Année politique Suisse 1989 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Unternehmer
Nationalrat
Blocher (svp, ZH) wiederholte im Herbst an der Generalversammlung der Vereinigung des Schweizerischen Import- und Grosshandels (VSIG) seine im Vorjahr erstmals öffentlich vorgebrachte
Kritik an den Unternehmerverbänden. Der Präsident der VSIG, G. Grisard, der die Ansichten Blochers in bezug auf den Vorort und die Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (Wirtschaftsförderung) zu teilen scheint, betonte, dass es notwendig sei, Bundesrat und Parlament von ihrer wohlstandsgefährdenden Politik abzubringen, und dass sich die Unternehmer bei der Verteidigung der Marktwirtschaft keine Kompromisse erlauben dürften
[2]. Der Direktor der von Blocher und anderen Unternehmern angegriffenen
Wirtschaftsförderung, der 62jährige Nationalrat
Reich (fdp, ZH), kündigte im November seinen Rücktritt auf Ende 1990 an. Auch wenn Reich festhielt, dass seine Demission nicht aufgrund der Kritik Blochers erfolge, dürfte sie doch die. Durchführung der geplanten Umstrukturierung erleichtern. Ein wichtiges Element dieser Reform soll darin bestehen, den Einfluss der geldgebenden Wirtschaftsverbände auf die Informationspolitik der Wirtschaftsförderung zu stärken
[3].
Auf Ende 1989 trat nach fünfjähriger Amtszeit Hans Letsch als Präsident des Zentralverbands Schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen (ZSAO) zurück. Zu seinem Nachfolger wählte der Vorstand den bisherigen Vizepräsidenten
Guido Richterich, Manager bei einem Basler Chemie-Konzern
[4].
Der Vorort und der ZSAO lehnten sowohl die Kleinbauern-Initiative als auch das Volksbegehren zur Abschaffung der Armee ab; beide verzichteten beim Entscheid über Tempo 100/130 auf eine Parole
[5].
Dem Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) machten im Berichtsjahr personelle Probleme im Verbandssekretariat zu schaffen. Anfangs März wurde der stellvertretende Direktor Alfred Oggier seiner Funktionen enthoben. Nach Aussagen der Beteiligten standen hinter diesem Entscheid nicht politische Meinungsverschiedenheiten, sondern Unverträglichkeit auf persönlicher Ebene zwischen dem Westschweizer Oggier und dem Verbandsdirektor
Peter Clavadetscher. Gewerbevertreter und Journalisten aus der Westschweiz reagierten auf diese Entwicklung ungehalten und kritisierten die Arbeitsmethoden und den Führungsstil Clavadetschers als inkompetent und paternalistisch. Auf Druck von welschen Delegierten setzte am 30. März das Parlament des SGV, die Gewerbekammer, eine sprachlich paritätisch zusammengesetzte Kommission ein, die nach Ansicht der Westschweizer nicht nur die Verbandsstruktur, sondern auch die Rolle des SGV-Direktors unter die Lupe nehmen sollte. Nur einen Tag später musste Clavadetscher nach einem Nervenzusammenbruch hospitalisiert werden und einen unbefristeten Erholungsurlaub antreten; Vizedirektor Balz Horber übernahm interimistisch die Leitung des Sekretariats. Einen Monat später trat Clavadetscher als Direktor des Gewerbeverbandes zurück
[6].
Auf Vorschlag des Vorstandes wählte die Gewerbekammer am 29. September den 46jährigen
Pierre Triponez zum neuen Direktor. Der in einer französischsprachigen Familie in der Deutschschweiz aufgewachsene Jurist war bis 1986 Vizedirektor des BIGA und gehört der FDP an; er wird sein Amt 1990 antreten
[7].
Die politische Geschlossenheit und Durchsetzungskraft des Gewerbeverbandes scheint allerdings unter diesen personellen Problemen nicht gelitten zu haben. Für die Volksabstimmungen gab der SGV zweimal die Nein-Parole (Kleinbauern und Armeeabschaffung) und einmal die Ja-Parole (Tempo 100/130) aus
[8].
Das von der Schweizerischen Bankiervereinigung vertretene Bankgewerbe konnte im Berichtsjahr wichtige politische Erfolge erzielen. Bei den neuen Gesetzesbestimmungen gegen die Geldwäscherei rückte der Bundesrat von der im Expertenvorentwurf vorgesehenen und von den Banken vehement bekämpften Strafbarkeit fahrlässig begangener Handlungen ab. Statt dessen wurde die bisherige Standesregel der Banken über die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern ins Gesetz übernommen. In der Frage der steuerlichen Entlastung des Finanzmarktes fand die Bankiervereinigung im Parlament gute Fürsprecher. Beide Kammern sprachen sich gegen die. vom Bundesrat beantragte Erhebung von neuen Finanz- und Versicherungsmarktsteuem zur vollen Kompensation der entstehenden Einnahmenausfälle aus. Zudem beschlossen sie, diese Stempelsteuerrevision nicht, wie von der Regierung vorgeschlagen, zusammen mit der Neugestaltung der Finanzordnung zu behandeln, sondern, wie dies auch die Bankiervereinigung verlangt hatte, vorzuziehen
[9].
[2] Bund und NZZ, 1.11.89. Siehe auch Finanz und Wirtschaft, 1989, Nr. 1, S. 16 ff. Zur Kritik siehe SPJ 1988, S. 329 f.
[3] Bund, 10.11.89; Ww, 7.12.89.
[4] NZZ, 29.6.89; AT, 30.12.89.
[5] NZZ, 31.5., 12.10., 27.10. und 21.11.89.
[6] JdG, 11.3.89; SGT, 14.3.89; BüZ, 22.3.89; BZ und LM, 31.3.89 (Kommission); BZ, 1.4.89 und TA, 14.4.89 (Urlaub); Presse vom 2.5.89 (Rücktritt). Siehe auch Ww, 13.4.89 sowie zur Wahl Clavadetschers SPJ 1984, S. 223 f.
[7] Bund, 6.9. und 2.10.89; 24 Heures, 2.10.89. Siehe auch die Interviews mit Triponez in Bund und LNN, 30.9.89.
[8] NZZ, 31.5., 18.8. (Tempo) und 21.11.89; SGZ, 6.4. (Kleinbauern) und 16.11.89 (Armee, Tempo).
[9] Vgl. oben, Teil I, 1b (Strafrecht) und 4b (Banken).
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