Année politique Suisse 1989 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
Die Ersatzwahl für E. Kopp wurde in der Februar-Sondersession durchgeführt. Im Vorfeld hatten die Vertreter der CVP, der SP und der SVP betont, dass für sie kein Anlass zum Rütteln an der Zauberformel gegeben sei und sie den Anspruch des Freisinns nicht bestreiten würden
[9]. Die Verteidigung des traditionellen, wenn auch nicht rechtlich abgesicherten Zürcher Sitzes erwies sich hingegen als schwieriger. Einerseits wurde auch parteiintern die jeweils nur kurze Amtszeit der drei letzten freisinnigen Zürcher Bundesräte Honegger (5 Jahre), Friedrich (2) und Kopp (4) kritisiert. Andererseits tat sich die Kantonalpartei mit der Kandidatenauswahl schwer: Nachdem Fraktionschef Bremi und die Nationalrätinnen Nabholz und Spoerry auf eine Nomination verzichtet hatten, schlug sie den 59jährigen Ständerat Jagmetti vor
[10]. Mit teilweise jüngeren Kandidaten rückten die Innerschweizer Freisinnigen auf: Die Luzerner präsentierten den 47jährigen Unternehmer und Ständerat Villiger, die Urner den 45jährigen Rechtsanwalt und Nationalrat Steinegger und die Zuger den 59jährigen Regierungs- und Nationalrat Stucky. Die für die Nomination zuständige freisinnige Fraktion schlug der Vereinigten Bundesversammlung Kaspar Villiger zur Wahl vor
[11].
Der
Landesring, der auch in der Vergangenheit immer wieder seinen Anspruch auf einen Regierungssitz angemeldet hatte, erachtete die Gelegenheit zum Aufbrechen der Zauberformel als besonders günstig. Parteipräsident Jaeger bezeichnete die Affäre Kopp als neuen Beleg für die Krise der Konkordanzpolitik der vier Bundesratsparteien, und er sprach sich dafür aus, dass der freiwerdende Sitz unbedingt wieder mit einer Frau besetzt werden müsse. Die Delegierten des LdU nominierten die Zürcher Ständerätin Monika Weber, welche auch die Unterstützung der Fraktion der Grünen und der drei Nationalräte der EVP fand
[12].
Bei einem absoluten Mehr von 118 Stimmen wählte die Vereinigte Bundesversammlung am 1. Februar im ersten Wahlgang mit 124 Stimmen
Kaspar Villiger zum neuen Bundesrat; 35 Stimmen entfielen auf Franz Steinegger, 33 auf Monika Weber und 19 auf Liliane Uchtenhagen. Mit dieser Wahl wurden gleich zwei Traditionen gebrochen: zum erstenmal seit der Gründung des Bundesstaates ist der Kanton Zürich nicht mehr in der Landesregierung vertreten, und zum erstenmal seit 1875 stammt ein freisinniger Bundesrat aus einem ehemaligen Sonderbundskanton
[13].
Da E. Kopp im Dezember 1988, unmittelbar vor dem Bekanntwerden ihres verhängnisvollen Telefongesprächs, zur Vizepräsidentin des Bundesrats gewählt worden war, musste die Bundesversammlung nach ihrem Rücktritt auch dieses Amt neu besetzen. Die Reihe war an Arnold Koller, der mit 190 Stimmen gewählt wurde. In der Dezembersession wurde Koller mit 194 Stimmen zum Präsidenten und Flavio Cotti mit 177 zum Vizepräsidenten für 1990 erkoren
[14]. Bei der Departementsverteilung blieben grössere Rochaden aus: Bundesrat Koller wurde neuer Vorsteher des EJPD, als dessen Leiter er bereits seit E. Kopps Rücktritt gewirkt hatte. Der neugewählte Villiger übernahm von Koller das EMD
[15].
[10] TA, 6.1., 9.1. und 13.1.89; NZZ, 9.1., 10.1., 13.1. und 18.I.89.
[11] Vat., 6.1.89; LNN, 10.1. und 11.1.89. FDP-Fraktion: Presse vom 21.1.89.
[12] AT und Bund, 10.1.89; TA, 12.1., 19.1. und 23.1.89; NZZ, 23.1.89.89; Vat., 23.1.89; Amtl. Bull. NR, 1989, S. 94 (GP). Vgl. auch U. Altermatt, "Der Landesring und die Bundesratswahlen", in NZZ, 27.1.89. Zur Zauberformel siehe auch das Gespräch mit Prominenten der Bundesratsparteien in Bilanz, 1989, Nr. 11, S. 231 ff.
[13] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 92 ff.; Presse vom 1.2.89. Zur Person von Kaspar Villiger siehe Vat., 31.1.89; AT und LNN, 2.2.89. Zur umstrittenen Radiosendung über die Geschäfte der Firma Villiger in den dreissiger Jahren siehe unten, Teil I, 8c (Offizielle Informationstätigkeit und Pressefreiheit).
[14] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 95 f. (Vizepräsidenten- Ersatzwahl) und 2307 (Präsidentenwahl); Presse vom 7.12.89.
[15] TA, 19.1.89; Presse vom 4.2.89; Ww, 20.4.89.
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.