Année politique Suisse 1988 : Bildung, Kultur und Medien / Medien / Radio und Fernsehen
Mit ausführlichen Anhörungen ausgewählter Experten und Interessenvertreter
begann die zuständige Nationalratskommission die Beratung des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG). Bei ersten Entscheidungen der Kommission fiel deren Hang auf, strittige Punkte im Gesetz abzuschwächen und dafür der Exekutive eine grössere Entscheidungskompetenz zuzuweisen. So strich sie das Werbeverbot für Tabak und Alkohol zugunsten einer bundesrätlichen Kompetenz, einschränkende Vorschriften zu erlassen. In der am meisten umstrittenen Frage nach der Regelung der vierten, einzig noch verbleibenden terrestrischen Fernsehsenderkette sprach sich die Kommission nicht für die im Entwurf vorgesehene Minderheitsbeteiligung der SRG, sondern lediglich für deren "angemessene" Beteiligung aus. Das vorgesehene "Gebührensplitting", gemäss dem die SRG einen Teil der Gebühren an Veranstalter in wirtschaftlich schwachen Gebieten abzugeben hätte, wurde mit einem knappen Entscheid unterstützt
[10].
Im
Kampf um die vierte Senderkette begannen sich vier Grossverleger (Berner Zeitung AG, Tages-Anzeiger AG, Jean Frey AG und Sonor SA) gemeinsam für eine SRG-unabhängige Lösung einzusetzen. Sie verlangten die Möglichkeit, auch ausländische Sendeveranstalter in die Trägerschaft aufzunehmen; zudem sollte nach ihrer Auffassung das RTVG auch die Unterbrechung von Programmen mit Werbung zulassen. Neben den vier Verlegern kündigte auch die Schweizerische Fernseh- und Radiovereinigung (SFRV, "Hofer-Club") ihre Absicht an, unter dem Namen "Televisier" ein nationales Vollprogramm unter Ausschluss der SRG anzustreben. Die FDP drohte mit dem Referendum, falls für die vierte Senderkette keine SRG-unabhängige Lösung gefunden werde. Unter dem Eindruck dieser Vorstösse befürwortete auch der Genfer SP-Nationalrat J. Ziegler die Privatisierung dieser Senderkette, verlangte jedoch, dass sie mit strengen, öffentlich diskutierten Auflagen und einem Programmauftrag verbunden werde. Angesichts des steten Nachfrageüberhangs nach Werbezeit bei der SRG scheint die Finanzierung eines zweiten nationalen Vollprogramms möglich zu sein; ob es jedoch gelingen würde, das Know-how und die Personalressourcen in Konkurrenz zur SRG aufzubauen, wird gelegentlich bezweifelt
[11].
Die CVP befürwortete den Gesetzesentwurf des Bundesrates im Prinzip, verlangte aber mehr Mittel für die Versorgung der Berg- und Randgebiete; sie wandte sich jedoch gegen das die SRG benachteiligende Gebührensplitting und schlug Investitionshilfekredite für den Aufbau von privaten Sendeinfrastrukturen in den benachteiligten Regionen vor
[12].
Nach Überzeugung der Arbeitsgemeinschaft für Kommunikationskultur (AfK) kann mit der vorliegenden Struktur des RTVG der Verfassungsauftrag hinsichtlich der vom Rundfunk zu erbringenden Leistungen nicht erfüllt werden. Da ihre ursprünglichen Vorschläge den schweizerischen Verhältnissen aber zuwenig angepasst schienen, präsentierte sie nun ein Modell "SRG Plus", das sich auf den RTVG-Entwurf abstützt. Auf der sprachregionalen/nationalen Ebene sollen der SRG mindestens 50% der insgesamt verfügbaren Sendezeit und 65% der Gebühren- und Werbeeinnahmen zur Verfügung stehen. Um die restliche Sendezeit auf dieser, wie auch auf der lokalen Ebene, könnten sich Publikumsvereine als Veranstalter bewerben, wobei deren Mitgliederzahl massgebend für die Zuteilung der Sendezeit und der übrigen Werbeeinnahmen wäre. Eine Konzession würde also nicht erteilt, wie im RTVG-Entwurf vorgesehen, wenn ein Anbieter die nötige Kapitalkraft nachweist, sondern wenn sich eine Nachfrage nach einem bestimmten Programm artikuliert. Mit diesem Modell würde nach Ansicht der AfK das SRG-Monopol nicht durch Wirtschaftsunternehmen, sondern durch demokratisch gebildete, weltanschauliche Organisationen gebrochen, was zu einem echten publizistischen Wettbewerb führen könnte
[13].
Will die Schweiz für die einheimischen Rundfunkveranstalter nicht krasse Wettbewerbsnachteile schaffen, muss sie die Formulierung des RTVG in bestimmten Punkten – insbesondere den
Werbevorschriften – europäischen Gegenbenheiten und Vereinbarungen anpassen. Für letztere präsentierte der
Europarat beziehungsweise dessen Comité directeur sur les moyens de communication de masse (CDMM) einen Entwurf. Dieser sieht Bestimmungen zum Schutz der Rechte des Individuums (etwa das Gegendarstellungsrecht) und zum Jugendschutz vor, regelt den Anteil der europäischen Produktionen im Programm und stellt Werbevorschriften auf. Der Entwurf wurde an zwei Konferenzen der 21 Medienminister diskutiert, wobei sich vor allem die Unterbrechung von Programmen mit Werbung, die Genussmittelwerbung, das Tele-Shopping, der Einbezug des Radios und die Frage nach den möglichen Sanktionen bei Regelverletzungen als strittig herausstellten. Es wurde dabei deutlich, dass der Entwurf des CDMM in einigen Punkten abgeschwächt werden dürfte. So einigten sich die Minister nicht auf einen festen Anteil an europäischen Produktionen und äusserten die Absicht, Unterbrecherwerbung unter gewissen Bedingungen zu erlauben. Immerhin sollen die Werbeordnungen anderer Länder dann respektiert werden müssen, wenn die Sendungen hauptsächlich für diese bestimmt sind. Dies träfe beispielsweise für das Fernsehen von Campione zu, das nach italienischem Recht vor allem ins Tessin einstrahlt. Die Medienminister einigten sich darauf, die Vereinbarung im Frühjahr 1989 zu unterzeichnen
[14].
Im sogenannten "Ätherkrieg" zwischen dem Tessin und
Italien – die PTT reagierte auf die unzähligen ins Tessin einstrahlenden Sender mit der Installation einer besonders starken Sendeanlage, die nun ihrerseits die italienischen Sender in Italien stört – einigten sich die zuständigen Bundesrat A. Ogi und Minister O. Mammi darauf, eine gemischte Arbeitsgruppe einzusetzen, welche Mittel finden soll, alle unkoordiniert sendenden Stationen aufeinander abzustimmen. Die Arbeitsgruppe trat anfangs Dezember erstmals zusammen
[15].
[10] Presse vom 18.8.88; BaZ, 15.9.88; Klarrest, 1988, Nr. 2; Zoon, 40/1988, Nr. 5, S. 16 ff. Zum RTVG-Entwurf vgl. SPJ 1987, S. 235 ff.
[11] Grossverleger: BZ, 13.12.88; TA, 14.12.88; NZZ, 17.12.88. SFRV: SGT, 15.4.88. FDP: JdG, BZ und NZZ, 25.10.88. Ziegler: 24 Heures, 31.12.88. Vgl. auch Ww, 8.12.88. Vgl. auch wf, Dok., 18, 2.5.88 ("Stand und Ziel der Radio- und Fernsehgesetzgebung") sowie Lit. Hoppmann und Krummenacher. Vgl. auch Plädoyer, 6/1988, Nr. 4, S. 7 ff.
[13] Babylon, 2/1988, Nr. 4.; TA, 13.5.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 237.
[14] NZZ, 11.3., 22.4. und 19.11.88; TA, 27.5.88; JdG, 24 Heures und Bund, 25.11.88.
[15] Presse vom 12.7.88; NZZ, 2.12.88.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.