Année politique Suisse 1989 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Öffentliche Ordnung
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Staatsschutz
Weit brisanter waren die Erkenntnisse der PUK im Bereich des Staatsschutzes. Diese seit 1976 von 66 auf 94 Mitarbeiter (+42%) ausgebaute Dienststelle der Bundesanwaltschaft, welche gemäss einem Bundesratsbeschluss von 1958 mit der "Beobachtung und Verhütung von Handlungen, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden" sowie der gerichtspolizeilichen Ermittlung bei der Verfolgung von diesbezüglichen strafbaren Taten beauftragt ist [14], hatte seit jeher als 'Dunkelkammer der Nation' gegolten. Der konkrete Inhalt und der Umfang ihrer Ermittlungen waren nicht nur vor der Öffentlichkeit, sondern auch vor den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) des Parlaments weitgehend geheim gehalten worden.
Die GPK des Nationalrates hatte zwar noch vor der Einsetzung der PUK die Bundesanwaltschaft inspiziert und Einblick in eine vom Bundesanwalt ausgesuchte " Mustersammlung ausgewählter Karteikarten" erhalten. Aufgrund dieser Karten (Fichen) mit Kurzeinträgen über Personen und Verweisen auf allfällige ausführlichere Dossiers hatte sie den Eindruck erhalten, dass an der Arbeit der politischen Polizei grundsätzlich nichts zu beanstanden sei. Immerhin rügte sie die unterschiedliche Qualität der auf diesen Fichen enthaltenen Informationen und insbesondere die grosse Anzahl der Karteikarten [15]. Von seiten der Linken war, allerdings meist ohne konkrete Beweise, der Bundesanwaltschaft immer wieder vorgeworfen worden, dass sie sich nicht auf die Verhinderung und Aufklärung von politisch motivierten Straftaten beschränke, sondern — aus einer sehr einseitigen politischen Optik heraus — vor allem die legalen politischen Aktivitäten von kritischen Bürgerinnen und Bürgern im Visier habe [16].
Genau diese Vorwürfe, d.h. die grosse Anzahl erfasster Personen, die sehr unterschiedliche Qualität der Informationen und die systematische Erfassung von oppositionellen demokratischen Aktivitäten wurden nun durch die PUK, welche uneingeschränkten Zugang zu den Akten hatte, bestätigt. Die PUK stellte in ihrem am 24. November vorgestellten Bericht fest, dass in der Registratur der Bundespolizei rund 900 000 Karteikarten (Fichen) geführt werden, von denen sich etwa je ein Viertel auf in der Schweiz wohnhafte Inländer und Ausländer beziehen, rund ein Zehntel auf Organisationen und der Rest auf nicht landesansässige Ausländer. Auf diesen Fichen befinden sich Einträge, welche zum Teil auf Beobachtungen von nachrichtenpolizeilichen Organen des Bundes, der Kantone oder des Auslandes beruhen, zum Teil auch auf anonyme private Denunziationen zurückgehen. Da die Informationen weder überprüft, noch nach einer bestimmten Zeit eliminiert wurden, wimmelt es gemäss PUK in diesen Fichen von Belanglosigkeiten, Falschmeldungen und Informationen über normale politische, berufliche oder private Aktivitäten. Als besonders verwerflich beurteilte die PUK, dass die von der Bundespolizei zusammengetragenen Angaben nicht bloss als Referenz zur Beurteilung von Stellenbewerbern und -inhabern in der Bundesverwaltung dienten, sondern auch an private Stellen weitergegeben worden waren. Die Stichproben der PUK bestätigten ebenfalls den Vorwurf der politischen Einäugigkeit: von Interesse für die Bundespolizei waren vor allem Personen aus dem linken politischen Spektrum (inkl. SP). Dabei wurde mit dem Einbezug von Organisationen und Personen, welche sich in den Bewegungen gegen die Kernenergie und die Gentechnologie oder für Friedenspolitik, Umweltschutz und Frauenrechte betätigten, das Feindbild laufend aktualisiert und erweitert [17].
Als Konsequenz forderte die PUK mit einer parlamentarischen Initiative ein verbessertes Oberaufsichtsrecht der Geschäftsprüfungskommissionen. In besonderen Fällen sollen die GPK beider Räte eine gemeinsame Delegation bestimmen können, welche, ähnlich wie eine PUK, auch als geheim klassierte Akten einsehen kann. Mit einer Motion forderte sie zudem eine organisatorische Trennung zwischen der Funktion des Bundesanwalts als oberstem Ankläger und seiner Stellung als oberstem Verantwortlichen der Bundespolizei. Mit einer zweite Motion verlangte sie die Erarbeitung von genauen Kriterien über die Erfassung von Daten durch die politische Polizei und die Schaffung von gewissen Datenschutzbestimmungen auch in diesem Bereich [18].
Die meisten Medien, aber auch eine weitere Öffentlichkeit reagierten mit Bestürzung und Empörung auf die von der PUK publik gemachten Zustände in der Bundesanwaltschaft. In der Fragestunde vom 4. Dezember verlangten 49 Nationalrätinnen und Nationalräte vom Vorsteher des EJPD Auskunft darüber, ob über sie eine Fiche geführt werde. Eine Woche nach der Publikation des Berichtes hatten zudem 800 Bürgerinnen und Bürger Einsicht in ihre Fiche gefordert, nach zwei Wochen war die Zahl der Auskunftsbegehren bereits auf 10 000 angestiegen. Bundesrat Koller sicherte zu, dass die Fichen — allerdings ohne Angaben über Quellen und laufende Verfahren — auf Verlangen eingesehen werden könnten; zur Lösung von Streitfällen setzte er Alt-Bundesrichter Häfliger als Ombudsmann ein [19].
Der Bundesrat zeigte sich in seiner offiziellen Stellungnahme zum PUK-Bericht über die Enthüllungen nicht sonderlich beunruhigt. Er sah darin weniger ein bewusstes Ausspionieren von kritischen Bürgerinnen und Bürgern als vielmehr einen gewissen Übereifer von Polizeibeamten, wobei man zu lange an veralteten Feindbildern festgehalten habe. Zudem sei die Organisation der Registratur mit ihrer Vermischung von Daten unterschiedlichster Qualität ungeschickt gewesen, da damit der falsche Eindruck erweckt werde, dass die politische Polizei kritische, aber unbescholtene Bürger in den gleichen Topf werfe wie Spione und Terroristen. Zu den Anträgen der PUK in bezug auf die Reorganisation der Bundesanwaltschaft äusserte er sich skeptisch. Gegen den Ausbau der parlamentarischen Aufsicht meldete er aus Gründen der Gewaltentrennung Vorbehalte an, und auch für die Entflechtungsmotion konnte er sich nicht erwärmen, da damit der Informationsfluss zwischen Bundesanwalt und Ermittlungsbehörden beeinträchtigt wäre [20].
Das Parlament überwies jedoch sämtliche Anträge der PUK. In der ausführlichen Debatte mit 55 Einzelvotanten verurteilten die Linken und die Grünen, denen ja die Aufmerksamkeit der politischen Polizei vor allem gegolten hatte, die Bundesanwaltschaft, aber auch die Bundesräte Furgler und Friedrich, unter deren Federführung der Staatsschutz in letzter Zeit ausgebaut worden war. Die Fraktionen der GP und der SP reichten Motionen ein, welche die Abschaffung der politischen Polizei und die Einsetzung einer PUK für die Geheimdienste der Armee fordern. Diese Begehren lehnten die bürgerlichen Redner zwar ab, aber nur wenige unter ihnen hatten freundliche Worte für die Aktivitäten der politischen Polizei und deren Schnüfflertätigkeit. Als prononcierteste Verteidiger des von den Bundesbehörden praktizierten Staatsschutzes traten die beiden Christlichdemokraten Portmann (GR) und Zbinden (FR) sowie Sager (svp, BE) auf [21].
 
[14] SR, 172.213.52.
[15] BBl, 1989, Il, S. 350 ff. (Schreiben der GPK vom 14.11.88).
[16] Vgl. z.B. Plädoyer, 5/1987, Nr. 2, S. 13 ff.
[17] PUK, S.154ff.
[18] PUK, S. 222 ff.
[19] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1933 ff.; TA, 1.12., 12.12. und 20.12.89.
[20] BBl, 1990, I, S. 879 ff. (v.a. S. 886 ff.); Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1993 ff. und 2039 ff.
[21] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1977, 1988 ff. und 2038 ff. Amtl. Bull. StR, 1989, S. 790 ff.; siehe auch Presse vom 8.12. und 12.12.89. Motionen: Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 48 und 50 f.