Année politique Suisse 1989 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Freisinnig-demokratische Partei (FDP)
Der vorzeitige
Rücktritt von Bundesrätin Elisabeth Kopp und vor allem die Umstände die dazu geführt hatten, bewirkten sowohl in der Offentlichkeit als auch parteiintern einen Prestigeverlust für den Zürcher Freisinn. Der von der Zürcher Kantonalpartei für die Nachfolge von E. Kopp vorgeschlagene Ständerat Jagmetti hatte in der FDP-Fraktion keine Chance. Im ersten Wahlgang vermochte er 14 von 59 Stimmen auf sich zu vereinigen, in der zweiten, entscheidenden Ausmarchung standen nur noch drei Fraktionsangehörige hinter der Zürcher Kandidatur. Die Vereinigte Bundesversammlung wählte am 1. Februar den von der FDP-Fraktion vorgeschlagenen Luzerner Ständerat und Unternehmer Kaspar Villiger in den Bundesrat. Nach Josef Martin Knüsel (1855-75, LU) wurde damit zum zweiten Mal ein aus einem ehemaligen Sonderbundskanton stammender freisinniger Bundesrat gewählt. Seit der Gründung des Bundesstaates war der Zürcher Freisinn bisher nur von 1943-53 und von 1959-69 nicht im Bundesrat vertreten gewesen
[3].
Auch der neue Parteipräsident stammt aus der katholischen Innerschweiz. Am 1. April wählte die Delegiertenversammlung den 46jährigen Anwalt und Urner Nationalrat
Franz Steinegger zum Nachfolger für den Aargauer Ständerat Bruno Hunziker. Der neue Präsident gilt als dynamisch, politisch war er — namentlich bei Verkehrs- und Energiefragen — mehr als einmal aus der Parteilinie ausgeschert. Bei verschiedenen Naturkatastrophen in Uri hatte er sich zudem einen Ruf als guten Organisator verschafft. Die Wahl Steineggers, der sich in seiner Antrittsrede wünschte, dass die Partei wieder "engagierter, offener und basisnäher" politisiert, war unbestritten
[4].
Problematischer als die Wahl des Parteipräsidenten gestaltete sich jene für das Amt des Fraktionschefs. Als Nachfolger für den turnusgemäss ausscheidenden Bremi (ZH) war eigentlich der Fraktionsvizepräsident Claude Frey (NE) vorgesehen. Gegen Nationalrat Frey wurden verschiedene Vorbehalte privater und politischer Natur angeführt
[5]. Am 28. November wählte dann die FDP-Fraktion der Bundesversammlung in einer geheimen Abstimmung den Gegenkandidaten, Nationalrat Pascal Couchepin (VS) mit 32 gegen 25 Stimmen zum neuen Fraktionschef. Die Wahl Couchepins kam vor allem mit Hilfe der Deutschschweizer zustande; die Welschen und Tessiner hatten am Vortag mit 12:8 Stimmen Frey nominiert
[6].
Die Delegierten der FDP waren sich in der Ablehnung der Kleinbauerninitiative (121:13 Stimmen) weitgehend einig; die ablehnende Parole zur Volksinitiative für die Abschaffung der Armee wurde sogar einstimmig gefasst. Bei der dritten anstehenden Volksabstimmung zeigte sich, dass in Verkehrsfragen ein Graben quer durch die Partei entlang der Sprachgrenze verläuft: die Nein-Parole zur Initiative für Tempo 100/130 wurde nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gegen den Widerstand der welschen Delegierten gefasst. Sämtliche Kantonalsektionen der französischen Schweiz gaben die Ja-Parole aus
[7].
Bei den
Wahlen in kantonale Parlamente hat die FDP 1989 weitere Niederlagen erlitten. Die Schwächetendenz hält nun seit 1986 an: in den beiden letzten Jahren standen 42 Sitzverluste in kantonalen Parlamenten nur 5 Sitzgewinne (in Schwyz) gegenüber. Im Berichtsjahr verloren die Freisinnigen zwei Sitze in Genf, drei in Graubünden, sechs in Neuenburg, sieben im Aargau und sogar elf in Solothurn. Ausserdem verloren sie den einzigen Sitz im Neuenburger Regierungsrat und einen in der städtischen Exekutive von Lausanne, wo sie auch das Amt des Stadtpräsidenten an die SP abgeben mussten. Einerseits gingen diese Verluste zweifellos auf das erstmalige Auftreten der Auto-Partei zurück; zumindest in Solothurn dürften freisinnige Wähler aber auch zu den Grünen abgesprungen sein. In den protestantischen Kantonen der Westschweiz wurde die FDP zudem durch die wirtschaftsnahe und antizentralistische Liberale Partei erfolgreich konkurrenziert. Ebenso dürfte aber auch die politische und moralische Krise, in welche die FDP durch die Verwicklung in Affären auf eidgenössischer und zum Teil auch auf lokaler Ebene hinein&eraten ist, eine Rolle gespielt haben
[8].
[3] Siehe dazu oben, Teil I, 1c (Regierung) sowie Presse vom 21.1. und 2.2.89. Zur Kritik am Zürcher Freisinn siehe SPJ 1988, S. 317 und TA, 13.1.89.
[4] SGT, 23.2.89; TA, 28.3.89; JdG, 31.3.89; Presse vom 1.4. und 3.4.89. Vgl. auch "Die FDP nach der Affäre Kopp", in NZZ, 30.3.89.
[5] SZ, 30.3. und 7.10.89; 24 Heures, 4.10.89; LM, 5.10.89.
[6] Presse vom 29.11.89. Zu Couchepin siehe NZZ, 2.12.89.
[7] Presse vom 3.4. und 23.10.89. Von den Kantonalsektionen der Deutschschweiz empfahlen hingegen nur Ob- und Nidwalden ein Ja.
[8] Zu den Wahlen siehe oben, Teil I, 1e. Allgemein zur Lage der FDP: TA, 5.5.89; SGT, 9.5.89; Ww, 11.5.89; BaZ und JdG, 13.5.89; NZZ, 20.5.89; Politik und Wirtschaft, 1989, Nr. 7, S. 24 f; SZ, 21.10.89 (zur FDP in der Westschweiz). Vgl. auch SPJ 1988, S. 316 f.
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