Année politique Suisse 1988 : Bildung, Kultur und Medien / Medien / Radio und Fernsehen
Der Ablauf der ursprünglich auf fünf Jahre angelegten Versuchsphase für lokale Radio- und Fernsehveranstaltungen bildete – obwohl sie inzwischen um zwei Jahre verlängert wurde – den Anlass zur
Bilanzierung der bisherigen Entwicklung. Unbestritten war dabei der Publikumserfolg, den die neuen Radiostationen geniessen. Während die Radiobetreiber und die Promotoren des privatwirtschaftlich organisierten Rundfunks diesen Erfolg als Beweis für die Richtigkeit des neuen Systems auffassten, stiessen sich andere an der Nivellierung und der Boulevardisierung der einseitig auf die Gewinnmaximierung ausgerichteten Programme und beklagten die systematische Verletzung der dem Versuch zugrundeliegenden Verordnung über lokale Rundfunk-Versuche (RVO). Die Schweizerische Journalistinnen- und Journalisten-Union (SJU) warf dem Bundesrat vor, sich nicht an die in der RVO formulierten Ziele und Vorschriften gehalten und anstelle eines echten Versuchs lediglich die Präjudizierung eines auf Kommerzsender ausgerichteten Rundfunksystems betrieben zu haben. So habe er zu vielen und mehrheitlich gewinnorientierten Sendern die Versuchserlaubnis erteilt und die Versuchszeit so lange ausgedehnt, dass keine bestehende Konzession mehr zurückgezogen werden könne; er habe das in der RVO vorgesehene Gewinnverbot und die Beschränkung auf ein lokales Empfangsgebiet nicht durchgesetzt; er lasse die ebenfalls verbotene Entstehung lokaler Medienmonopole zu, indem er Verlegerbeteiligungen sanktioniere; er habe die ursprünglich als Grundlage für eine Auswertung des Versuchs vorgesehene Begleitforschung abgeschafft; er gehe zu zurückhaltend gegen Verletzungen des Sponsoring-Verbots und von Werbebeschränkungen vor und schliesslich missachte er Vernehmlassungsantworten und lege seine Entscheidungsgrundlagen nicht öffentlich dar, wodurch er die ganze Entwicklung der demokratischen Kontrolle entzogen habe
[24].
Mit einer vierten Revision der RVO beschloss der Bundesrat eine weitere
Ausdehnung der täglichen Werbezeit in den Lokalradios. Um saisonale Nachfrageschwankungen besser ausgleichen zu können, wird den Lokalradios neu eine tägliche Werbezeit von 40 Minuten oder 5V3% der Sendezeit zugestanden, wobei jedoch die gesamte Werbezeit im Jahresdurchschnitt weiterhin bei 20 Minuten pro Tag bleibt
[25].
Am 30. Juni lief die Frist ab, innert der beim EVED
neue Konzessionsgesuche für Lokalradios in Gebieten, in denen bisher noch kein Veranstalter tätig war, eingereicht werden konnten. Insgesamt 24 Gesuchsteller aus acht Kantonen machten von diesem Angebot Gebrauch. Gemäss der dritten Revision der RVO scheidet nun das Departement die rechtlich zulässigen Gesuche aus und überlässt den Entscheid über die Konzessionierung anschliessend faktisch dem Kanton, in dem das Versorgungsgebiet liegt
[26].
Ausserhalb dieser neuen Konzessionierungsrunde erhielt das
Bündner Radio Grischa eine Sendeerlaubnis mit der Auflage, 20% der Wortbeiträge in rätoromanischer Sprache zu senden. Rechtliche und finanzielle Gründe verhinderten allerdings vorerst die Aufnahme der Sendetätigkeit. Die Betreiberin der Sendeanlagen war statutarisch dazu verpflichtet, das ganze Kantonsgebiet zu versorgen, die bestehenden Anlagen reichten jedoch für die Verbreitung eines zusätzlichen Senders nicht aus. Eine Statutenänderung bei der zu 95% dem Kanton gehörenden Gesellschaft schaffte schliesslich die Startbedingungen
[27].
[24] SJU, Die Lokalradio-Mogler, Bern 1988; dazu Presse vom 28.10.88; Suisse, 29.10.88; BZ, 31.10.88; NZZ, 1.11.88. Für weitere Stellungnahmen vgl. auch Presse vom 27.10.88 (A. Blum, R. Keller u.a.); TA, 9.12.88 (D. Barrelet und L. Schürmann); Zoom, 40/1988, Nr. 22, S. 30 ff. (U. Jaeggi).
[25] AS, 1988, S. 1553; Presse vom 20.9.88.
[26] BaZ, 2.7.88; NZZ, 4.7.88; Babylon, 2/1988, Nr. 6. Vgl. auch die neuen Konzessionsbestimmungen in AS, 1988, S. 92 ff.
[27] BüZ, 12.2., 8.3., 28.4., 23.6., 7.7. und 14.7.88.
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