Année politique Suisse 1989 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Landwirtschaft
Für den
Schweizerischen Bauernverband (SBV) standen im Berichtsjahr zwei Volksinitiativen im Zentrum des Interesses. Zuerst engagierte er sich an vorderster Front gegen die Initiative "für ein naturnahes Bauern — gegen Tierfabriken (Kleinbauern-Initiative)", dann lancierte er zum erstenmal in der Verbandsgeschichte eine eigene Volksinitiative. Die Parole des SBV zur Kleinbauern-Initiative der Vereinigung der kleinen und mittleren Bauern (VKMB), welche selbst dem Bauernverband angehört, fiel eindeutig aus. Nachdem sich einige kantonale Bauernverbände klar gegen das Volksbegehren ausgesprochen hatten (die Delegierten des Innerschweizer Bauernbundes z.B. mit 78:0), verzichtete der Vorstand auf die Einberufung einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung und überliess den Entscheid dem Grossen Vorstand. Dieser beschloss mit 115 Stimmen gegen diejenige des Vertreters der VKMB die NeinParole
[10].
Das äusserst knappe Abstimmungsergebnis – 49% hatten für die Kleinbauern-Initiative gestimmt – wies den Bauernverband mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass breite Teile der Bevölkerung eine Reform der Landwirtschaftspolitik wünschen. Er ging deshalb selbst in die Offensive und legte am 5. Juli den Entwurf für eine
eigene Volksinitiative "für eine umweltgerechte und leistungsfähige bäuerliche Landwirtschaft" vor. Mit diesem nicht erwarteten Vorstoss gelang es ihm, dem LdU und einer aus Linken und Grünen gebildeten "Gruppe für eine neue Agrarpolitik" (NAP), welche seit 1988 die Lancierung von agrarpolitischen Volksbegehren planen, zuvorzukommen. Der offizielle Start zur Unterschriftensammlung erfolgte am 12. September. Für den Direktor des SBV, Melchior Ehrler, stellt diese Initiative nicht nur den Versuch dar, im Inland den Konsens über die Agrarpolitik wieder herzustellen. Da die Initiative der Landwirtschaft einen klaren Leistungsauftrag auf Verfassungsstufe erteilen will, könnte sie auch als Mittel zur Abwehr des internationalen Liberalisierungsdrucks dienen
[11].
Zwei Monate vor der Volksabstimmung über die Kleinbauerninitiative verstarb der Präsident und Gründer der seit 1980 existierenden
Vereinigung der kleinen und mittleren Bauern (VKMB), der Landwirt René Hochuli, im Alter von 53 Jahren. Sein Nachfolger wurde im Berichtsjahr noch nicht bestimmt
[12]. Nach der deutlichen Verwerfung ihrer Kleinbauern-Initiative durch den Grossen Vorstand des SBV mit allen gegen die Stimme der VKMB machte letztere Ernst mit dem bereits mehrmals diskutierten Austritt aus der Dachorganisation. Ihr Vorstand beschloss mit 16:3 Stimmen, die Mitarbeit im SBV sofort einzustellen und der nächsten Mitgliederversammlung den Austritt zu beantragen
[13].
Die VKMB unterstützt die vom Bauernverband lancierte Volksinitiative nicht, da sie ihr zu unverbindlich erscheint. Die Leitung der VKMB konkretisierte ihre eigenen Vorstellungen zur künftigen Agrarpolitik in einem Programmentwurf, welcher den Mitgliedern zur Diskussion unterbreitet wurde. Hauptelement darin ist die gezielte Förderung von kleinen und mittleren Bauernbetrieben, namentlich durch Preisdifferenzierungen und vermehrte Direktzahlungen
[14].
Die nicht dem SBV angehörende Westschweizer
Union des producteurs suisses (UPS) unterstützte die Kleinbauern-Initiative der VKMB und begrüsste auch deren Entscheid, aus dem SBV auszutreten. Die vom Bauernverband lancierte Volksinitiative beurteilte sie ähnlich wie die VKMB als zu vage. Sie stellte immerhin in Aussicht, dass sie sich zwar nicht bei der Unterschriftensammlung, aber eventuell später beim Abstimmungskampf dafür engagieren würde
[15].
[10] Presse vom 21.4.89. Innerschweizer Bauernbund: Vat., 6.3.89. Vgl. auch Schweizerischer Bauernverband, 92. Jahresbericht 1989, S. 27 f. Zur Abstimmungskampagne selbst siehe oben, Teil I, 4c (Politique agricole).
[11] Presse vom 6.7.89; NZZ, 1.11.89 (Ehrler an der DV des SBV); BBl, 1989, III, S. 448 f. Vgl. auch Schweizerischer Bauernverband, 92. Jahresbericht 1989, S. 30 ff. Zu dieser und den anderen beiden angekündigten Initiativen siehe SPJ 1988, S. 108 sowie oben, Teil I, 4c (Politique agricole).
[12] AT, 4.4. und 8.4.89; Presse vom 4.4.89; Gnueg Heu dune!, 1989, Nr. 3, S. 1 ff.
[13] Presse vom 21.4.89; NZZ, 28.4.89; Gnueg Heu dune!, 1989, Nr. 4, S. 1 ff. Die Mitgliederversammlung vom 11.2.90 bestätigte den Austretensbeschluss (Gnueg Heu dune!, 1990, Nr. 2, S. 5).
[14] Gnueg Heu dune!, 1989, Nr. 6, S. 8 ff. und 13 ff.
[15] Union, 1.3.89 (Kleinbauern-Initiative), 10.5. (Austritt), 9.8. und 4.10.89 (SBV-Initiative).
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.