Année politique Suisse 1989 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Parlament
Im Rahmen der
Teilrevision des Geschäftsverkehrsgesetzes setzte sich das Seilziehen zwischen den beiden Parlamentskammern über die Zulässigkeit der sogenannten unechten Motionen fort. Der Nationalrat hielt an seinem Entscheid fest, wonach Motionen auch in den an den Bundesrat delegierten Rechtssetzungsbereichen erlaubt sein sollen. Der Ständerat bekräftigte zum dritten Mal seine Absicht, derartige Motionen durch das Geschäftsverkehrsgesetz ausdrücklich zu untersagen. Da er diesen Beschluss als endgültig erklärte, wird eine Einigungskonferenz beider Kammern nach einer Lösung zu suchen haben
[28].
Der Bundesrat veröffentlichte seinen Bericht zu den Vorschlägen einer Nationalratskommission zum Ablauf der
Beratungen der Regierungsrichtlinien. Er äusserte sich darin skeptisch zum neuen Instrument der Erklärungen, welche die Fraktionen zu den Richtlinien abgeben sollen (sogenannte Planungserklärungen). Da er glaubt, dass das damit verbundene Verfahren zu zeitaufwendig wäre, empfiehlt er die Beibehaltung der bisherigen Richtlinienmotionen
[29].
Insbesondere nachdem in der Sommersession traktandierte Geschäfte nicht hatten behandelt werden können wurde die altbekannte Kritik an der Überlastung und der geringen Leistungsfähigkeit des Nationalrats sowohl von Parlamentariern als auch von Beobachtern verstärkt artikuliert. Während sich die Fraktionschefin der SP, Ursula Mauch (AG), für eine Verlängerung der Sessionsdauer aussprach, plädierten bürgerliche Politiker für eine
Straffung des Ratsbetriebs. Vorschläge in dieser Richtung machte eine Nationalratskommission, die sich mit der Konkretisierung einer 1987 überwiesenen parlamentarischen Initiative Ott (sp, BL) befasste. Die Kommissionsmehrheit beantragte eine weitgehende Revision des Geschäftsreglements des Nationalrats. Insbesondere will sie die maximal erlaubten Redezeiten generell verkürzen und zudem entsprechend der Bedeutung der Geschäfte abstufen. Bei politisch unbedeutenderen Geschäften soll für Abgeordnete, die nicht einen Antrag stellen wollen, sogar das Recht auf Wortmeldung eingeschränkt werden. Für die Behandlung der parlamentarischen Vorstösse möchte sie in jeder Session eine feste Zeit einräumen
[30].
Eine Nebenwirkung des Rücktritts von Bundesrätin Kopp bestand darin, dass die enge
Interessenverflechtung zahlreicher Parlamentarier mit der Wirtschaft namentlich von den Sozialdemokraten stärker in Frage gestellt wurde. Die Parlamentarier müssen zwar seit 1984 ihre Interessenbindungen deklarieren. Mit einer parlamentarischen Initiative verlangte nun Nationalrätin Jeanprêtre (sp, VD), dass auch die Höhe der Einkünfte, die aus Verwaltungsratsmandaten und Beratertätigkeiten bezogen werden, publik gemacht werden muss. Die Mehrheit der vorberatenden Nationalratskommission sprach sich gegen dieses Begehren aus. Sie sah darin einen unberechtigten Korruptionsverdacht und erklärte, dass sie das Bestehen von Verbindungen zwischen dem Parlament und der Wirtschaft als durchaus positiv bewerte
[31]. Die Nationalräte Braunschweig (sp, ZH) und Zbinden (sp, AG) reichten in der Folge zwei sich ergänzende parlamentarische Initiativen ein. Die erste regt ein Verbot für die Übernahme gewisser Verwaltungsratsmandate und Beratertätigkeiten an, und die zweite verlangt als Ersatz dafür eine Erhöhung der Entschädigung der Parlamentarier
[32].
[28] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 123 ff.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 226 ff. Vgl. auch SPJ 1988, S. 34.
[29] BBl, 1989, II, S. 351 ff.; NZZ, 16.5.89. Siehe auch SPJ 1988, S. 31.
[30] Kritik am Ratsbetrieb: SGT, 9.6.89; Presse vom 24.6.89; BaZ, 6.7.89. Kommissionsvorschläge: BBl, 1989, III, S. 1397 ff.; NZZ, 31.8.89; BaZ, 26.11.89. Vgl. auch SPJ 1986, S. 23 f. und 1987, S. 30.
[31] Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 27; TA, 13.9.89; NZZ, 15.9. (NR-Kommission) und 30.11.89.
[32] Verhandl. B.vers., 1989, V, S. 29 f.; TA, 21.9.89. Zur vorgeschlagenen Erhöhung der Fraktionsbeiträge siehe unten, Teil IIIa (Parteiensystem).
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