Année politique Suisse 1988 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen / Kirchen
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Umstrittene Pfarrerwahlen
Auch die protestantische Kirche blieb dieses Jahr von Richtungskämpfen nicht verschont, sie betrafen jedoch eher politische als theologische Fragen, auch wenn alle Beteiligten jeweils die Bibel für sich als handlungsweisend reklamierten. Im Kanton Zürich machten 14 Kirchgemeinden von ihrem Recht Gebrauch, statt stiller Bestätigungswahlen geheime Wahlen abzuhalten. Die Gründe für den Unmut gegen die Pfarrer waren mannigfaltig, wurde ihnen doch nicht nur unzulässiges politisches Engagement vorgeworfen, sondern bisweilen einfach Unfähigkeit oder aber die Zugehörigkeit zu einer fundamentalistischen Glaubensrichtung. Drei Pfarrer wurden abgewählt. Am meisten Aufsehen erweckte die Abwahl von P. Walls, der im Jahre 1985 52 abgewiesenen chilenischen Flüchtlingen in seiner Kirche Asyl gewährt hatte, um sie vor der drohenden Ausschaffung zu schützen. Späte Unterstützung wurde Walls durch eine Arbeitsgruppe des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) zuteil, die in einem Bericht zur Auffassung gelangte, dass Widerstand gegen staatliche Anordnungen darin erlaubt sei, wenn alle demokratischen Möglichkeiten ausgeschöpft seien [27].
Zu einer Demonstration und zu Protestschreiben der Gemeindebehörden und des örtlichen Kirchenrates führte die Amtsenthebung eines Priesters im Wallis. Gemäss Bischof H. Schwery hatte sich der Priester von einigen Dogmen der katholischen Kirche entfernt und sich dafür eher protestantisch-fundamentalistischen Positionen angenähert, weshalb er ihn als Häretiker aus der Kirche entfernte [28].
 
[27] Vr., 23.2.88; TA, 24.2.88; NZZ, 27.2.88; Vr., TA und NZZ, 7.3.88; TA, 4.8.88. SEK: Lit Saladin und Presse vom 23.8.88; dazu eine Entgegnung von Alt-Bundesrat R. Friedrich in NZZ, 23.9.88. Zur juristischen Sicht vgl. auch Lit. Robbers. Im Lit. auch weiteres zum Verhältnis zwischen Kirche und Politik.
[28] TA, 25.10.88; Ww, 3.11.88.