24.2.88), sistierte sie aber später bis zum Vorliegen des Entscheides über die Abbruchbewilligung (BZ, 31.3.88). Vgl. auch SPJ 1987, S. 21 f. und 228.
[17] LNN, Vat. und NZZ, 25.3.88 (Kulturraum-Bericht); Vat., 23.8.88; Vat. und LNN, 24.8.88 (Projektkredite des Stadtrates); LNN, 31.8.88; Val., 19.9.88; LNN und Val., 3.11.88 (Referendum); LNN, 22.9.88 (Schenkung); Vat., 29.7.88; LNN und Vat., 23.9. und 5.12.88 ("Boa"-Initiative). Zu Raumproblemen in Lausanne vgl. L'Hebdo, 21.1.88; in Neuenburg: FAN, 8.7.88; in Burgdorf: WoZ, 28.10.88; in Baden: WoZ, 11.5.88; in Delémont: Suisse, 28.6.88; in Liestal: BaZ, 25.1., 29.1. und 15.10.88.