Année politique Suisse 1989 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
 
Arbeitnehmer
Die Rolle der Schweiz im zukünftigen Europa begann vermehrt auch die Gewerkschaften zu beschäftigen. Im April sprach sich der Vorstand des SGB für ein Verstärkung der EFTA aus. Die Meinungen zum EG-Binnenmarkt waren aber geteilt. Während insbesondere SGB-Sekretär Kappeler sich von einer verstärkten Integration der Schweiz fortschrittlichere Regelungen in der Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik erhofft, gaben andere zu bedenken, dass der Binnenmarkt dazu führe, dass die Position der national organisierten Gewerkschaften gegenüber den internationalen Konzernen noch weiter verschlechtert werde [16]. Die Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) zeigte sich in bezug auf eine Verbesserung der sozialen Rechte ebenfalls skeptisch. Sie befürchtet, dass mit der Internationalisierung der Baubranche die Bestimmungen über Löhne und Arbeitsschutzvorschriften der schweizerischen Gesamtarbeitsverträge leichter unterlaufen werden könnten. Als positiv wertete sie hingegen den auf die Schweiz ausgeübten Druck für die Abschaffung oder zumindest Lockerung des Saisonnierstatus [17].
Die Parolen der Gewerkschaften zu den eidgenössischen Urnengängen fielen im Berichtsjahr uneinheitlich aus und unterschieden sich für einmal auch stärker als üblich von denjenigen der SP. Der Grund dafür ist sicher darin zu sehen, dass im Berichtsjahr keine sozialpolitischen Themen zur Abstimmung kamen. Der SGB gab zur Kleinbauern-Initiative keine Parole aus, nachdem sich 48 Delegierte für ein Ja und 33 für Stimmfreigabe ausgesprochen hatten. Wichtige Verbände wie etwa die Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) beschlossen aber die Ja-Parole. Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) empfahl die Kleinbauern-Initiative ebenfalls zur Annahme [18]. Auch bei der Armeeabschaffungsinitiative verzichtete der SGB auf eine Parole. Nachdem in einer Eventualabstimmung die Befürworter der Initiative mit 47:32 Stimmen gesiegt hatten, entschieden sich die Delegierten mit 83:18 für die Stimmfreigabe. Von den beiden grössten Teilverbänden hatte sich der SMUV, bei dem viele Beschäftigte der Rüstungsbetriebe organisiert sind, knapp für ein Nein und der GBH knapp für ein Ja ausgesprochen. Der CNG und die Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) empfahlen die Ablehnung der GSoA-Initiative, bei letzterer fiel die Verwerfung gar einstimmig aus [19]. Die Volksinitiative für Tempo 100/130 wurde vom SGB und vom CNG abgelehnt, die VSA äusserte sich nicht dazu [20].
Von der im Vorjahr gegründeten Frauengewerkschaft war 1989 in der Öffentlichkeit wenig zu hören. Im Sommer kündigte sie in Lausanne an, auch in der Westschweiz aktiv werden zu wollen [21]. Die im SGB organisierten Frauen hielten am 9. und 10. März in Bern ihren vierten Frauenkongress ab. Sie befassten sich dabei nicht nur mit der Stellung der Frauen in der Arbeitswelt, sondern auch mit diskriminierenden Strukturen und Verhaltensweisen in den Gewerkschaften selbst [22].
Nach sechzehnjähriger Amtsdauer trat der 54jährige Walliser Guido Casetti als Präsident des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) zurück. Zu seinem Nachfolger bestimmte der Kongress vom 10./11. November in Luzern den 35jährigen Freiburger Hugo Fasel, seit 1988 Präsident des Christlichen Metallarbeiterverbandes [23]. Auch in den Verbänden des SGB gab es einige erwähnenswerte personelle Wechsel. Der VPOD wählte den 41jährigen Sozialarbeiter und bisherigen Vizepräsidenten Peter Keimer zum neuen Präsidenten. Er trat die Nachfolge von Christiane Brunner an, welche beim SMUV Zentralsekretärin wurde. Die Gewerkschaft Druck und Papier wählte anstelle des demissionierenden Erwin Geiser den Genfer Christian Tirefort zum neuen Zentralpräsidenten [24].
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Mitgliederbewegung
Die Mitgliederzahl des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) reduzierte sich wie bereits im Vorjahr um 0,1% und betrug Ende 1989 noch 441 449 Personen. Die Zahl der im SGB organisierten Frauen nahm um 1,6% ab, damit sank der Frauenanteil von 12,7% auf 12,5%. Die grösste Einbusse erlitt wiederum der Metall- und Uhrenarbeitnehmerverband (SMUV) mit einem Rückgang um 3875 Personen. Während es noch 1988 danach ausgesehen hatte, als ob der SMUV die Verluste bei den männlichen Mitgliedern wenigstens zum Teil durch den Beitritt von Frauen kompensieren könnte, ging im Berichtsjahr die Zahl der im SMUV organisierten Gewerkschafterinnen wieder massiv zurück (-9,5%). Die Gewerkschaft Bau und Holz konnte ihren Mitgliederbestand um 3323 auf 122 304 erhöhen und damit ihre Stellung als grösste Gewerkschaft im SGB weiter festigen; den zweitgrössten absoluten Mitgliederzuwachs wies die Gewerkschaft Druck und Papier auf [25].
Ein Vergleich nach Sprachregionen zeigt, dass die Verbände des SGB nur in der Deutschschweiz mit Rekrutierungsproblemen zu kämpfen haben. Während hier die Zahl der Mitglieder in den letzten zehn Jahren um 8,3% abgenommen hat, nahm sie in der französischsprachigen Schweiz um 4,2% und im Tessin sogar um 9,0% zu. Gemäss dem Autor der hier zitierten Studie kann diese unterschiedliche Entwicklung nicht mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel erklärt werden, da in der Westschweiz der Bedeutungsverlust des industriellen Sektors, aus dem die meisten SGB-Verbände ihre Mitglieder rekrutieren, sogar grösser gewesen ist als in der Deutschschweiz. Der Mitgliederzuwachs in der Westschweiz kann ebensowenig auf einen Nachholbedarf zurückgeführt werden, denn der Organisationsgrad war in dieser Region schon zu Beginn der achtziger Jahre überdurchschnittlich hoch. Auch die Frauen sind offenbar in der Westschweiz eher zu gewerkschaftlichem Engagement bereit; sie stellen rund 30% der im SGB organisierten Frauen [26].
Der Christlichnationale Gewerkschaftsbund (CNG) konnte erneut einen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Er zählte Ende Jahr 111 141 Mitglieder, das sind 2343 (2,2%) mehr als 1988. Im Zehnjahresvergleich sieht die Entwicklung im CNG ähnlich aus wie beim SGB: Als eindeutig stärkste Gewerkschaft hat sich der Christliche Holz- und Bauarbeiterverband mit 45 848 Mitgliedern (+29,5%) etabliert, während die Zahl der organisierten Metallarbeiter von 27 033 auf 23 896 zurückgegangen ist [27].
Die vor allem im industriellen Sektor und in den Werkstätten verankerten Gewerkschaften des SGB und des CNG führen ihre Mitgliedereinbussen zu einem guten Teil auf den Strukturwandel in der Wirtschaft zurück. Von der Verlagerung der Arbeitsplätze von den Fabrikhallen in die Büros konnten aber bisher die in der Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) zusammengeschlossenen Organisationen kaum profitieren. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl ihrer Mitglieder um 0,4% auf 144 175 zurückgebildet. Der direkte Konkurrent der Metallarbeitergewerkschaften des SGB und des CNG, der Verband der Angestelltenvereine der Maschinen- und Elektroindustrie, konnte aus der betriebsinternen Verlagerung der Arbeitsplätze überhaupt keinen Nutzen ziehen : er verlor in den letzen zehn Jahren mehr als einen Achtel seiner Mitglieder. Der Schweizerische Kaufmännische Verband, der als stärkster Verband rund 50% der Mitglieder der VSA stellt, hatte seinen Bestand von 1980 bis 1988 um 5872 vergrössern können, im Berichtsjahr musste er aber eine Einbusse von 1606 in Kauf nehmen [28].
 
[16] Bund, 18.4.89; BaZ, 24.4.89. Vgl. auch den Bericht über eine Tagung des SGB zu diesem Thema in BaZ, 20.6.89. Siehe auch "Europäischer Binnenmarkt: Soziale Dimension und 'Probleme der Freizügigkeit", in Gewerkschaftliche Rundschau, 81/1989, S. 50 ff. sowie die Aufsätze in Diskussion, 1989, Nr. 8 und das Streitgespräch zwischen Kappeler und Schäppi in WoZ, 7.4.89.
[17] Bund, 31.5.89. Zum Saisonnierstatut siehe auch V. Pedrina, "Ausländerpolitik in den neunziger Jahren", in Diskussion, 1989, Nr. 10, S. 5 ff.
[18] Kleinbauern: BaZ, 11.4.89 (SGB); Bund, 28.4.89
[19] NZZ, 3.7. (SMUV), 30.8. (VSA), 12.9. (SGB) und 29.9.89 (GBH). Siehe auch Diskussion, 1989, Nr. 9, S. 15.
[20] NZZ, 21.11.89.
[21] Lib., 23.6.89. Zur Gründung siehe SPJ 1988, S. 333 f. Vgl. auch "Ein Ziel und verschiedene Wege", in Diskussion, 1989, Nr. 7, S. 26 f.
[22] Presse vom 10. und 11.3.89. Vgl. auch Gewerkschaftliche Rundschau, 81/1989, deren Nr. 4 vollständig diesem Kongress gewidmet ist. Siehe auch "Patriarchale Gesellschaft – Patriarchale Gewerkschaft", in Diskussion, 1989, Nr. 7, S. 6 f.
[23] Vat., 28.4.89; LNN, 10.11. und 13.11.89; NZZ, 13.11.89. Vgl. auch die Gespräche mit Casetti in TA, 7.11.89, Vat., 10.11.89 und BZ, 11.11.89.
[24] NZZ, 29.5. (VPOD) und 3.7.89 (GDP).
[25] H. Anderegg, "Mitgliederentwicklung der Schweizer Gewerkschaften in den 80er Jahren und im Jahre 1989", in Gewerkschaftliche Rundschau, 82/1990, S. 113 ff. Vgl. auch SPJ 1988, S. 332 f. Zur Analyse der unterschiedlichen Mitgliederentwicklung siehe auch Gewerkschaftliche Rundschau, 82/1990, S. 131 ff.
[26] H. Anderegg, a.a.O., S. 120 ff.
[27] H. Anderegg, a.a.O., S. 125 ff.
[28] H. Anderegg, a.a.O., S. 125 ff. Zur Organisierbarkeit der Angestellten vgl. Gewerkschaftliche Rundschau, 81/1989, S. 210 ff.